57 | Vivere est militare

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Der Raum wurde plötzlich zu eng, zu stickig. Sie hatten Tina. Im Klartext bedeutete das, sie hatten etwas mit ihr vor. Etwas unangenehmes.

„Merda!", entwich es mir. „Thea, geh du zu Frau Schwabs-"

„Anna, ich verstehe kein Italienisch." Ihre Stimme klang leicht panisch.

So ein Mist. „Du gehst jetzt zu Frau Schwabs Wohnung", wiederholte ich möglichst ruhig auf Deutsch. „Wenn sie dort nicht ist, geh zu Herrn Emerson oder Matthias. Richte ihnen genau aus, was passiert ist. Ich suche Max. Wir treffen uns im Westturm."

„Ihr geht da nicht alleine hoch!"

„Wir sind nicht alleine. Du holst Verstärkung."

Ich steckte mein Handy ein, schlüpfte in ein paar Schuhe und verließ dann das Zimmer. Thea folgte mir. Bei den Treppen hielt ich noch einmal inne. „Pass auf dich auf", sagte ich und gab ihr einen schnellen Kuss.

Sie starrte nur angsterfüllt auf einen undefinierbaren Punkt und bewegte sich erst wieder, als ich es ebenfalls tat. Dann trennten sich unsere Wege. Ich hetzte den Flur entlang zu Max' Zimmer und riss die Tür auf. Max sah erschrocken auf. Wie Thea und ich war er allein im Zimmer.

„Ich brauche deine Hilfe", sagte ich drängend. „Sie wollen Tina umbringen."

In wenigen Sekunden war auch er fertig und begleitete mich erst den Gang hinab und dann die Treppen hinauf. „Sie wollen Tina umbringen?"

Ich nickte, meine Gedanken schon beim Westturm. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wie man da reinkam. „Hat mir Lorenzo geschrieben. Sie brauchen Blut für den Stein der Weisen."

„Warum gerade Tina?"

„Was weiß ich! Sie brauchen noch einen Luftbändiger, vielleicht haben sie sie ja einfach zufällig ausgewählt."

„Und was ist der Plan?"

Auch wenn mir bewusst war, dass seine Fragen berechtigt waren, hatte ich gerade absolut keine Nerven dafür. „Es gibt keinen Plan", fauchte ich. „Und jetzt bitte einen Moment Ruhe, ich habe keine Ahnung, wie wir in den Turm reinkommen."

Ein älterer Schüler sah uns irritiert nach, ich ignorierte ihn und raste in Richtung Westseite. Dort war eine alte Tür, die ziemlich sicher in den Turm führte. Max drückte die Klinke runter. Die Tür bewegte sich kein Stück. Automatisch tastete ich nach meiner Haarnadel, verwarf die Idee wieder. Das war zu aufwändig.

Kurzerhand griff ich nach meinen Kräften und bearbeitete das Metall des Schlosses. Beim nächsten Versuch ließ sich die Tür problemlos öffnen. Dahinter erschien ein düsteres, schmales Treppenhaus.

Nachdem wir drinnen waren, schloss ich die Tür absichtlich nicht. Hoffentlich würde ein Schüler von Neugier überwältigt werden und uns helfen kommen. Doch vorerst mussten wir Tina finden.

Wir rannten die Treppen hoch. Eine Tür nach der anderen zog an uns vorbei. Der Turm war größer als gedacht. Ich hatte mithilfe des sechsten Sinnes jedoch direkt diejenige ausfindig gemacht, die uns zu Tina führen würde. Der einzige Raum, der einen jungen weiblichen Körper beinhaltete, war der zweitletzte von oben.

Ich nahm zwei Stufen auf einmal, tat alles, um meine Geschwindigkeit noch mehr zu steigern. Noch sechs Stufen, vier, zwei. Dann hatten wir die Tür erreicht. Diesmal ließ sie sich problemlos öffnen.

Auf der Stelle verschaffte ich mir Orientierung. Der Raum war voll mit Gerümpel, alten Tischen, Stühlen, viel Staub. Mitten im Raum stand Malee Chakan. Und direkt neben ihr lag Tina, leichenblass.

Ich stieß einen spitzen Schrei aus, als sich ein Eiszapfen in meine Brust bohrte. Blitzschnell heilte ich die Wunde, dann stürzte ich mich auf das Ratsmitglied. Sie wagte es nicht, meine Freundin zu töten.

Der Ruf der ErdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt