Kapitel 42

1K 51 2
                                    


„Du kannst gern weiterhin hier wohnen. Britt wird auch noch nicht ausziehen. Die paar Jahre College sind doch kein Problem", wischte er mögliche Bedenken weg. Doch ich traute der Sache nicht. Mein Stiefvater schaute mich an, als ob ihm alle Felle davonschwammen. Was heckte er diesmal aus? Auf eine Reise ließ ich mich von ihm nie wieder schicken. Ich wurde das nagende Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmte. Dass ich ihm als Joker in irgendeinem undurchsichtigen Spiel diente.

„Natürlich ist das kein Problem", pflichtete meine Mutter ihm bei, schenkte mir ein breites Lächeln. Vor einem Jahr hätte ich mich über ihre Worte gefreut. Im Augenblick sah das anders aus. Die verheimlichten mir etwas. Ich ließ meinen Blick zu Britt wandern, die die Szene still und mit hochgezogenen Augenbrauen verfolgte. Sie wunderte sich ebenfalls über das Verhalten unserer Eltern. Nur dass sie normalerweise nicht auf meiner Seite stand. Seit der Feier vor einigen Wochen, vor dem Abschluss an der Highschool, verhielt sie sich verdächtig friedlich. Fürchtete sie, dass ich etwas gegen sie in der Hand hatte? Oder hatte der Kerl, der mich betäubt hatte, ihr erzählt, wer bei meiner Rettung seine Finger im Spiel hatte?

Dante. Ab und an traf ich ihn in der Stadt, wo er mich freundlich grüßte. Einige Male hatte er versucht, mich in ein Café einzuladen, doch ich hatte dankend abgelehnt. Erstaunlicherweise akzeptierte er es.

„Mäuschen. Nun sage doch etwas." Meine Mutter sah mich bettelnd an. Was war denn in die gefahren? „Was hältst du davon, wenn wir heute schön zu viert essen gehen und dabei alles besprechen?" Die Alarmglocken läuteten Sturm in meinem Kopf. Die nahmen sonst oft nicht einmal Britt mit. Was war da nur los? Mechanisch nickte ich. Verflixte Neugierde. Warum hatte ich nur im Mafiahaushalt gelernt, Geheimnissen auf den Grund zu gehen, damit man nicht überrascht wurde? Diese Frage erinnerte mich wiederum an Dante. Er hatte denselben Nachnamen wie Raffa, sah ihm unheimlich ähnlich.

„Dakota. Ziehe dich bitte um, damit wir in ein Restaurant fahren können." Fast schon höflich wies mein Stiefvater zur Treppe, statt mich wie sonst anzuschnauzen. Na meinetwegen. Ich lief zu meinem Zimmer, zog eine schlichte schwarze Stoffhose und eine weiße Bluse an. Die Haare zwängte ich in einen strengen Pferdeschwanz. Ich warf einen Blick in den Badezimmerspiegel, bevor ich nach unten stürmte. Nicht, dass sie doch ohne mich losfuhren. Meine Eltern schauten mich stirnrunzelnd an. Insgeheim grinste ich mir eins. Mir war klar, wie ich aussah. Wie eine kleine Mafiosa.

Zu viert fuhren wir los. Britt musterte mich verstohlen von der Seite, verkniff sich aber jeglichen Kommentar. Hatte ihr Vater sie etwa angewiesen, freundlich zu mir zu sein? Ich schloss es nicht aus. Der Wagen hielt auf dem Parkplatz eines italienischen Restaurants. Ich zog die Augenbrauen hoch. Wenn gleich jemand auf die Idee kam, mich in ein Büro zum Herumschnüffeln zu schicken, rief ich die Mafiosi in Philadelphia an, ob sie ein Zimmer freihatten.

„Einen Tisch für vier Personen." Da war er wieder, der arrogante Mistkerl, dem meine Mutter zu meinem Leidwesen verfallen war. Von oben herab schaute er auf den älteren Italiener, der keine Miene verzog. Entweder war er solch eine Behandlung gewöhnt oder hatte von seinem Arbeitgeber eingebläut bekommen, dass der Gast immer im Recht war. Kopfschüttelnd folgte ich dem Rest der Familie an einen Tisch.

„Mille grazie", dankte ich dem Kellner, der uns die Speisekarte brachte. Mein Blick glitt über die Räumlichkeiten. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Die Einrichtung erinnerte mich stark an das Restaurant, in das Carmen mich mitgenommen hatte. Möbel aus dunklem Holz, cremefarbene Wände und Lampen in Form von Fackeln. Zu allem Überfluss saßen einige ältere Italiener in einer Ecke und beobachteten uns mit undurchdringlicher Miene. Hervorragend. Wenn das kein Déja-Vu auslöste und mir heute Nacht Alpträume bescherte, dann wusste ich es auch nicht mehr.

Das Essen lief ereignislos, wenn man davon absah, wie meine Eltern mich in den höchsten Tönen für mein Abschlusszeugnis lobten. Britt stocherte dabei angesäuert auf ihrem Teller herum. Überdeutlich zeigte sie, wie wenig es ihr gefiel, mal nicht im Rampenlicht zu stehen. Fast schon traurig, wenn ich bedachte, dass alles womöglich nur ein abgekartetes Spiel ihres Vaters war. Andererseits freute ich mich über die Aufmerksamkeit, die Mama mir endlich wieder schenkte. Es fühlte sich fast so vertraut an, wie vor ihrer zweiten Hochzeit. Als der Kellner schließlich den Nachtisch auf Empfehlung des Küchenchefs brachte, entgleisten meiner Stiefschwester endgültig die Gesichtszüge. Sie und unsere Eltern erhielten gewöhnliches Tiramisu, während der Italiener vor meiner Nase ein Limoncello-Tiramisu abstellte. Eine große Portion obendrein. Nicht mein absoluter Favorit, das würden vermutlich weiterhin Cannoli bleiben, dennoch löffelte ich genussvoll vor mich hin. Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Bewegung wahr. Dante winkte mich zu sich, wies auf den Gang zu den Toiletten.

„Entschuldigt mich bitte für einen Augenblick." Ich lief in seine Richtung, um mir anzuhören, was er zu sagen hatte. Zu schade, dass Britt ihn nicht bemerkt hatte, dann wäre ich ihn vielleicht endlich los.

„Ciao, cucciola." Er umklammerte meine Hand, zog mich weiter, zu einer Tür, die als Privaträumlichkeit gekennzeichnet war. Schnell manövrierte er mich in den Raum, der sich als Büro herausstellte. Ich schnaubte genervt. Fehlte nur noch, dass er von mir erwartete, dass ich die Schubladen des Schreibtisches knackte, mich danach im Stich ließ und ich dann Zuflucht hinter den langen schweren Vorhängen suchte. Ich schlug die Arme um meinen Körper, der unwillkürlich bei der Erinnerung zitterte. Schon hörte ich wieder das peitschende Geräusch des Gürtels von Raffaeles Vater, spürte das Brennen auf meinem Rücken. Ich wich zurück, warf einen Blick über die Schulter zur Tür.

„Hiergeblieben." Dante zerrte mich zum Schreibtisch, presste mich dagegen und stützte seine Hände zu beiden Seiten meines Körpers auf das Holz. Ich schluckte, wich seinem fragenden Blick aus. „Das erklärt schon mal einiges", murmelte er. „Ich kann dir helfen, wenn du mich nur lässt."

„Hast du mich dafür hier hineingezerrt?" Ich versuchte weiterhin krampfhaft, ihn nicht anzusehen. Wieso ließ er mich nicht in Ruhe?

„Nein, das ist es nicht." Er lachte leise, wurde gleich darauf wieder ernst. „Auch wenn ich es dir nicht oft genug sagen kann. Ich möchte dich einfach schützen." Er wandte sich ab, fixierte die Wand an, bevor er erneut Blickkontakt suchte. „Der Mann, mit dem du hier bist, er taugt nichts. Wer ist er?" Fast verschluckte ich mich. Teilte da jemand endlich mal meine Meinung? Das gefiel mir.

„Mein Stiefvater." Dass Dante ihn kannte, missfiel mir. Es bedeutete, dass der Mann meiner Mutter noch mehr Dreck am Stecken hatte, als ich vermutet hatte.

„Verstehe", knurrte der Italiener und löste sich von mir. Mit dem Kinn wies er zur Tür. „Du solltest jetzt zurückgehen. Wir sind schon zu lange hier. Außer, du möchtest mit zu mir nach Hause kommen. Ich nehme dich gern direkt mit." Er schenkte mir ein schiefes Lächeln, das es locker mit dem von meinem Ex aufnahm. Raffaele. Ich schüttelte betrübt den Kopf, ließ ihn ohne eine Erwiderung stehen. Er konnte mir nicht Raffa ersetzen, gerade weil er ihm so ähnlichsah. Ich notierte mir in Gedanken, innerhalb der nächsten Tage mit Gina Kontakt aufzunehmen. Ein College gab es bestimmt auch in Philadelphia.

************************************************

Wieso sind ihre Eltern plötzlich so nett?

Und wichtiger, wie wird sie Dante wieder los?

Verdammte MafiosiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt