31 | Audaces fortuna adiuvat

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„Beeil dich", zischte ich. „Da ist wer auf dem Gang, wir haben nicht mehr lange."

Max versuchte weiterhin, an dem Schloss herumzudrehen. Es tat nichts, außer Zeit zu verschwenden.

„Das wird doch nichts. Lass mich mal."

Ich schob ihn zur Seite und sah mir das Schloss erneut an. Zwei Zylinderlöcher. Kein Schlüssel. Es musste aber einen Weg geben, die Tür zu öffnen, sonst wäre da erst gar keine. Und die andere Person war wahrscheinlich auch nicht hierher, weil sie diesen Raum so interessant fand.

Kurzfristig schnitt ich dem sechsten Sinn die Magie ab und richtete sie aufs Schloss. Metall war schwer zu verformen, aber mit ein bisschen Mühe sollte es funktionieren. Im Unterricht hatte es auch geklappt.

Im Gegensatz zu dem der Magiestunden fraß dieses Metall jedoch ungewöhnlich viel Magie. Ich war unglaublich froh, jeden Tag trainiert zu haben, sonst hätte sich wohl auch unsere letzte Chance in Luft aufgelöst.

Immer mehr und mehr Magie verfütterte ich an das Schloss, bis ich das Gefühl hatte, auf dem Boden meiner Reserven angekommen zu sein. Es saugte mich förmlich aus, noch stärker als der sechste Sinn bei meinen ersten Versuchen. Meine Magie jedoch floss schnell. Sie erneuerte sich in rasender Geschwindigkeit.

Aber so lang ich auch wartete, das Schloss wollte immer mehr. Wie ein bodenloser Abgrund, der nie gefüllt werden konnte. Absurderweise kam mir jetzt die Geschichte der Raupe Nimmersatt ins Gedächtnis.

Und während ich versuchte, mich an deren Handlung zu erinnern, passierte es. Der Magiestrom entglitt mir, die Verbindung brach ab. Meine Mühen verpufften, ohne, dass sich irgendetwas geändert hatte.

Ich drehte mich zu Max um. „Hast du-"

Ein Energieimpuls traf mich frontal. Er glitt in meine Adern, breitete sich rasend schnell aus, schlitzte sie von Innen auf. Mir entwich ein schriller Schrei.

Während meine Beine aufgaben, versuchte ich, nach der Magie zu greifen. Sie zu besänftigen. Doch es war zu viel. Sie rutschte mir durch die Finger, wieder und wieder. Bis ich keine Kraft mehr aufbrachte, zu versuchen.

Quälend langsam entglitt mir die Kontrolle über meinen Körper. Wie von oben hinab beobachtete ich, wie ich verkrampft auf dem Boden lag. Wo Max war, konnte ich nicht erkennen. Nur, dass sich rote Flecken auf meinen Händen, in meinem Gesicht, überall auf meiner Haut ausbreiteten.

Ich wusste, dass ich erneut nach der Magie greifen musste. Wenn ich es irgendwie schaffte, die überschüssige Energie loszuwerden, hatte ich noch eine Chance. Ich konnte die Blutungen heilen. Ich konnte mein Leben noch retten.

Bei meinem letzten Versuch, die Magie zu greifen, wandte ich meine gesamte Kraft auf. Jedes Fitzelchen an Energie, das ich noch auftreiben konnte. Es war nicht viel, aber es musste reichen. Es musste einfach. Ich wagte mich erneut an den wütenden Strom in meinen Adern heran – und fiel in die Leere, als die messerscharfen Ströme plötzlich verschwanden.

Plötzlich war es ganz einfach, Magie abzuzweigen. Sie strömte durch meinen Körper, sanft wie immer, bloß ein wenig schwächer als sonst. Auf ihrem Weg heilte sie die Wunden. Halb bei Bewusstsein sah ich zu, wie die roten Flecken einem gesunden, olivfarbenen Hautton wichen.

Es dauerte kaum, bis ich wieder auf den Beinen stand. Alles fühlte sich so leicht an, nachdem der Schmerz verschwunden war. Auch wenn wir immer noch vor einem Problem standen. Meine Aktion hatte die Tür nicht geöffnet. Dafür hatte ich jetzt eine Idee, wie das funktionieren könnte.

„Bist...", begann Max.

Ich fiel ihm ins Wort. „Mir geht's super. Ich weiß jetzt, wie man die Tür aufkriegt. Zwei Schlüssellöcher. Wir richten beide unsere Magie auf das Schloss, du nimmst das untere, ich das obere. Auf drei. Ein, zwei..."

Der Ruf der ErdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt