𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟏𝟓

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Emilia

„Da ist ja wieder die hässliche Gans", Darcy's gehässige Stimme ertönte hinter mir und der Spott war nicht zu überhören. Ein Seufzen entwich meinen trockenen Lippen, bevor ich meinen Spind schloss und mich ihr widmete. Ich war überrascht sie alleine aufzufinden. Wo waren ihre ganzen Freunde? Ihre grünen Augen glitten über meinen Körper und ich kämpfte gegen den Drang an zurückweichen. Sie schaffte es ohne jegliche Worte jemandem das Selbstbewusstsein zu nehmen.

„Was ist los?", fragte sie mich und zog einen Schmollmund. „Musst du heulen?", ihre Worte sanken ein und ich biss die Zähne zusammen. Ohne ihr ein weiteren Blick zu schenken, wollte ich an ihr vorbeilaufen, doch ihre Hand griff noch rechtzeitig nach meinem Arm, bevor sie mich harsch zurückzog. Ich stolperte zurück und ihre Mundwinkel zuckten. Sie kam einen bedrohlichen Schritt auf mich zu und ließ mich erbärmlich zurückweichen. Ich musste mir nicht die Mühe machen, mich nach Hilfe umzusehen.

Die Gänge waren leer. Und selbst wenn hier jemand wäre, hätte keine einzige Seele mir geholfen.

„Ich habe dich gesehen", sprach sie und ich runzelte verwirrt die Stirn. „Mit Silvan." Ihre Worte ließen mich stocken. Woher kannte sie ihn? Meine Verwirrung brachte sie dazu, die Augen zu rollen. „Ach bitte, denkst du wirklich du wärst die einzige die ihn kennt? Die ganze Stadt kennt ihn, Süße." Der Spitzname „Süße" brachte mich zum erschaudern und ich nahm die neuen Informationen auf. Die ganze Stadt? Wow.

„Lass mich raten", sagte sie und schaute mich grinsend an. „Du wusstest es nicht", ein Lachen entwich ihr und sie schüttelte den Kopf, als könnte sie mich nicht glauben. Ich öffnete den Mund, um zu antworten, auf was weiß ich selbst nicht, doch sie ließ mich nicht. „Ist ja auch egal", sie zuckte mit den Schulter und kam mir noch näher. „Was mich aber wirklich interessiert, ist warum Silvan mit jemandem wie dir reden sollte. Kannst du mir das bitte erklären, Schlampe?", fragte sie und war mir schon so nah, dass ich den Geruch ihres teuren Parfüms riechen konnte.

Die Angst überfiel mich und ich wusste, dass ich keine Chance gegen sie hatte. Ich war ihr ausgeliefert.

„Hm?", fragte sie und schubste mich gegen die Spinds. Der Aufprall tat weh, doch ich behielt meine Lippen versiegelt. „Warum antwortest du mir nicht?", fragte sie und spannte den Kiefer an. Sie war sauer. Warum, wusste ich selbst nicht.

Ihre Lippen spalteten sich und sie setzte an, etwas zu sagen, doch wurde unterbrochen.

„Miss. Wingston, was wird das hier, wenn es fertig ist?", die Stimme des Schulleiters ertönte hinter uns und Darcy wirbelte herum. Die strengen blauen Augen des Rektors trafen auf meine und richteten sich wieder auf Darcy. Er hatte die Arme vor seiner Brust verschränkt und wartete auf eine angemessene Antwort. Doch es kam keine. Darcy blieb still. Denn sie hatte keine Zweifel daran, dass er alles mitbekommen hatte. Ihre Worte und ihr Verhalten.

„Mein Büro. Sofort", seine Stimme war kälter als zuvor und er blickte sie auffordernd an.

„Aber-" setzte sie an, doch wurde ein weiteres Mal unterbrochen.

„Jetzt." Seine Augen formten sich zu Schlitzen.

Schnaubend lief sie an dem Schuldirektor vorbei und ging auf das Büro zu, dass sich am Ende des Flurs befand. Die Falten in seinem Gesicht verschwanden wie auf Knopfdruck und er schenkte mir ein kleines Lächeln, dass ich unsicher erwiderte. Er kehrte mir den Rücken und folgte Darcy, die bereits im Büro war.

Na ja.

Wenigsten war der Schuldirektor auf meiner Seite.

~

Es regnete und ich hatte vergessen, einen Regenschirm mitzunehmen. Mit jedem Tropfen, der meinen nassen Körper traf, wurde mir kälter. Doch ich behielt den Kopf oben. Alle waren bereits weg und ich lief stumm den Weg entlang, der nach Hause führte.

Ein schwarzes Auto blieb neben mir stehen und ich hielt inne. Das Fenster kurbelte runter und meine Augen trafen auf dunkle braune die mich unglücklich musterten. „Du erkältest dich so", brummte er und schaute mich alles andere als zufrieden an. „Steig ein", auffordernd sah er mich an und ich seufzte auf. „Schon gut, ich-", er unterbrach mich. „Habe ich gefragt?" Er klang wieder so kalt. Was hatte er denn schon wieder?

Wortlos schüttelte ich mit dem Kopf und er zog eine Augenbraue nach oben. „Emilia", warnte er mich, wobei seine Stimme einen härteren Ton annahm. Seine Hände verfestigten sich um das Lenkrad und ich wusste, dass er die Geduld verlor. „Zwing mich nicht dazu auszusteigen", drohte er mir und sah mir gefährlich in die Augen. Ich biss die Zähne zusammen und versuchte mein pochendes Herz zu ignorieren, bevor ich mich von ihm abwendete und auf die andere Seite lief. Stumm stieg ich ein und spürte wie die Kälte langsam meinen Körper verließ.

Ich spürte seinen brennenden Blick auf mir und schaute auf. Die Farbe seiner Augen hatte sich nicht geändert. Er schien auf etwas zu warten. Aber auf was? Verwirrt legte ich den Kopf schief und schaute zu wie er sich zu mir vorlehnte. Mir stockte der Atem und mir wurde plötzlich so warm. Sein linker Arm schlich an mir vorbei und er zog an dem Anschnallgurt, bis das Klicken des Metalles ertönte. Nie nahm er die Augen von mir. Sein bekannter Geruch stieg mir in die Nase und ich war froh, dass ich nicht am stehen war. Meine Knie hätten definitiv aufgegeben.

Er ließ von mir ab und entfernte sich langsam von mir. Seine Hand griff nach dem Lenkrad, während die andere mit der Autoheizung beschäftigt war. Eine warme Luft wehte mir sanft entgegen und ich spürte wie die Anspannung meinen Körper verließ. Er fuhr los und meine Augen konzentrierten sich wieder ganz alleine auf ihn. Mit jeder Bewegung die er machte spannten sich seine Arme an und es fiel mir immer schwerer wegzuschauen.

Sein Kiefer war ebenfalls angespannt und definierte seine markanten Gesichtszüge nur noch mehr. Seine Augen blickten starr geradeaus und ich erinnerte mich zurück an Darcy's Worte.

Die ganze Stadt kennt ihn, Süße.

Wie? Wie war das möglich?

„Emilia" seine Stimme ertönte neben mir und ich schaute verwundert auf. Seine dunklen braunen Augen trafen auf meine und ich bemerkte, dass wir bereits angekommen waren. Mama's Auto stand aber nicht in der Auffahrt, was bedeuten musste, dass sie noch auf der Arbeit war.

Ich spielte mit dem Riemen meines Rucksacks und zwang mir ein kleines Lächeln auf die Lippen. „Danke", brach ich heraus. Er reagierte nicht. Stumm blickte er mich an und sprach kein Wort. Ich presste die Lippen zusammen und nickte kurz, bevor ich mich abschnallte und ausstieg. Der brummende Motor ertönte erst dann, als ich bereits drinnen war.

Er war keine schlechte Person. Er war bloß eine ruhige Seele mit einer lauten Vergangenheit.

Und ich wusste nicht, ob das etwas gutes oder etwas schlechtes war.

𝐒𝐢𝐥𝐯𝐚𝐧 ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt