Emilia
Ich hatte wirklich nicht erwartet es zu schaffen ihn zu überreden. Doch hier sind wir. Vor seinem Fernseher, der Rapunzel abspielte. Ich konnte spüren, wie er Löcher in meinen Kopf brannte, doch ich schaute nicht auf. Ich war viel zu sehr auf die Szene konzentriert. Rapunzel war gerade dabei sich selbst wegen Flynn zu opfern.
Disney Filme waren immer gut. Egal wenn ich mal gestresst oder traurig war. Sie sorgen sogar dafür, dass deine schlechte Laune vergeht. In solchen Momenten vergisst du kurz, dass du bereits älter geworden bist. Du vergisst die grausame Welt um dich rum und deine Probleme. Du vergisst, dass all das Schöne und Farbige bereits verschwollen ist.
Ich liebte es. Denn es war eine Ablenkung. Eine, die zur Sucht wurde.
„Silvan?", fragte ich ihn ohne den Blick von dem Bildschirm abzuwenden.
„Hm?"
„Welchen Film hast du immer als Kind geguckt?", fragte ich leicht lächelnd.
Er blieb still und ich schaute endlich zu ihm auf. Seine dunklen Augen trafen auf meine und ich spürte wie mein Herz anfing unkontrollierbar schneller zu pochen.
Wenn man mich fragen würde, was ich am meisten an ihm mochte, dann würde ich ohne zu zögern über seine Augen sprechen. Die, die dich in einer Art und Weise anschauten, wie es noch nie jemand gemacht hatte. Augenkontakt war nie meine Stärke, doch wenn es um ihn ging, dann könnte ich sie einfach stundenlang bewundern.
„Keine Ahnung", sprach er und zuckte mit den Schultern, bevor er seine Aufmerksamkeit dem Fernseher widmete. „Ich mochte keine Filme."
Eine Falte legte sich auf meine Stirn. „Was hast du dann immer gemacht?", ich wollte meine Verwirrung nicht zu sehr zeigen, doch ich schätze, dass es dafür bereits zu spät war.
Er seufzte und ließ seinen Kopf nach hinten fallen, bevor er anfing Löcher in die Decke zu starren. Was mich anging, ich konnte mich nicht dazu bringen, wegzuschauen. Ich konnte es nicht. Ich bewunderte seine vollen Lippen, seine langen Wimpern, die entspannten und doch so markanten Gesichtszüge und seine wunderschönen Augen.
„Ich habe geboxt." Seine tiefe Stimme vermischte sich mit etwas anderem, doch ich konnte nicht genau entziffern, was es war.
„Geboxt?", fragte ich ihn überrascht und spürte wie meine Neugier zurückkehrte. „Du warst doch noch ein Kind?"
Sein Kopf drehte sich in meine Richtung und ich konnte sehen, wie sich sein Kiefer langsam anspannte. „Es half mir", antwortete er und ließ seine Augen über jedes Detail meines Gesichts gleiten. „Durch das Boxen konnte ich besser mit-", er machte eine kurze Pause und räusperte sich. „-mit bestimmten Problemen umgehen."
Genauso wie ich es mit meinen ganzen Büchern und Filmen machte. Es war verrückt wie sehr wir uns unterschieden und doch so ähnelten.
„Boxt du immer noch?", fragte ich und setzte mich aufrechter hin. Seine Augen trafen wieder auf meine und ich schenkte ihm ein kleines aufmunterndes Lächeln.
„Ja", antwortete er und befeuchtete seine Lippen. „Aber illegal."
Das Lächeln auf meinen Lippen wurde kleiner. „Illegal? Wie meinst du das?", fragte ich ihn und versuchte meinen Ton vorsichtig zu behalten.
„Ich verdiene Geld damit. Nur passiert das ganze ohne die Einwilligung des Staates", antwortete er knapp. Sein Ton sagte mir, dass er nicht weiter davon sprechen wollte. Doch ich schaffte es nicht den Mund zu halten.
„Ist das nicht gefährlich?", fragte ich ihn leise und verschränkte meine Finger ineinander. Ihm könnte so doch etwas passieren?
„Was denkst du?", fragte er mich. Seine Stimme bedeckt mit Wut und Sarkasmus.
„Hör doch einfach auf damit?", fragte ich ihn und wollte mich innerlich backpfeifen. Ich sollte den Mund halten.
„Das ist nicht so einfach."
Ich konnte sehen, dass er die Geduld verlor und seufzte leise auf. „Tut mir leid. Ich wollte dich nicht-"
„Hast du nicht", unterbrach er mich ruhig. „Du sollst einfach aufhören, dir soviel Kopf zu machen. Ich weiß was ich mache."
Tat er das wirklich?
Ich nickte wiederwillig und blickte wieder zu dem Bildschirm. Er fing an mir mehr über sich zu erzählen. Das war doch gut, oder?
„Mein Vater ist an Lungenkrebs gestorben", sprach ich und betete, dass man mir nicht ansehen konnte, dass es mich dieser Satz viel Kraft gekostet hat. Es wurde still und das einzige, dass ich hören konnte war mein pochendes Herz, doch ich redete weiter.
„Er war ein guter Vater, doch so so stur. Ich habe ihn hunderte mal gesagt, nein tausende Male, er soll endlich aufhören mit dem Rauchen. Es würde ihn umringen. Es würde ihn krank machen. Doch er hörte nicht hin." Ich war überrascht, dass meine Stimme stark blieb. Sie brach nicht, noch zitterte sie. Ein Gefühl von Stolz braute in mir auf.
„Ich dachte immer, er nehme mich nicht ernst genug. Ich dachte, dass ich seinen Augen nur die kleine überreagierende Tochter sei und er deswegen nicht hinhörte, doch dann sah ich, dass Mamas Versuche auch nicht erfolgreich endeten."
Ich konnte spüren, wie er mich anschaute, doch vermied seine Augen weiterhin. Ein Blick in seine Richtung würde alles kaputt machen. Ich würde brechen und jegliche Hoffnung auf Stärke wegschmeißen.
„Er war süchtig. Und ich wusste es. Doch ich schaffte es nicht ihn davon abzuhalten. Selbst, als er anfing heftige Hustenanfälle zu bekommen," Ich konnte nicht aufhören zu reden. Es brannte, doch es fühlte sich so gut an. Befreiend beinahe.
„Ich kam von der Schule, als ich das erste Mal von seiner Diagnose erfuhr." Meine Stimme sank und ich konnte spüren, wie sich ein Kloß in meinen Hals legte, doch ich wich nicht zurück. Ich sprach weiter.
„Er hatte Chancen bekommen. So so viele. Doch er hörte trotzdem nicht auf." Das war mein Brechpunkt. Ich konnte die einsame Träne, die meine Wange runterrollte, nicht mehr aufhalten.
„Vor drei Jahren ist er gestorben. Ich war vierzehn an dem Zeitpunkt", flüsterte ich und wich mir die Träne weg, bevor sie die Chance hatte, auf den Boden zu treffen.
Meine Augen wurden immer wässriger und ich verlor die Kontrolle. Wie konnte ich nur für eine Sekunde lang glauben, dass ich stark genug dafür wäre. Silvan hatte recht. Ich war erbärmlich. Er hätte sich nicht entschuldigen sollen.
Ich krümmte mich und ließ meinen Kopf in meine Hände fallen, bevor ich anfing zu zittern. Ein Arm legte sich um meine Schulter und ich spürte wie er mich näher an ihn ran zog. Ein bitterliches Schluchzen entwich meiner Kehle und er legte seine Hand auf meinen Hinterkopf ab, bevor er meinen Kopf in seine Brust drückte. Und so brach ich komplett.
Ich weinte. So stark wie ich es lange nicht mehr gemacht habe. Ich wimmerte auf und verlor die Kontrolle meiner Atmung. Mit jedem Laut, der meinen Lippen entwich, wurde der Druck auf meiner Brust größer. Meine Schultern gingen auf und ab und ich schaffte es nicht mich zu beruhigen.
Er zog mich immer näher an sich ran. Sein Duft verwöhnte meine Sinne und Wärme umhüllte meinen ganzen Körper. Ich konnte nicht anders, als mich mehr in seine Berührungen rein zu lehnen. Es fühlte sich so gut an. Es fühlte sich so gut an, Wärme zu spüren, die ich schon lange nicht mehr gespürt habe. Ohne zu reden und ohne mich anzuschauen, sagte er mir alles, was ich hören wollte.
Ich bin für dich da.
Seine große Hand fuhr meinen Rücken entlang und versuchte mich zu beruhigen, während seine andere Hand sich ihren Weg durch meine Haare machte.
Ich wurde leiser. Mein Herz wurde langsamer und ich spürte alles kurz aufhörte zu passieren. Das einzige was existierte, waren nur er und ich.
Und ich war noch nie glücklicher, dass es so war.
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𝐒𝐢𝐥𝐯𝐚𝐧 ✓
RomanceSilvan wird von jedem gefürchtet. Seine dunkle Aura und seine distanzierte Persönlichkeit lassen die Leute zurückschrecken und bereuen, je in seine Richtung geschaut zu haben. Er lebt ein Leben in der Dunkelheit und versucht das gute Herz, dass in s...