14 | Mysteria

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Ich sah auf die Uhr. Erst zehn vor neun. Es war genug Zeit, nochmal eine Runde draußen zu drehen. Ich hatte es dringend nötig, noch länger hielt ich es hier drinnen nicht mehr aus.

Ich stand auf und ging zur Tür. „Bin irgendwann gleich wieder zurück", sagte ich in den Raum hinein.

Doch bevor ich die Tür zuziehen konnte, kam Thea dazwischen. „Warte! Kann ich mitkommen?"

Ich hielt inne. Mitkommen? Sie? Doch warum eigentlich nicht. Ich wollte ohnehin nichts tun, wobei sie mich ausbremsen konnte. „Klar."

„Wohin gehen wir eigentlich?", fragte sie, als wir die Treppen in die Eingangshalle hinuntergingen.

War es für die Frage nicht ein bisschen spät? „Ich wollte eigentlich in den Wald. Einfach ein bisschen frische Luft schnappen, abseits von den ganzen Menschen hier."

Ich wusste nicht, ob ich eine Antwort oder Widerspruch erwartet hatte. Wenn wir in diesem Tempo in den Wald gingen, wären wir gefährlich nah an der Nachtruhe wieder zurück. Doch Thea nahm es schweigend hin und folgte mir aus dem Gebäude hinaus.

Selbst zu dieser Uhrzeit war der Garten noch gut gefüllt. Die meisten liefen einfach nur herum, manche hatten sich irgendeine Beschäftigung gesucht und einige wenige trafen wir sogar auf der Übungswiese an. Wie man noch so viel Motivation haben konnte, war mir ein Rätsel.

Aber je weiter wir uns vom Schloss entfernten, desto leerer wurde es. Die tiefstehende Sonne tauchte die Wege in ein sanftes Licht, die größeren Pflanzen warfen lange Schatten. Ich spürte, wie ich mich entspannte. Der Trubel innen war einfach zu viel gewesen.

Nach und nach wich die künstlich angerichtete Bepflanzung hohen Bäumen und weichem Waldboden. Gleichzeitig wurde es düsterer, die späte Urzeit machte sich nun deutlich bemerkbar. Vielleicht hätte ich doch lieber laufen gehen sollen. Dann hätte ich jetzt noch Zeit gehabt, bis zur Lichtung zu kommen, die ich vor zwei Tagen gefunden hatte. Wobei – wer sagte, dass wir pünktlich zurückkommen mussten?

„Hättest du Lust, zu einer Lichtung zu gehen?", fragte ich. „Es ist noch etwas hin, aber gerade am Abend sieht es da wirklich schön aus."

„Wie weit denn noch?", fragte Thea.

„Eine halbe Stunde?" Ich war wirklich schlecht darin, Laufzeit in Gehzeit umzurechnen.

„Wir würden zu spät kommen."

„Morgen wird ohnehin Ausnahmezustand herrschen. Da können die Lehrer gar keinen richtigen Unterricht machen." Und außerdem kümmerte es mich im Allgemeinen herzlich wenig, ob ich pünktlich zurück war. Vorausgesetzt, wir ließen uns nicht erwischen.

Thea überlegte kurz. „Wenn es sein muss", willigte sie schließlich ein.

Sofort verbesserte sich meine Laune. Ein längerer Weg bedeutete mehr Ruhe. Mit meinen Problemen musste ich mich dann wohl erst morgen wieder auseinandersetzen.

Es machte mir nichts aus, dass wir auf dem Weg zur Lichtung nicht viel redeten. Wir hingen beide unseren Gedanken nach, begleitet vom sanften Rauschen des Waldes. Bei mir waren das hauptsächlich meine Begegnung mit Max und meine Kräfte.

Schließlich kamen wir an. Die Bäume gaben eine unförmige ovale Fläche frei. Der Boden kletterte dort den Hang hinauf, an großen Steinen entlang. Die Umrisse dieser sah man jedoch nur spärlich, die Sonne war gerade dabei, hinter dem Horizont zu versinken. Nur noch vereinzelt ließen Lichtstrahlen den kleinen Wasserstrom aufblitzen, der sich einen Weg durch die Felsen bahnte.

„Es ist gemütlich hier, oder?", fragte ich.

Thea sah sich neugierig um. Ihr Blick ruhte lange auf den Felsvorsprüngen neben dem Wasser. „Und was jetzt?"

Der Ruf der ErdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt