13 | Acta est fabula

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Einen Moment später wachte ich auf. Helles Sonnenlicht fiel in den Raum und ließ mich blinzeln. Unter meiner Decke fühlte es sich jedoch warm an, ich musste mehr als ein paar Minuten eingenickt sein. Nach einem Blick auf mein Handy wusste ich genau, wie lang ich geschlafen hatte. Ganze vier Stunden. Ich hätte nicht gedacht, dass das Finden einer Leiche so erschöpfend war.

Im Allgemeinen kamen mir die Ereignisse von heute Nachmittag wie ein böser Traum vor. Es war nicht so, dass ich mich nicht erinnern konnte – die Bilder schwebten so deutlich vor meinen Augen wie nur wenige Erinnerungen. Trotzdem fühlte es sich so an, als hätte ich es einem Rausch erlebt. Nicht ganz bei Sinnen, eigentlich nur ein Zuschauer.

Ich holte das Handy zu mir und entsperrte es. „Tina? Sie ist wach", hörte ich gleichzeitig. Mein Blick schnellte zu Theas Zimmerteil. Sie saß mit angezogenen Knien auf dem Bett und schrieb irgendetwas in ein Notizbuch.

Von der anderen Zimmerhälfte kam nun auch Tina rüber. „Wie geht es dir?", fragte sie leicht besorgt. Unbegründet jedoch.

„Eigentlich nicht schlecht", gab ich zu. „Habe ich viel verpasst?"

Tina sah mich ungläubig an. „Du hast vor ein paar Stunden eine Leiche gesehen und dir geht's super?"

„Scheint so." Da wunderte ich mich selber drüber. Sie hatte immerhin recht. Vermutlich sollte ich das alles nicht so einfach wegstecken wie ich es nun tat. Aber die Wahrheit war, es war nur ein weiteres Bild, das sich in eine lange Reihe einreihte. Abgesehen davon, dass ich diesmal dabei gewesen war, woran mich die getrockneten Blutränder an meiner rechten Hand zuverlässig erinnerten.

Ich schlug die Decke zur Seite und ging zum Bad. „Stört es wen, wenn ich einmal duschen gehe?"

„Nicht wirklich", sagte Tina. „Es ist ja schließlich erst sieben."

Thea schien es auch nicht sonderlich schlimm zu finden, sie sah nur einmal kurz von ihrem Buch auf. Trotzdem beeilte ich mich. Einerseits wollte ich das unangenehme Gefühl, das sich seit der Damentoilette auf meiner Haut ausgebreitet hatte, loswerden. Und andererseits wusste ich immer noch nicht, was ich alles nicht mitbekommen hatte. In vier Stunden konnte viel passiert sein.

Genau nach dem fragte ich auch direkt nachdem ich aus dem Bad kam.

Tina holte tief Luft. „Erstmal das Organisatorische", fing sie an, „die sechste Stunde ist mehr oder weniger ausgefallen. Was in meinem Fall heißt, es ist komplett ausgefallen, in deinem, dass du dir deine Aufgaben trotzdem noch organisieren musst. Ich bezweifle allerdings, dass sie viel geschafft haben werden. Deutsch wird übrigens erstmal zwischen verschiedenen Lehrern aufgeteilt, bis es eine bessere Lösung gibt. Fällt also leider nicht aus."

Das war beides gut zu wissen. Um Mathe musste ich mich dann irgendwann noch kümmern. „Und was ist mit dem Nicht-Organisatorischen?"

„Da gibt es einiges." Tina zückte ihr Handy. „Einmal denken alle, es sei ein Mord gewesen. Es geht auch das Gerücht um, dass du Frau Verdivis umgebracht haben solltest, aber das werden wir ignorieren. Das würde absolut keinen Sinn machen.

Ich glaube allerdings auch, dass sie nicht von alleine gestorben ist. Wir haben nämlich jetzt Besuch von der Polizei. Dein Befragungstermin ist für morgen früh um neun angesetzt, Frau Schwab war vor einer Stunde da. Sie..."

Sie wurde von Leonie unterbrochen, die ins Zimmer platzte. In der Hand hielt sie ein Kännchen und eine leere Tasse.

„Tut mir leid, dass ich so spät bin, die bei der Umwelt-AG haben ein bisschen überzogen." Sie hielt mir die Tasse hin. „Ich habe Tee für dich mitgebracht. Ich hoffe, du magst Pfefferminz...?"

Der Ruf der ErdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt