Kapitel 32

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„Kriegst du dich bald mal ein?", zischte ich verärgert Mick zu. Langsam, aber sicher sorgte ich mich um seinen Geisteszustand. Wer fand es komisch, wenn der eigene Freund fast aus Versehen erschossen wurde?

„Rege dich ab, Lina. Ist doch nichts passiert." Sam drückte sanft meine Schulter. Ich schnaubte verächtlich. Für die zwei Jungs war alles nur ein Spiel. Ich betete inständig, dass mein Freund schlauer war. Wo auch immer der gerade steckte. Michaele stieß die Tür auf, lauschte einen Moment. In weiter Ferne knallte es einige Male. Schüsse? Ich wandte den Kopf ruckartig in die Richtung, woher die Geräusche kamen. Jemand packte mich am Handgelenk. Ich starrte auf die Jungenhand. Mick. Fragend sah ich ihn an. Den Zeigefinger an die Lippen gepresst, bedeutete er mir, ab jetzt den Mund zu halten. Als wenn ich nicht von selbst auf die Idee gekommen wäre. Erneute fummelte ich am Holster herum, schaffte es dieses Mal, die Waffe herauszuziehen. Leise folgte ich Sam, der als Erstes in die angrenzende Halle huschte. Michaele bildete das Schlusslicht. Abermals knallte es. Mein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen. War Raffa sicher? Wo hielt er sich auf? Wieso war der Lagerhallenkomplex so riesig? Die zwei Jungen schien das nicht zu stören. Sie wirkten freudig erregt. Beide sahen nur die Möglichkeit das Gelernte in die Tat umzusetzen und dem Don zu beweisen, dass sie bereit für diese Art Aufträge waren. Die gleichen Motive, die mich bis zur Ankunft auf dem Gelände angetrieben hatten. Nur dass ich einem verdammten Irrglauben aufgesessen war. Ein kurzfristiger Anflug von kompletter Selbstüberschätzung.

Missmutig lauschte ich. Immer öfter waren nun Schüsse zu hören. Ohne mich! Ich drehte um, visierte die Tür an. Egal, was sie dann von mir und meiner Feigheit hielten, ich blieb hier nicht länger. Keine drei Schritte, schon schlang sich ein Arm um meinen Bauch und hielt mich von einer Flucht ab. Grüne Augen, ein sorgenvoller Blick. Mick zeigte auf eine Palette, auf der eine massive Holzkiste stand. Mit seiner freien Hand ahmte er eine tauchende Bewegung nach. Ich sollte hinter der Kiste abtauchen? Meinetwegen. Ich nickte heftig. Der Italiener ließ mich los, gab mir einen aufmunternden Klaps auf die Schulter. Ich steckte die Waffe ein, hechtete hinter mein neues Versteck.

Ich linste um eine Ecke. Mick und Sam arbeiteten sich weiter vor. Palette für Palette, das gleiche Spiel wie zuvor. Fasziniert beobachtete ich, wie die beiden Jungen sich selbstsicher bewegten. Sie waren hiervor geboren, trugen es in ihren Genen. Ich schloss die Augen, stellte mir vor, wie Raffaele an ihrer Stelle sich fortbewegte. Immer auf der Suche nach dem Feind, die Gefahren in dunklen Ecken lauernd. Ich schluckte, ein Zittern lief durch meinen Körper.

Der Lärm nahm in Intensität zu. Schreie, Flüche, in verschiedenen Sprachen. Kämpften unsere Leute in der nächsten Halle? Ich zog den Kopf ein, presste die Hände auf die Ohren. Hoffentlich war der Wahnsinn bald vorbei. Staub rieselte von oben herab. Ich sah hinauf. Eine Holzplattform wie die, über die Mick und ich gelaufen waren. Waren er und Sam hinaufgeklettert? Nein, das passte nicht. Ich linste erneut um die Ecke, entdeckte die beiden weiter vorn. Waren das Schritte über mir? Ich zerrte die Pistole hervor, der Griff hart und kalt unter meinen Fingern. Schweiß rann wie kochende Lava meinen Nacken hinab, als ich den Geräuschen folgte. Wie viele Feinde hatten sich an die Fersen der Jungen geheftet? Dieses Mal täuschte ich mich mit Sicherheit nicht. Das war niemand von uns. Angespannt lauschte ich, hielt immer mal wieder den Atem an. Zwei oder drei Gegner? Wieso schossen sie nicht? Ich warf einen Blick auf meine schmerzenden Finger. Die Fingerknöchel stachen weiß hervor, vom krampfhaften Druck, den ich ausübte.

Nur nicht die Nerven verlieren.

Fast hatte ich Mick und Sam erreicht, um sie vor der drohenden Gefahr zu warnen. Knarzendes Holz, ächzendes Metall. Der Italiener drehte sich ruckartig um, sah hinauf. Zu spät. Eine dunkle riesige Figur stürzte sich auf ihn, riss ihn zu Boden. Seine Pistole schlitterte ein Stück über den Hallenboden. Sam feuerte ein paar Kugeln auf die Plattform ab, bevor er ebenfalls von einer Gestalt angesprungen wurde. Kräftige Männerhände packten ihn bei der Kehle, drückten unbarmherzig zu. Mein Herz pochte so laut, dass es alle Geräusche übertönte.

Jetzt.

Ich schoss auf den breiten Rücken des Mannes, der den Blonden würgte. Etwas Großes landete mit einem dumpfen Knall vor mir, behinderte meine Sicht. Ich zögerte. Der dritte Gegner holte aus. Instinktiv wich ich zur Seite aus. Nicht genug. Seine Faust kollidierte mit meinem Kiefer. Die Wucht des Aufpralls warf mich um. Mit dem Kopf voran stürzte ich gegen einen Stapel Kartons. Der Schmerz zog von meiner Wange über die gesamte Gesichtshälfte. Sterne flimmerte vor meinen Augen. Schwere Schritte näherten sich. Ich hob den Arm mit der Waffe, drückte blindlings ab. Einmal, zweimal, dreimal. Warme Tropfen trafen die Maske, drangen durch den Stoff. Ich schoss weiter. Der Mann stürzte mit einem Ächzen zu Boden, begrub meine Unterschenkel unter sich. Panisch zerrte ich sie hervor, trat gegen seinen Körper. War er tot? Ich schmeckte den bitteren Geschmack von Galle. Der metallische Geruch von Blut lag in der Luft. Würgend richtete ich mich auf, versuchte, mir einen Überblick zu verschaffen. Sam lag still unter dem Typen, auf den ich zuerst geschossen hatte. Ob tot oder nur bewusstlos, ich wusste es nicht. Der dritte Kerl schlug auf Mick ein, dessen verzweifelten Abwehrversuche an Stärke abnahmen. Ich zielte, schoss einmal auf ihn. Der Mann schrie auf, ließ von Michaele ab. Er richtete sich auf, wandte sich mir zu. Ich betätigte den Abzug. Nichts. Keine Munition mehr.

Ein dunkler Umriss hastete auf mich zu. Ein Schlag gegen meinen Arm katapultierte die Waffe in die Luft. Ein Hieb in meinen Magen. Ich krümmte mich vor Schmerzen, sackte auf die Knie. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er sein Gewicht verlagerte. Ich ließ mich fallen. Sein Fuß streifte fast meinen Kopf. Ich robbte rückwärts. Wo lag nur Micks verflixte Pistole?

„Feiges Arschloch", zischte der Typ. „Mir von hinten in die Schulter schießen und jetzt davon kriechen. Bist wohl das Söhnchen von dem Alten." Er trat zu, traf mich hart im Bauch. Ein stechender Schmerz zog sich hinunter in meine Beine. Ich kreischte auf. „Was zur Hölle?" Der Mann hielt inne. Realisierte er, dass ich ein Mädchen war? Ich linste in die Richtung, wo ich die Waffe vermutete. Der schwarze Griff lugte unter einer Palette hervor. Ich zog mich über dem Hallenboden dorthin. Nur noch ein kleines Stück. Er folgte mir, zerrte die Maske von meinem Kopf. „Da wird der Chef sich freuen. Für so eine niedliche Schlampe wie dich findet sich bestimmt ein Käufer." Mädchenhandel. Ich riss die Augen weit auf. Deshalb die Mission. Zitternd tastete ich nach der Pistole. Meine Finger schlossen sich in dem Moment um den Griff, als der Kerl meine Haare packte. Er zerrte mich auf die Beine. Ein stechender Schmerz an meiner Kopfhaut trieb mir die Tränen in die Augen. Ich betätigte den Abzug, schoss dem Arsch aus kürzester Entfernung in den Bauch. Wieder und wieder drückte ich ab. Er ließ los, stürzte zu Boden.

Ich trat näher heran, jagte ihm eine Kugel in die Stirn. Teilnahmslos sah ich zu, wie sich eine Blutlache um seinen Kopf bildete. Mein Unterleib krampfte, an meinem Schritt breitete sich eine warme Nässe aus. Meine Beine gaben unter mir nach, ich sackte zusammen. Meine Augenlider flatterten. Verschwommene Bilder. Geräusche drangen wie durch einen dicken Nebel zu mir. Dann Stille und Dunkelheit.

Verdammte MafiosiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt