𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟑𝟎

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Emilia

Seitdem wir auf der Flucht sind, habe ich das komische Gefühl, dass jeder meiner Schritte strengstens überwacht wird. Ich habe das Gefühl, dass jeder meiner Taten Konsequenzen mich sich zieht und ich niemandem trauen kann. Alle frischen Informationen, die sich in meinem Hirn abspeichern, fühlen sich illegal an. Natürlich war ich mir bewusst, dass ich Silvan an meiner Seite hatte, doch die Angst in mir verblieb genau da, wo sie die ganze Zeit gewesen ist. Roberto lief draußen immer noch rum. Atmend. Und ich wusste nicht, wie lange er brauchen wird, um uns zu finden.

Jede Nacht konnte ich nicht anders, als mich an seine Worte zurückzuerinnern. Es war so, als seien sie in mich rein tätowiert worden.

Schließlich werdet ihr beide heute sterben

Sogar an seine krätzige Stimme konnte ich mich erinnern. Entweder ich wurde langsam wirklich verrückt, oder auch etwas Schlimmes stand bevor. Entscheidungen treffen war auch keine Option. Es war so, als ob mein Hirn und mein Herz Krieg führten. Zwei Organe mit verschiedenen Meinungen und Perspektiven. Es macht mir Angst. Sehr Angst.

Silvan hielt sein Versprechen. Er beantwortete jede einzelne meiner Fragen und ließ meine Neugier etwas sinken. Er erklärte mir sogar den Plan.

Silvan nahm in der Zwischenzeit, in der wir damit beschäftigt waren, von Roberto weg zu kommen, Kontakt mit Rafael auf. Dieser besorgte uns die Tasche mit den Klamotten und den Lebensmitteln. Da erfuhr ich dann auch, dass der eigentliche Zimmer Service, der uns im Hotel unterbrochen hatte, gar kein Zimmer Service war. Es war Rafael.

Anscheinend hatte Silvan ihn dazu überredet die Jungs mit in den Plan zu ziehen. Sie wollen Roberto gemeinsam zur Strecke bringen. Wie es aussieht, haben sie alle genug von ihm. Da Rafael hinter ihm stand gilt es ihnen als Vorteil. Alles was sie tun müssen ist eine Ausrede erfinden und Roberto wird sie zurückwollen müssen.

Bevor die Jungs das Haus verließen, drückten sie Silvan eine weitere Schusswaffe und ein scharfes Messer in die Hände. Es soll angeblich nur zur Sicherheit dienen.

Gerade war Silvan dabei seine Wunden zu pflegen. Manche Schnitte an seinem Gesicht haben immer noch nicht geheilt und ich konnte meine Unsicherheit einfach nicht ignorieren. Stumm saß ich gegenüber von ihm auf dem Sofa und schaute ihm dabei zu. Er hatte sich nach vorne gelehnt und seine Ellbogen auf seinen Knien abgestützt, während er ohne richtig zu schauen mit dem Tuch über den Schnitt ging. Wusste er überhaupt was er da tat?

Natürlich tat er das. Ihm musste sowas schon öfters passiert sein, oder?

Ich machte den Mund zu spät auf, um die Worte zurückzunehmen. "Kann ich dir helfen?", bot ich leise an und schaute zu wie er in seiner Bewegung inne hielt. Seine Augen trafen auf meine und selbst ein Idiot konnte die Müdigkeit in ihnen erkennen. Wie lange ist es her, seitdem er richtig geschlafen hat? Selbst essen tat er nicht richtig. Die Jungs versuchten ihn beim Frühstück etwas runter zu zwingen, doch ein Blick seinerseits reichte aus, alle verstummen zu lassen.

Wortlos nickte er und legte das Tuch beiseite, bevor er sich zurück lehnte und die Augen schloss. Überrascht und erleichtert zugleich stand ich auf und ging ein paar Schritt auf ihn zu, bevor ich genau vor ihm zum Stehen kam. Mich runter knien um an seine Wunden ranzukommen, musste ich nicht. Nicht bei seiner Größe.

Wortlos griff ich nach dem Tuch und sprühte noch mehr Desinfektionsmittel drauf. Sanft ging ich damit über den größten Schnitt und versuchte nicht zu viel Druck auszuüben. Sie war zwar schon etwas trockener und verlor kein Blut, war jedoch noch zu frisch, um sie richtig anzufassen. Fertig damit, legte ich das Tuch beiseite und griff nach dem Faden und der Nadel, um sie zuzunähen. Währenddessen konnte ich nicht anders, als das Gesicht zu verziehen. Er zuckte noch nicht einmal zusammen. Völlig im Gegenteil. Er schien total ruhig zu rein. Beinahe entspannt.

Fertig mit dem Zunähen, griff ich nach einem passenden Pflaster und klebte es drauf. Vorsichtig ging ich mit meinen Fingerspitzen über die Kanten und ging sicher, dass es auch gut klebte. "Tut es weh?", fragte ich leise und blickte wieder auf. Seine Augen trafen auf meine und ich spürte wie meine Wangen anfingen zu brennen. Hatte er mich schon die ganze Zeit angestarrt? Sein Blick war so intensiv, dass es mich leicht aus der Fassung brachte. Zögerlich legte ich meine Hand auf seine Stirn und schätzte seine Temperatur. Er brannte förmlich. Sofort sprang ich auf und wollte mich auf den Weg zur Küche machen, um Lappen und kaltes Wasser zu besorgen, doch eine Hand griff noch rechtzeitig nach meinem Handgelenk und zog mich zurück.

Ich landete nicht auf dem Sofa. Ich landete auf seinem Schoß. Mit einem knallroten Gesicht versuchte ich leise entschuldigend aufzustehen, doch seine Arme wickelten sich so schnell um meine Taille, dass ich nicht die Chance dazu hatte. Seine kalten Augen trafen auf meine und ich spürte wie meine Atmung immer unregelmäßiger wurde. Was machte er da? Meine Hände lagen regungslos auf seiner Brust und ich wusste, dass es nichts bringen würde, ihn wegzuschubsen. Er wäre schneller.

Er steckte seine Hand aus und strich mir eine Strähne hinter das Ohr, doch ich war viel zu überfordert, um vernünftig zu reagieren. Noch nie war mir ein Junge so nahe. Noch nie habe ich auf dem Schoß eines Junges gesessen. Und noch nie hat mich einer so berührt wie er es gerade tat.

Seine Augen glitten über jedes Detail meines Gesichts. Müde und halb offen. Als wäre er in einer Art Trance.

Ich wusste nicht wie es passiert und warum, doch seine Augen machten Halt, sobald sie auf meine Lippen zustoßen. Sein Adam Apfel ging auf und ab und ich spürte, wie sich sein Arm um mich anspannte. Die Hand, die mir gerade noch eine Haarsträhne hinter das Ohr gestrichen hatte, fiel von meinem Gesicht und legte sich auf meinen Oberschenkel ab. Ein plötzliches Ziehen durchzog meinen Körper und ich zuckte erschrocken zusammen.

Sein Gesicht näherte sich meinem und ich blickte von seiner Hand auf. Er war mir nun so nah, dass ich seinen heißen Atem auf meiner Haut spüren konnte. Jeder Teil meines Körper fing an zu prickeln und die Gänsehaut, die sich schon seit der ersten Berührung auf meine Haut legte, wurde nur noch intensiver. So, dass es schon beinahe weh tat.

Erst als unsere Lippen nur noch Zentimeter von einander entfernt waren, wechselte sein Kopf die Richtung und fiel müde in meine Halsbeuge. Regungslos saß ich da und konnte erst einmal nicht registrieren, was passierte. Beide, seiner Arme drückten mich noch näher an ihn ran und ich konnte spüren, wie er sich in meine Berührung rein lehnte. Regelmäßige Atemzüge, die gegen meine Haut abprallten, sagten mir mehr, als Worte es je konnten.

Er war eingeschlafen. Eiskalt ausgeknockt. Unter mir.

Zögerlich legte ich meine Hände auf seine Schultern ab und versuchte mir einen Blick auf sein Gesicht zu verschaffen, doch es endete ohne Erfolg. Er hatte sich förmlich in mich rein gepresst, so dass er mir jeglichen Ausblick blockierte.

Ich sollte ihn wegschubsen. Aufwecken. Irgendetwas gegen das Ganze hier unternehmen.

Doch ich tat es nicht. Denn ich hatte keinen Grund mehr dazu.

Ich schloss die Augen und legte meine Arme um seinen Nacken, bevor ich meinen Kopf gegen seine Schulter lehnte. Ich genoss seine Wärme und seinen Duft. Doch nichts davon übertraf das Gefühl von Sicherheit, dass ich in diesem Moment spürte.

Nichts.

𝐒𝐢𝐥𝐯𝐚𝐧 ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt