𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟒

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Emilia

Am nächsten Morgen fuhr er mich nach Hause. Die Fahrt verlief angespannt und mein Kopf hörte nicht auf nach Verbindungen zu suchen. Den Namen des Fremden kannte ich immer noch nicht. Irgendetwas sagte mir, dass ich mich von ihm fern halten sollte. Seine Aura wirkte so dunkel und sein Ebenbild ließ die Leute abschrecken. Er war die Definition von Gefahr. Seine Worte waren wie Messerstiche, während seine Blicke dich in einen Bann zogen.

Er war anders. Anders, als die anderen Leute, denen ich immer über den Weg laufe.

Die Fahrt nach Hause gab mir die nötige Zeit um alles zu bearbeiten. Meine Augen konnte ich auch nicht für mich behalten. Wie hat er es geschafft so breit zu werden? Wie entstanden diese markanten Gesichtszüge und noch viel wichtiger. Warum sprach er so wenig? War seine Vergangenheit dafür verantwortlich? Wo war seine Familie? Wieso hat er diesen Mann verprügelt? Was steckt hinter dieser Fassade?

Das Auto wurde langsamer und die bekannte Umgebung um uns rum verdeckte mein Sichtfeld. Ein erleichtertes Seufzen entwich meinen Lippen, als ich es realisierte. Wir waren da.

Vor unserem kleinen Familienhaus parkte er ein und machte den Motor aus. Woher kannte er meine Adresse? Die Falte auf meiner Stirn verschwand so schnell, wie sie auch gekommen war, als er sein Gesicht sich zu mir drehte. Seine braunen Augen brannten sich in meine und tausende von neue Fragen bildeten sich in meinem Kopf.

„Denk an das, was ich dir gesagt habe, Emilia", seine Stimme brachte mich aus den Gedanken und ich zuckte unbemerkbar auf. Wieso fühlte sich jede meiner Bewegungen riskant an?

Ich nickte und blickte runter auf meine Hände, während die Worte meinen Mund verließen, als seien sie ein Versprechen. Ein Versprechen, dass nicht gebrochen werden darf.

Unter keinen Umständen.

„Ich werde nichts sagen", flüsterte ich und schaute auf, um seinem unlesbaren Blick zu begegnen. Langsam nickte er und starrte mir förmlich in die Seele. Sein Gesicht kam meinem näher und ich verlor die Fähigkeit zu atmen. War es Angst oder etwas anderes? Würde er mir etwas tun? Natürlich würde er das. Er war eine schlechte Person. Nicht wahr?

Sein Atem kitzelte meine Haut und es fiel mir schwerer als gedacht, nicht zurückweichen. „Ich tue kleinen hübschen Mädchen nicht gerne weh", raunte er mir zu. Seine Worte bedeckt mit warnenden Tönen. „Deswegen rate ich dir mich nicht dazu zu bringen."

Schluckend wendete ich den Blick ab und schaute geradeaus, bevor ich vorsichtig nickte und ihm zeigte, dass ich verstanden hatte. Ich wartet darauf, dass er sich von mir entfernte, doch er bleib genau da wo er war. Kalte Finger an meiner Wange ließen mich aufzucken und ich blickte verblüfft auf. Zuerst konzentrierte ich mich auf seine makellose Haut. Danach fokussierten sich meinen Augen auf seine perfekt geformte Nase und Lippen, bevor meine Augen komplett nach oben glitten und auf seine trafen. Ich sah nichts. Absolut nichts. Nur Leere.

Stumm strich er mir eine Strähne hinters Ohr und näherte sich diesem. Mein Herz klopfte wie verrückt und die Angst in mir stieg, während meine Wangen anfingen zu glühen. „Du brauchst keine Angst vor mir zu haben", hauchte er mir zu und bescherte mir eine Gänsehaut. „Du hast mich noch nicht wütend gesehen", flüsterte er und legte seine Hand auf meinem Nacken ab, bevor er seinen Griff verfestigte.

Wieder nickte ich und spürte, wie er sich langsam von mir entfernte und von mir abließ. Ohne eine weitere Sekunde zu verschwenden, stieg ich aus, machte die Tür zu und rannte auf unsere Haustür zu. Meine Hände griffen in meinen Rucksack rein und ich suchte hilflos nach den Schlüsseln. Als ich das kalte Metall spürte, griff ich danach, zog sie raus und öffnete die Tür mit zitternden Händen.

Drinnen angekommen, ließ ich die Tür hinter mir ins Schloss fallen und ließ mich gegen das kalte Holz fallen. Mein Rücken traf die Tür und meine Augen schlossen sich reflexhaft.

Endlich-

„Emilia?"

Erschrocken kreischte ich auf und riss die Augen auf, bevor ich mir die Hand vor den Mund klatschte, als ich bemerkte wie laut ich war. „Mum", nuschelte ich und ließ die Hand wieder fallen. Die warmen doch wütenden Augen meiner Mutter trafen auf meine und ich seufzte erleichtert auf, bevor ich mich wieder gerade aufstellte und auf sie zurannte. Überrumpelt stolperte sie zurück, als ich mich in ihre Arme warf und sie so fest drückte, als wäre mein Leben davon abhängig.

„Emilia? Ich habe dich tausend mal angerufen. Wo warst du?", fragte sie mich und umarmte mich zurück. Sofort löste ich mich von ihr, doch behielt meine Arme um sie rum. Sie sah so aus, als hätte sie geweint. „Es tut mir so leid", sagte ich schnell. „Ich habe nur bei einer Freundin geschlafen und vergessen es dir zu sagen. Außerdem war mein Handy leer."

Freunde hatte ich nicht einmal.

Sie zog eine Augenbraue nach oben und blickte mich ungläubig an. „Sicher?", fragte sie nach und kaufte mir kein Wort ab. Wortlos nickte ich und lächelte sie leicht an, während sich das Gefühl von Reue in mir ausbreitete. Seit wann log ich sie an?

„In Ordnung", sagte sie und gähnte müde auf. „Ich bin gerade von der Arbeit gekommen. Essen steht in der Küche, also bitte iss was. Und bleib nicht zu lang wach, ja?", sprach sie und drehte sich schon bei der Hälfte des Satzes um, um auf die Treppen zu zugehen. „Mach ich", rief ich ihr hinterher und schluckte den Klos in meinem Hals runter. Sie tat eindeutig zu viel. Nie gönnte sie sich eine Pause.

Papa's Tot hat sie mehr mitgenommen, als ich dachte.

𝐒𝐢𝐥𝐯𝐚𝐧 ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt