Ich bereute es jetzt schon, dass ich den Polizisten meinen richtigen Namen genannt hatte. Sie glotzten wie zwei Mondkälber meine Wohnung an. Ich linste an einem von ihnen vorbei. Die Wohnungstür stand weit offen. Nur eine kleine Ablenkung und ich wäre draußen.
„Ich frage mich, wer dir diesen Unterschlupf zur Verfügung gestellt hat." Der Große drehte sich zu mir um. Ich schickte ihm gedanklich einen Fluch entgegen. Er schaute mich erwartungsvoll an. Widerwillig schenkte ich ihm meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Was antwortete ich nur auf seine Frage, ohne Raffa zu verraten? Denn das ich damit den Zorn des Dons auf mich ziehen würde, stand fest. Einmal in seinem Keller zu landen, reichte. Ich wählte eine unverfängliche Antwort.
„Freunde lassen mich hier wohnen, bis ich mir etwas Eigenes gesucht habe." Mein Gegenüber hob eine Augenbraue. Wie ich solche subtile Mimik hasste!
„Freunde, soso." Er starrte wieder auf den Bildschirm seines Smartphones. „Du bist erst vor Kurzem eingezogen, doch warst seit letztem Sommer untergetaucht. Wo warst du in der Zwischenzeit?"
„Bei anderen Freunden." Wieso hatte Candy mich nur an die Polizei verpfiffen und woher wusste sie, dass man mich suchte? Auch wenn es nur meine Schule war, die mich als vermisst gemeldet hatte. Wie kam ich aus dieser Nummer raus, ohne mich in Gefahr oder Mama in Schwierigkeiten zu bringen? Ich war mir sicher, dass sie nichts mit der Aktion von meinem bescheuerten Stiefvater zu tun hatte.
„Die Wahrheit, Dakota." Seine Miene verhärtete sich.
„Das ist die Wahrheit." Die Frauenstimme ließ mich herumfahren. Gina Calieri spazierte seelenruhig in meine Wohnung, gefolgt von ihrem Bodyguard. Wo kam die so schnell hier? Ein kleiner Hoffnungsschimmer glühte auf. Es interessierte mich in diesem Moment herzlich wenig, dass sie einer Mafiafamilie angehörte, wenn sie mir dafür aus der Patsche half. „Dieses Mietshaus gehört zu dem umfangreichen Immobilienbestand meiner Familie. Ich habe Dakota die Wohnung vorübergehend zur Verfügung gestellt." Sie nickte mir zu, ein kleines Lächeln auf den Lippen. Ich atmete auf. Womöglich hatte Raffa sie eingeweiht, damit jemand ein Auge auf mich hatte und ich nicht völlig auf mich gestellt war. Als Mafiosa wusste sie vielleicht auch mehr über meine Nachbarin.
„Kennen Sie dann auch den Grund, warum Miss Evans von zu Hause weggelaufen ist?", wandte er sich an die ältere Frau, die souveräner wirkte als ich je erreichen würde. Einerseits war ich eingeschnappt, weil über mich hinweggeredet wurde, als ob ich ein Kleinkind war. Andererseits brauchte ich auf diese Art und Weise nicht zu lügen. Wenn Gina sich dazu entschied, Unwahrheiten zu erzählen, war ich fein aus der Sache raus. Ich warf ihr einen hilfesuchenden Blick zu.
„Wissen Sie," schnurrte sie wie eine Katze, „manchmal sind junge Menschen mit Schule, Familie und Freunden so überfordert, dass sie eine Auszeit benötigen. Es wird heutzutage so viel von ihnen erwartet, gleichzeitig denken viele, dass sie unfähige und unwissende Kinder sind. Da kann es zu einer Kurzschlussreaktion kommen." Sie schenkte dem Bulligen ein entschuldigendes Lächeln.
„Ohne Schulabschluss wird es für Miss Evans allerdings schwer, etwas im Leben zu erreichen", mischte sich der kleine Polizist in das Gespräch ein. „Ich schlage vor, dass Dakota zu ihrer Familie zurückkehrt und sich den Schwierigkeiten stellt. Wegzulaufen mag vielleicht eine kurzfristige Lösung sein, doch langfristig gesehen richtet es nur mehr Schaden an."
„Das ist wahr. Ich würde mit Dakota gern darüber in Ruhe reden. Von Frau zu Frau sozusagen. Wenn es ihnen nichts ausmacht, draußen zu warten?" Sie wies mit einer eleganten Bewegung ihrer Hand auf die Wohnungstür. Die Polizisten sahen einander kurz stumm an, liefen dann achselzuckend ins Treppenhaus. Ginas Bodyguard folgte ihnen wie ein Schatten, zog die Tür hinter sich ins Schloss.
„Nun zu dir, Kleines." Sie wandte sich mir zu, musterte mich unentschlossen. „Ich bin in dieser Angelegenheit nicht unbedingt die beste Ratgeberin, aber der Bulle hat recht. Ein Schulabschluss, besser ein Collegeabschluss, ist wichtig, um im Leben weiterzukommen." Ich schwieg, hoffte, dass sie weiterredete. Sie schmunzelte. „Na gut. Ich habe, statt brav meinen Highschool-Abschluss zu machen, einen Rachefeldzug gestartet und so einige Leute getötet, die meiner Familie geschadet hatten oder ihr Schaden zufügen wollten. Lange Geschichte. Zumindest zu lang, um mal eben durchzukauen. Im Übrigen habe ich gehört, was bei euch vorgefallen ist. Saubere Arbeit, Kleines."
„Ich wünschte, ich hätte nie darauf bestanden, an der Mission teilzunehmen", murmelte ich. Wie von selbst fand meine Hand ihren Weg auf meinen Bauch.
„Du warst schwanger, ich weiß", erwiderte die Italienerin leise. Immerhin verkniff sie sich einen mitleidigen Blick. „Egal, wie sehr dich der Verlust schmerzt, es ist besser so. Ein Kind zu haben bedeutet sehr viel Verantwortung. Es gibt Momente, da muss man als Mutter über eine enorme psychische Belastbarkeit verfügen. Dagegen ist das Leben in einer Mafiafamilie ein Klacks. Doch du bist psychisch so angeschlagen, dass es dich zwischenzeitlich völlig überrumpelt hätte. Du musst erst noch wachsen, dich weiterentwickeln. Meine Familie kann dir dabei helfen, wenn du magst und mit zu uns nach Philadelphia kommst."
„Danke für das Angebot, aber ich möchte nichts mehr mit der Mafia zu tun haben. Nichts für ungut", fügte ich schnell hinzu. „Ich vermisse meine Mutter enorm. Sie sorgt sich bestimmt um mich." Auch wenn es bedeutete, Britt wieder ertragen zu müssen und meinem idiotischen Stiefvater ins Gesicht zu sehen, ich wollte einfach nur nach Hause.
„Ich weiß nicht, ob das so eine grandiose Idee ist." Gina runzelte prompt die Stirn. „Doch es ist deine Entscheidung. Falls du dich umentscheidest, oder Hilfe benötigst, um auf eigenen Beinen zu stehen, kannst du dich gern bei mir melden." Sie zückte eine Karte, steckte sie mir in die Hosentasche. „Jetzt solltest du aber deine Sachen zusammenpacken, sonst werden unsere uniformierten Freunde da draußen unruhig. Michael kann sie nicht ewig in Grund und Boden starren." Ich schmunzelte, stellte mir vor, wie der große, stille Indianer stoisch mit verschränkten Armen vor ihnen stand und sie sich nicht trauten, ihn anzusprechen. Praktisch war es, dass sie hier aufgetaucht waren. Doch aus welchem Grund, waren sie hergekommen?
„Wieso seid Ihr überhaupt hier?" Ich fummelte den Brustbeutel mit Bankkarte, Kontodetails und Ersatzpass aus einer Schublade. Denn ließ ich auf keinen Fall zurück. Spätestens nach meinem Schulabschluss würde ich ihn bitter benötigen.
„Raffaele hatte mich gebeten, für dich eine sichere Wohnung zu finden. Er hat dich weggeschickt, damit du in Sicherheit bist." Sie schüttelte bedächtig den Kopf. „Ich verstehe zwar, wieso er so kopflos reagiert, dennoch heiße ich es nicht gut. Italienische Männer sind manchmal Vollidioten. Lass dich von ihnen niemals unterkriegen." Als ob ich das vorhätte. Ich straffte den Rücken, schaute der Frau unverwandt in die Augen. „Du schaffst das schon, Kleines." Sie nickte mir noch einmal zu, wandte sich dann um und lief zur Tür. Ich schluckte. Hoffentlich bereute ich die Entscheidung nicht. Schnell zog ich ihre Karte aus meiner Hosentasche und stopfte sie in den Brustbeutel. Man konnte ja nie wissen.
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Egal, wie sehr ich auf Dakota eingeredet habe, sie wollte unbedingt nach Hause. Dabei wäre sie bei Gina und den verrückten Pensatori viel besser aufgehoben. Kann man nicht ändern.
Was haltet Ihr von ihrer Entscheidung? Was hättet Ihr an ihrer Stelle gemacht?
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Verdammte Mafiosi
حركة (أكشن)Neugier ist der Katze Tod, sagen sie. Für Dakota dagegen eine Möglichkeit, Schlimmerem zu entgehen. Panisch flüchtet sie vor dem Mann, bei dem sie die Ferien verbringen sollte. In einer Stadt, in der sie außer ihm nur zwei weitere Menschen kennt. We...