63 | Alea iacta est

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Ich war alleine in Zimmer zweihundertzehn.

Die Betten um mich herum waren genau so hergerichtet, wie sie es am Tag unserer Ankunft gewesen waren. Eine helle Tagesdecke spannte sich über den gesamten unteren Bereich. Das große, weiße Kissen lugte darunter hervor, ein buntes Deko-Kissen auf seinem Haupt.

Nur bei einem der drei Betten ließen sich Ungereimtheiten auffinden. Die Tagesdecke war leicht zerknittert, das kleine Kissen lag nicht mehr perfekt an seinem Platz, die Konstruktion wirkte schief.

Mittlerweile war es jeden Tag dasselbe: Ich versuchte, die Stunden zu überstehen, ohne mit neugierigen Menschen interagieren zu müssen. Da das aber bedeutete, sehr lange alleine auf dem Zimmer zu hocken, musste eine andere Lösung her. Bisher hatte ich zwei Möglichkeiten entdeckt. Erstens lohnte es sich, zu Abendessenszeiten draußen laufen zu gehen. Und zweitens hatte ich bereits einige geheime Korridore im Schloss entdeckt, durch die man sich tatsächlich an fast alle Orte ungesehen bewegen konnte.

Doch selbst das war nun ausgeschöpft. Die Gänge waren entdeckt, die Zeit zwischen Aufwachen und Essen zu lang. Momentan schickten die Lehrer lediglich Aufgaben, die man erledigen sollte, während sie das Chaos beseitigten, das Fräulein Schneider hinterlassen hatte. Konzentrieren konnte ich mich aber ohnehin nicht, während mir die Leere des Zimmers im Nacken saß.

Ich starrte aus dem Fenster. Es waren einige Schüler unten im Garten unterwegs, Laufen war folglich keine Alternative. Dabei war das die Sache, die mich davor bewahrte, in der Nacht durchzudrehen. Wenn ich erschöpft genug war, würde ich nicht über die Geschehnisse der letzten Tage nachdenken. Ich würde nicht erneut versuchen, irgendeinen Trost in Theas verlassenem Bett zu finden.

Während das Leben draußen an mir vorbeizog, kreiselten meine Gedanken schon wieder eine altbekannte Spirale hinab.

Tina.

Leonie.

Felicia.

Thea.

Max.

Alle waren nach und nach verschwunden. Alle aus verschiedenen Gründen, zu verschiedenen Zeitpunkten.

Derjenige, der sich am Längsten gehalten hatte, war Max. Selbst nach dem Chaos im Keller hatten wir unser Bestes gegeben, um die Situation irgendwie erträglich für alle zu machen.

Es war überflüssig zu sagen, dass es nicht funktioniert hatte. Ich fühlte mich nach wie vor betrogen. Und was ihn anging, hatte ich die Vermutung, dass er mit Thea mehr redete als mit mir. Und zwischen Thea und mir herrschte Stille, seitdem sie vor vier Tagen das Zimmer verlassen hatte. Sie hatte nichts konkretes als Grund genannt, aber das war nicht nötig. Es war etwas in Felicias Illusion geschehen und ich zweifelte nicht daran, dass Felicia ihr Bestes gegeben hatte, um so viel Zerstörung wie nur möglich anzurichten.

All diese Dinge drückten mir wortwörtlich die Luft ab. Bis ich es nicht mehr aushielt.

Ich lauschte auf Stimmen auf dem Flur. Niemand war dort. Also verließ ich das Zimmer, hastete den Gang hinunter bis zu einer schmalen, unscheinbaren Tür. Sie führte nicht nur in eine Abstellkammer mit diversen Putzutensilien, sondern hatte auch eine Hintertür.

Durch diese schlüpfte ich, folgte der engen Wendeltreppe ein Stockwerk nach oben. Von dort aus schrieb ich eine kurze Nachricht und schickte sie ab, bevor ich es mir anders überlegen konnte.

Die Antwort kam innerhalb von zwei Minuten. Ich tat alles mögliche, um unbemerkt den Flur hinunterzukommen. Dann klopfte ich.

Die Tür öffnete sich nach wenigen Sekunden. Als er mich sah, schaute Lorenzo zuerst skeptisch, dann wurde seine Miene weicher.

Der Ruf der ErdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt