10 | Ars magica

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Gelangweilt starrte ich aus dem Fenster. Die meisten anderen waren noch dabei, ihre Textzusammenfassung zu schreiben. Beziehungsweise, es nicht zu tun und stattdessen mit anderen Leuten zu reden. Unsere Deutschlehrerin hatte wirklich kein Durchsetzungsvermögen.

Eigentlich hätte ich auch jemanden zum Reden gehabt, aber leider war Tina gerade auf der Toilette. Es blieb also nichts anderes übrig, als abzuwarten und eine Gruppe älterer Schüler im Garten zu beobachten. Sie schienen gerade keinen Unterricht zu haben und ein bisschen mit ihren Kräften zu üben. Manchmal flackerten Lichtblitze auf, ab und an zog ein starker Wind über die Pflanzen, dann brach der Boden auf. Es sah um einiges interessanter und spannender aus als das, was wir gerade in Magie machten.

„Hey", rief jemand neben mir. Ich fuhr herum. Zwei Plätze weiter sah mich ein braunhaariger Junge an. Er war einer derjenigen, die die ganze Stunde nur durchgeredet hatten.

„Meinst du mich?", fragte ich.

„Ja. Hast du zufällig meinen Stift gesehen?"

„Wie sieht er denn aus?" Das Einzige, das ich gesehen hatte, war die Übungsstunde der Schüler im Garten.

„Schwarz mit Silber, von Montblanc."

Das sagte mir absolut nichts. Trotzdem sah ich einmal kurz über meinen Tisch und dann darunter. Da war kein Stift außer meinem eigenen Kugelschreiber. Und der war von keiner Marke, sondern ein Werbegeschenk von irgendeinem Technikunternehmen. Er schrieb aber äußerst gut.

„Hier ist nichts, tut mir leid."

Seine Reaktion bekam ich nicht mehr mit, denn auf der anderen Seite des Klassenraums kam nun Tina rein. Endlich. Sie runzelte die Stirn, während sie sich zwischen den Jungen und mich auf ihren Platz quetschte. Ihr Blick lag auf dem Jungen und seinem Sitznachbarn, von denen letzterer mittlerweile unter dem Tisch suchte.

„Habe ich irgendwas verpasst?", fragte sie.

„Ich finde meinen Stift nicht mehr."

Sofort wurde ihre Miene düster von Mitleid. „Oh. Der Montblanc von deinem Vater?"

Der Junge nickte und Tina erklärte: „Ich helfe suchen, weit kann er ja nicht sein."

Es überraschte mich wenig, dass Tina direkt gewusst hatte, um welchen Stift es sich handelte. Sie hatte sich immerhin schon ein paar Mal in dieser Stunde mit dem Jungen unterhalten. Und wie sie war, hatte sie in dieser Zeit vermutlich auch schon seine gesamte Lebensgeschichte in Erfahrung gebracht.

Genauso wenig überraschte es mich, dass sie kurz darauf fragte: „Anna, kannst du kurz dein Ins-nichts-starren unterbrechen und helfen?"

Ich warf einen sehnsüchtigen Blick zum Fenster und kletterte dann unter den Tisch. Eigentlich hatte ich hier zwar schon gesucht, aber vielleicht hatte ich ja etwas übersehen. Zuerst schien es, als wäre der Boden komplett leer. Doch dann sah ich etwas schwarz-silbernes zwischen den Tischfüßen glitzern. Ich griff über Tina hinüber und hob den Stift mit dem metallischen Schlangenornament in die Höhe.

„Danke!" Erleichtert nahm der Junge ihn ab. „Wo war er?"

Ich kam wieder von unter dem Tisch hervor. „Irgendwo versteckt zwischen den Tischfüßen und Tinas Tasche."

„Danke", raunte mir auch Tina zu, bevor sie den nun wieder entspannten Jungen in ein Gespräch verwickelte.

Ich sah wieder zum Fenster. In den Minuten, in denen ich nicht hingeschaut hatte, hatte sich wenig verändert. Es waren nur drei Personen dazugekommen. Und zu meinem Erstaunen kannte ich sie. Es waren die Erdbändiger-Vertrauensschülerin Kathi, ihr blonder Freund und Frau Schwab. Sie redeten angeregt mit den anderen Schülern. Schließlich nickte Kathi und die anderen Schüler machten eine große ovale Fläche frei. An das eine Ende stellte sich Kathi, ans andere ihr Freund. Ein helles goldenes Licht umringte das Feld, in dem sich die beiden nun befanden.

Der Ruf der ErdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt