𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟕𝟎

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Emilia

Mir war schon immer klar, dass ich nicht die einzige Person auf dieser Welt war, die ihre eigene Existenz in Frage stellte. Ich wusste, dass ich nicht alleine damit war, mich selbst für Antworten zu zerstören.

Ich wusste, dass jede Seele da draußen Sorgen hatte. Hintergedanken. Stille Wünsche oder Schreie, die nie ausgesprochen oder gehört wurden.

Ich wusste, dass viele Chancen auf dieser Welt kamen und gingen, während keiner davon erfuhr. Perspektiven oder Meinungen, denen nicht genug Beachtung geschenkt wurde.

Ich wusste das. Natürlich.

Doch all dies hielt mich nie davon ab, mein mentales Eigentum für mich zu behalten.

Ich sehnte mich schon lange nach Liebe. Ich tat es immer. Schon seitdem ich ein Kind war.

Angefangen hat das alles damit, dass meine Mutter mir ein Buch zu meinem 12.Geburtstag schenkte. Ich schenkte diesem jedoch nicht besonders viel Beachtung anfangs. Warum auch? Ich war ein Kind. Und alles was man mir schenkte waren Blätter voll geschrieben mit Wörtern.

Was sollte daran schon besonders sein?

Nicht wahr?

Ich schaute nicht dahinter. Ich erkannte die Schönheit hinter diesen Sätzen nicht. Die Bedeutung.

Doch an einem Tag, da änderte sich alles.

Denn an diesem Tag entschloss ich mich dazu dem Lesen eine Chance zu geben.

Ich wollte sehen, warum es Leute so sehr faszinierte. Warum es Leute gab, die immer noch existierten und ein paar bedeutungslose Stücke Papiere eher wählen würden, als ein nagelneues Handy.

Ich wollte verstehen.

Ich wollte erkunden.

Und das tat ich dann auch.

Nur hätte ich nicht erwartet, süchtig danach zu werden.

Ich wurde süchtig nach dem Gefühl etwas zu erleben. Etwas, dass ich in der Realität niemals erleben könnte. Ich wurde süchtig nach den Personen, die nichts anderes waren, als ausgedruckte Buchstaben. Denn sie verstanden mich mehr, als die Menschen, die mich in Wirklichkeit kannten.

Es verwirrte mich. Doch ich hörte nicht auf, denn ich war wie betrunken. Konsumiert. Besessen.

Bücher wurden zu meinem Ausweg aus der Realität. Zu einer Pause, ohne Wahrheit. Zu einem Medikament ohne Nebenwirkungen. Ich konnte dem grausamen Teufelskreis des echten Lebens entfliehen und etwas tun, dass zu schön war, um wahr zu sein.

Wie konnte man da nein sagen?

Abends würde ich dann in meinem Bett liegen und in die Decke starren. Ich würde denken.

Existierte das Leben auf Papier auch in Wirklichkeit?

Existierten solch gute Menschen aus Tinte, auch im echten Leben? Denken sie genauso oder ist das alles nur Vorstellung?

Fühlte sich alles wirklich so an, wie dort beschrieben wird?

Wenn ja, würde ich es jemals bekommen? Erleben?

Ich war jung, als Papa noch da war. Ich kann mich fast kaum an die Dinge erinnern, die er zu Mama immer gesagt hatte. Es sind nur kleine Ausschnitte. Ausschnitte aus winzigen Videos, in denen Papa von der Arbeit nach Hause kommen würde und sich in Mamas Arme schmiss. Ausschnitte aus Bildern, in denen Papa Mama so anschaute, als sei sie das einzig noch Existierende auf dieser Welt.

𝐒𝐢𝐥𝐯𝐚𝐧 ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt