1 | Adventus

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Zusammen mit meinem Vater hievte ich den letzten Koffer aus dem Kofferraum.

„Was hast du da reingepackt? Der wiegt ja mindestens eine Tonne", empörte er sich lautstark.

Ich grinste. „Meine Ziegelsteinsammlung. Was sonst?"

Aus dem Augenwinkel sah ich meine Mutter meinen Rucksack aus dem Auto zerren. Ich sog scharf die Luft ein. „Vorsichtig bitte! Meine Sukkulenten sollen den Tag noch überleben."

„Also, Ziegelsteine und Zimmerpflanzen. Interessantes Gepäck hast du da", merkte Papa an. Ich verdrehte die Augen.

„Andi, du hast doch ganz vergessen, dass sie immerhin die Sukkulenten braucht", kam es von Mama. „Irgendwie muss man sie ja als Erdbändigerin identifizieren können."

„Genau. Wenn ich schon die fleischfressende Pflanze zu Hause lassen musste." Ich schnappte mir den Koffer und stellte ihn zu meinem weiteren Gepäck. Eigentlich wirklich zu schade, dass ich diese legendäre Pflanze nicht mitgenommen hatte. Sie hatte immerhin fast meine Biolehrerin verspeist, als sich meine Erdmagie zum ersten Mal bemerkbar gemacht hatte.

Mama drückte mir den Rucksack ebenfalls in die Hand und zog mich dann in eine feste Umarmung. Danach war Papa an der Reihe. „Pass auf dich auf, Anni", flüsterte er mir ins Ohr.

Ich lächelte. „Immer doch. Ich habe meine Pflanzen, schon vergessen?"

Er lachte warm auf. „Stimmt wohl. Trotzdem."

„Was haltet ihr da noch für Kaffeekränzchen?", meldete sich meine Mutter zu Wort. „Sie ist nur für zwei Monate weg, du brauchst das arme Mädchen nicht gleich zu zerquetschen."

Manchmal hatte sie wirklich kein Feingefühl. Trotzdem ließ mich mein Vater los und gesellte sich zu ihr. Ich schulterte meinen Rucksack und stapelte das Suitcase auf den größeren meiner Koffer.

„Sollen wir dir nicht noch helfen?" Papa warf einen prüfenden Blick auf mein Gepäck.

„Du kannst sie aber echt nicht gehen lassen, oder?", zischte meiner Mutter. Laut fügte sie dann hinzu: „Alles gut, du bekommst das hin. Viel Spaß mit deinen Elementen noch, Anni!"

„Für euch ist das hier immer noch ein Internat für Jugendliche mit besonderen Begabungen", ermahnte ich sie. Wie ich Mama kannte, konnte sie sich nie zurückhalten. Hoffentlich schaffte Papa es, ihre schnelle Zunge in Zaum zu halten. „Und das Anni kannst du dir sparen, ich bin keine acht mehr!"

Mein Vater zwinkerte mir im Weggehen verschwörerisch zu. Ich erwiderte seinen Blick kurz und drehte meinen Eltern dann den Rücken zu. Mit festen Schritten ging ich durch das Tor auf das Gebäude zu, das sich nun vor mir befand. Nach geradeaus schauen, rief ich mir selbst ins Gedächtnis. Das macht es leichter.

Im Hintergrund schlugen Türen zu, ein Motor heulte auf und Reifen rollten über den Asphalt. Ich sah beharrlich nach vorne. Es war zwar das erste Mal seit langem, dass unsere Familie getrennt war, aber ich würde das schaffen. Was sollte hier schon passieren, außer diversen Pflanzenunfällen?

Erst als die Geräusche unseres alten Golfs verklungen waren, konnte ich den Anblick der Grimm Akademie der Elemente wirklich bewundern. Sie befand sich inmitten des hessischen Odenwalds, umgeben von Bäumen in allen Grüntönen. Das Hauptgebäude war ein riesiger Schlosskomplex, mit kleinen Türmchen und einer kunstvoll verzierten Fassade. Es erinnerte mich an ein verspieltes Schloss Versailles, nur in ein wenig kleiner als sein barockes Vorbild.

Laut dem Infoflyer, der mit dem Einladungsbrief der Schulleiterin Lydia Schwab gekommen war, trug es den pompösen Namen Schloss Pristenstein. Angeblich war es früher einmal der Wohnsitz von Fürst Arnold von Pristenstein gewesen, von dem ich zuvor noch nie etwas gehört hatte. Womöglich kam das ja auch mit der Geheimhaltung der magischen Welt einher.

Der Ruf der ErdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt