29 | Melius est prevenire quam preveniri

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Er verharrte in der Bewegung und drehte sich dann langsam um. Als er mich erkannte, fiel seine Anspannung ab. „Hast du mich erschreckt. Ich dachte schon, da kommt jetzt ein Lehrer um die Ecke."

Das hätte durchaus gut sein können. Trotzdem verschränkte ich die Arme vor der Brust, bereit, falls nötig sofort wieder abzuhauen.

„Was machst du hier?", fragte ich. Misstrauen schlich sich in meine Gedanken, auch wenn es logisch gesehen unnötig war.

„Dasselbe wie du vermutlich." Er klang wie die Entspanntheit in Person. „Es sei denn natürlich, du bist neuerdings unter die Schlafwandler gegangen. Was ich aber bezweifle."

Dasselbe wie ich also. „Und was tue ich gerade?"

„Die Schule nach der Geheimorganisation absuchen."

So langsam wurde es wirklich seltsam. Nicht nur, dass es ihn nicht wirklich wunderte, mich zu treffen, er wusste über alles Bescheid. Wenn seine Bemerkungen nur geraten waren, hatte er sehr selbstsicher jedes Mal ins Schwarze getroffen. Allerdings ahnte ich schon, woher er das Wissen hatte.

„Von wem weißt du das? Thea?"

Er nickte. „Sie meinte vor ein paar Monaten, ich sollte nach denen Ausschau halten. Zufällig ist es mir am Abend nämlich auch zu langweilig im Zimmer."

Ich ignorierte den Stich in meinem Herzen und die plötzlich wieder aufkommende Wut. Das würde mir gerade kaum weiterhelfen.

„Und, ist was dabei rausgekommen?", fragte ich spitz.

„So einiges. Ich kenne den Treffpunkt und die Tage, an denen sie zusammenkommen. Wer genau beteiligt ist, weiß ich leider noch nicht, aber das kann sich nur noch um Wochen handeln. Wichtig ist eher, dass man auf keinen Fall bemerkt wird. Sonst wechseln sie den Treffpunkt und die Uhrzeiten sofort. Das haben wir beide glaube ich schon erlebt."

In der hintersten Ecke meines Kopfes wusste ich, dass ich gerade emotional nicht besonders die Stabilste war. Aber was zu viel war, war zu viel. Und sein beiläufiger Tonfall war das Letzte, das ich noch gebraucht hatte, um zu explodieren.

„Das ist sehr schön für dich. Dann werde ich dich mal besser nicht aufhalten, damit du in aller Ruhe deine Untersuchungen weiterverfolgen kannst", fauchte ich. Ich versuchte nicht einmal mehr, meinen Zorn zu unterdrücken.

Unter seinem überraschten Blick machte ich auf dem Absatz kehrt. Ich ging mit möglichst würdevollen Schritten den Gang hinunter, doch als ich abgebogen war, begann ich zu rennen.

„Anna, warte! Was...", kam es aus Max' Richtung, schon so leise, dass ich es beinahe nicht mehr hörte. Ich blieb nicht stehen und folgte dem Gang weiter, bis zu den Naturwissenschaftsräumen. Von dort aus das kurze Stück bis in die Eingangshalle, die Treppe hoch, und schließlich war ich zurück bei meinem Zimmer angekommen.

Schwer atmend stürzte ich durch die Tür. Nicht jedoch, weil es das Gerenne anstrengend gewesen war, sondern aus Wut. Je länger ich darüber nachdachte, desto größer kam die Sache mir vor. Thea hatte ihm schon vor Monaten von unseren Ermittlungen erzählt. Was an sich vielleicht nicht das Schlimmste gewesen wäre, hätte sie es mit mir abgesprochen. Aber wie es aussah, hatte Max im Gegensatz zu mir deutlich mehr herausgefunden, das sie mit keinem Wort erwähnt hatte.

Ich bezweifelte keine Sekunde, dass sie von den Ergebnissen gewusst hatte. Die beiden erzählten sich ja sonst auch immer alles. Aber warum hatte ich da nichts von mitbekommen? Niemand konnte mir weismachen, dass es nicht wichtig gewesen wäre. Er hatte herausgefunden, wonach ich vergeblich gesucht hatte. Meine Mühen waren die ganze Zeit über vergebens gewesen.

Ich ließ mich aufs Bett fallen und stöhnte auf. Es war zum Schreien. Erst war noch alles okay, dann stritten Thea und ich uns über Moralvorstellungen, dann vertrugen wir uns wieder, dann küsste sie mich auf einmal und jetzt das. Ich wurde einfach nicht schlau aus ihr.

Der Ruf der ErdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt