28 | Quaestiones

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„Gut, fünf Minuten hab ich." Kathi kam auf mich zu und lehnte sich an die Mauer. „Wie weit bist du schon?"

„Ich habe es gestern im Wald ausprobiert", sagte ich. „Da hat es noch geklappt, als ich es auf den Boden ausgeweitet habe, nicht mehr."

Sie warf mir einen abschätzenden Blick zu. „Das wundert mich nicht. Es ist allein schon überraschend, dass du überhaupt etwas spüren konntest. Normalerweise passiert das erst irgendwann im dritten Jahr, daher war es auch bisher nicht auf meinem Plan. Aber egal, so schwer ist es nicht. Woran hat es gescheitert?"

„Zu viele Eindrücke im Boden." Ich versuchte, mich möglichst genau an die Ereignisse von gestern zurückzuerinnern. Größtenteils erinnerte ich mich jedoch daran, dass ich mir kaum Gedanken darüber gemacht hatte, was ich eigentlich tat. „Im Wald war es leichter, aber nach einer bestimmten Zeit ähnlich. Irgendwann war die Magie einfach aufgebraucht."

„Die üblichen Probleme also, wie meine Mentorin sagen würde."

„Diejenige, die dir im ersten Jahr geholfen hat, aufzuholen?", fragte ich. Dass es dafür einen Namen gab, hatte ich bisher noch nicht gewusst.

Ihre Mundwinkel zuckten. „Im Gegensatz zu dir war ich da noch nicht weit genug für den Stoff aus dem dritten Jahr. Ich meinte diejenige, die mich jetzt unterrichtet. Nach der Schule gibt es weiterführende Magieausbildungen, im typischen Meister-Lehrling-Stil. Damit wirst du vermutlich auch noch Bekanntschaft machen. Aber zurück zum Magie-Spüren. Wird unter Magiern übrigens auch der sechste Sinn genannt."

Das waren viele Informationen auf einmal gewesen. Doch leider machte Kathi keine Pause, sodass ich versuchte, sie abzuspeichern, ohne den roten Faden zu verlieren.

„Das Problem mit dem Ausgehen der Magie ist einfach zu lösen. Wenn du einmal einen Eindruck von der Umgebung geschaffen hast, brauchst du nicht mehr so viel aufzuwenden wie zuvor. Das Erkunden frisst nämlich bei weitem die meiste Energie. Aber pass auf, dass du es danach immer mit einer kleinen Menge an Magie fütterst, sonst bricht dir das Bild schneller zusammen als du blinzeln kannst."

Ich runzelte die Stirn. Etwas passte noch nicht ganz zusammen. „Wenn das Erhalten kaum Magie benötigt, warum hat es sie trotzdem derart schnell aufgesaugt?"

„Das ist seltsam, oder? Ist mir auch schon öfter passiert. Irgendwie reagiert der sechste Sinn anders als alle anderen Anwendungsmöglichkeiten. Wenn du nicht aufpasst und es von dir aus regelst, schluckt er deine gesamte Energie, ohne dass es etwas bewirken wird."

Sie sah kurz zum Schloss hinüber, dann beeilte sie sich zu erklären: „Das andere Problem kannst du in zwei Weisen angehen. Entweder, du trainierst deine Magie so sehr, dass es mir der Zeit einfacher wird. Das ist grundsätzlich immer eine gute Idee, wahrscheinlich solltest du das auf jeden Fall umsetzen.

Oder du bereitest dich auf die Eindrücke vor. Es ist genauso wie in einer Klausur. Es ist leichter, wenn du dir vorher einen Überblick über die Themen verschaffst und genug lernst. In dem Fall heißt es, du schaust dich um und überlegst, was dich erwartet. In einem Wald gibt es Bäume, in der Wüste Sand, in den Bergen Gestein. Wenn du vorher schon eine grobe Idee hast, was alles auf deine Magie reagieren könnte, wird es um einiges leichter werden."

Erneut schaute sie nach hinten und steckte die Hände in die Jackentaschen. „Gut, ich muss jetzt los. Probier aber ruhig schonmal weiter aus, viel schiefgehen kann nicht. Falls du noch irgendwelche Fragen hast, schreib mir einfach."

Ich nickte. Sie machte sich wieder auf den Weg zurück, ich blieb auf der verschneiten Wiese stehen. Es war suboptimal, dass unsere Trainingsstunde heute ausfiel und ich nur diese fünf Minuten hatte herausschlagen können. Ich hätte es wirklich dringend gebraucht.

Der Ruf der ErdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt