𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟕

8.7K 198 5
                                    

Emilia

Die Regentropfen fielen auf mich runter und eine ekelhafte Gänsehaut legte sich auf meine nasse Haut. Trotz der dicken Jacke, konnte ich spüren, wie alles in mir kalt wurde.

Ich wusste, dass es nicht mehr an dem Wetter lag.

Es war was anderes. Etwas, dass mich realisieren ließ, dass das alles echt war.

Der Wind wehte mir harsch entgegen und brachte ein paar meiner Haarsträhnen in mein Sichtfeld, doch ich machte mir nicht die Mühe, sie wegzupusten.

Meine Hände waren so eiskalt, dass ich sie nicht mehr spüren konnte. Wie benommen rieb ich sie aneinander und versuchte die Kälte verschwinden zu lassen, doch sie verging nicht. Nichts wurde warm. Alles war nur noch dunkel. Dunkel, obwohl wir Tag hatten.

Vorsichtig stand ich auf und klopfte die Erde von mir. Noch ein letztes Mal las ich mir die Buchstaben durch und drehte mich um. Die erste Träne rollte mir die Wange runter und ich spürte wie sich meine Brust zusammenzog.

Am liebsten würde ich hier bleiben. Hier bei ihm.

Abschied fiel jedem schwer. Aber zu wissen, dass man diese Person nie wieder sehen wird schlägt jedes andere Gefühl. Es ist so als würde dir die Luft zum Atmen weggenommen werden. Als würdest du das Zentrum jedes Auges sein. Als wärst du ganz alleine.

Selbst wenn es garnicht so ist.

Jeder ging damit anders um. Manche sitzen einfach stumm vor sich rum und fressen alles in sich rein, während die anderen keine Sekunde ihrer freien Zeit genießen können ohne in Tränen auszubrechen. Ich war eine Mischung von beidem. Manchmal da bin ich einfach still und akzeptiere, dass die Welt sich weiterdreht. Doch dann kommen diese Tage, an denen ich einfach nicht mehr kann. Tage, an denen ich all meine Selbstvernunft verliere und breche. Tage, an denen ich aufgebe.

Und das macht alles nur noch schlimmer. Denn dann folgt die Enttäuschung. Die Enttäuschung auf mich selbst.

„Dein Vater?" Eine tiefe Stimme ertönte hinter mir und ich zuckte erschrocken zusammen. Sofort wirbelte ich herum und traf auf dunkle braune Augen, die mich stumm musterten.

Der Fremde.

Was machte er denn hier?

Sein Blick glitt von mir zu dem Grabstein neben uns und seine Augenbrauen zogen sich zusammen. Ich konnte nur schwach nicken und zuschauen wie er sich dem Grab näherte.

Stumm glitt sein Blick zu mir. Er sprach kein Wort. Ich war dankbar dafür. Ich hasste Mitleid. Und noch mehr hasste ich es über Dinge, die einen fertig machten, zu sprechen. Manchen tut sowas gut. Doch mir? Mich hielt es auf. Das Reden hielt mich davon auf nach vorne zu schauen und die Vergangenheit ein für alle mal zu vergessen. Ich wollte das nicht.

„Du hattest recht", sprach er und ich runzelte verwirrt die Stirn. „Du hast ihnen nichts davon erzählt." Seine Gesichtszüge verblieben stahl hart und seine Stimme war immer noch kalt, doch ich konnte hinter seine Fassade blicken.

Es tat ihm leid. Er fühlte sich schlecht.

Er lag falsch. Ich hatte recht.

Wortlos stand ich da und schaffte es nicht den Mund aufzumachen.

Dann traf mich diese eine Frage.

„Wieso bist du hier?", fragte ich ihn. Ich wollte meine Stimme selbstbewusst halten, doch sie gab in der Mitte des Satzes auf. Seine Augen trafen wieder auf meine und ich wusste, dass er mein Flüstern gehört hatte. Wortlos nickte er an mir vorbei. „Mutter besuchen", die Worte verließen seinen Lippen mit Leichtigkeit, doch die Anspannung seines Kiefers ließ mich wissen, dass es alles andere als einfach war diese Worte rauszupressen. Es fiel ihm schwer, doch er behielt die Maske auf.

Er war keine schlechte Person. Er konnte es nicht sein. Er war nicht hier um mich zu verletzten. Er war hier um seine verstorbene Mutter zu besuchen. Den Mut ihm das alles zu sagen, hatte ich jedoch immer noch nicht. Ich weiß nicht ob es an seiner Größe und seiner Breite lag oder eher daran, dass ich nie wusste, an was er dachte, doch ich konnte es nicht. Er war ein verschlossenes Buch. Ein Rätsel. Etwas unerklärbares. Seine Geschichte hatte keine Lösung. Seine Existenz war undefinierbar.

Ein Mysterium.

Ich wollte mehr wissen. So viel mehr. Doch ich konnte mich nicht dazu bringen, ihn zu fragen. Er hasste mich immerhin.

„Wie heißt du eigentlich?", platzte es aus mir heraus und sein Kopf schoss hoch. Meine Wangen fingen an zu glühen, als ich den kleinsten Schimmer Belustigung in seinen Augen erkennen konnte.

„Silvan", antworte er und ließ seine Hände in seinen Hosentaschen verschwinden.

Silvan.

„Das ist ein schöner Name", sprach ich ohne richtig darüber nachzudenken. Meine Lippen spalteten sich zu spät, um die Worte zurück zu nehmen. Meine Augen weiteten sich und ich biss die Zähne zusammen. Habe ich das jetzt wirklich laut gesagt?

„Schön?", fragte er und zog eine Augenbraue nach oben, bevor sein Blick meinen traf. Ich presste die Lippen zusammen und versuchte nicht daran zu denken, dass ich jetzt bestimmt schon so rot wie eine Tomate aussehen musste.

„Deiner ist auch schön, Emilia", sprach er und betonte das Wort ‚schön' extra stark. Die Hitze auf meinen Wangen wurde immer größer und ich war froh, dass es regnete. Ich schaffte es nicht meine Augen von ihm abzuwenden. Wie schaffte er es auch so gut aussehen und das auch noch nass? Sein pechschwarzes Haar war völlig durchnässt, seine Augen am glänzen, während-

Ich wendete den Blick ab, sobald ich bemerkte was ich da tat. Die Stille wurde immer lauter und die Angst in mir kleiner.

„Komm." Seine Stimme brach mich aus den Gedanken. Verwundert blickte ich auf und schaute zu, wie er sich umdrehte und auf den Ausgang des Friedhofs zuging. Als ich ihm nicht folgte, blieb er stehen und drehte seinen Kopf in meine Richtung, bevor er eine Augenbraue nach oben zog.

„Warum steht du noch da? Komm, ich fahr dich nach Hause", er blickte mich so verwirrt an, dass es schon beinahe niedlich aussah. Seine langen Beine drehten ihn um und er ging weiter. Leicht überfordert stolperte ich ihm hinterher und glaubte sogar ein Zucken seiner Mundwinkel gesehen zu haben.

Innerlich klopfte ich mir triumphierend auf die Schulter.

Immerhin ein Anfang.

𝐒𝐢𝐥𝐯𝐚𝐧 ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt