48 | Tu ne cede malis, sed contra audentior ito

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Als Lorenzo in den Tiefen der Bibliothek verschwunden war, drehte auch ich mich um und machte mich auf den Weg zurück zu Thea. Natürlich starrten mir gleich mehrere Augenpaare hinterher. Doch an ihren Mienen konnte ich ablesen, wie verwirrt sie waren. Es hatte wohl niemand weitreichende Italienisch-Kenntnisse. Immerhin etwas.

Ich wusste genau, dass die Gerüchteküche danach brodeln würde. Die Info, dass Lorenzo mein Ex war, war bisher noch nicht sonderlich weit verbreitet gewesen. Aber nach diesem Streit würden die Leute sicher reden und ihre eigenen Geschichten dazu zusammenspinnen. Die ganze Aufmerksamkeit, die damit kommen würde, gefiel mir jedoch absolut nicht.

Bei unserem Stammplatz angekommen, ließ ich mich Thea gegenüber auf die Polster fallen. Dann entschied ich mich um und kam lieber zu ihr hinüber. Erschöpft lehnte ich mich an ihr an.

„Und?", fragte sie.

„Katastrophe", gab ich zurück und schloss die Augen.

„Was ist überhaupt passiert?"

„Lorenzo hat es sich in den Kopf gesetzt, bloß keinen Frieden zu schließen. Und das, obwohl er die letzten Monate noch versucht hat, unseren Streit beiseitezulegen."

Sie überlegte einen Moment. Dann fragte sie: „Und das ist typisch für ihn?"

„Eigentlich nicht, das ist ja gerade das Problem", beklagte ich mich. „Ich verstehe ihn absolut nicht mehr."

„Hm", machte sie nur. Ihre Hand fand meine, und eine Weile lagen wir nur verschlungen da.

In der Stille kam ich nicht drum herum, zu bemerken, dass es mit Thea zusammen leichter war. Sich einfach fallen zu lassen, irgendwie durchs Leben zu navigieren, Stress zu vermeiden. Es war so quasi das Gegenteil von wie es mit Lorenzo gewesen war. Mit ihm war es aufregender gewesen – doch was er nicht hatte geben können, war diese Ruhe und Gewissheit.

Und während ich darüber nachdachte, kam das Gefühl auf, Thea sollte wenigstens ansatzweise wissen, was passiert war. Nicht alles, natürlich. Von manchen Dingen in meinem Leben würde sie hoffentlich nie erfahren. Nie erfahren müssen. Aber mein Instinkt sagte mir, es wäre besser, wenn sie die Details zu den diversen Streits mit Lorenzo jetzt von mir und nicht wann anders von jemandem anders erfahren würde.

„Erinnerst du dich noch daran, als ich mich vor zwei Monaten mit Lorenzo gestritten habe?", begann ich. Ich hielt meine Stimme so leise wie möglich, Mithörer konnte ich so gar nicht gebrauchen.

„Davon hast du erzählt", kam es zurück.

„Nun, um es zusammenzufassen: Es ist deutlich stärker eskaliert als ich dir erzählt habe. Irgendwas ist passiert, das etwas in mir ausgelöst hat. Und diese negativen Gefühle haben sich eventuell auf meine Magie übertragen und sind dann quasi auf ihn losgegangen."

Sie schnappte erschrocken nach Luft. „Deine Magie?"

„Ja, deshalb bitte ein bisschen leiser", wandte ich ein.

„Du weißt, dass er dich von der Schule hätte fliegen lassen können, oder?", flüsterte Thea.

„Natürlich weiß ich das. Das war ja schon das Thema mit Konrad ein halbes Jahr bevor er umgebracht wurde."

„Das ist nicht gut."

Das hatte ich selber schon realisiert. „Keine Ahnung woher der Ausbruch wieder kam, aber es war anscheinend irgendetwas tieferliegendes, was mit unserer Trennung begraben wurde. Aber ich habe den Schaden wieder beseitigt." Zumindest auf der gesundheitlichen Ebene.

„Und er hat danach wirklich nochmal mit dir geredet?" Ihr erstaunter Tonfall traf mich. Ich versuchte, es zu ignorieren. Max kam mir wieder in den Sinn, wie er danach gefragt hatte, ob die Frau im Geheimgang tot war.

Der Ruf der ErdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt