𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟔

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Silvan

„Bist du komplett bescheuert geworden?", schrie mich der alte Sack an und haute gegen den Tisch. Innerlich in mir herrschte ein Sturm, doch von außen ließ ich es mir nicht anmerken. Es wäre dumm. Naiv. Sie würden es ausnutzen. Angst ist Schwäche. Und wenn sie Schwäche sehen, bist du automatisch gefickt. Ohne wenn und aber.

Er stand von seinem Stuhl auf und kam mit schnellen Schritten auf mich zu, bevor er stehen blieb und auf mich runter blickte. Seine Augen wurden groß und die Vene an seinem Kopf sah so aus, als würde sie gleich platzen. Ich bin überrascht, dass er noch gerade stehen kann. Ist der Bastard nicht zu dick dafür?

„Steh auf", befahl er und fixierte mich mit einem Blick, der mir glaube ich Angst machen soll. Stumm stand ich auf und schaute zu wie er mir noch näher trat. Der Geruch von Bier stieg in meine Nase und ich kämpfte gegen den Drang an das Gesicht zu verziehen. Eine Zahnbürste kannte der Hurensohn auch nicht?

Seine Brust traf meine und ich biss die Zähne zusammen, während ich auf ihn runterblickte. „Du weißt genau, dass sowas alles schlimmer macht, oder? Ein Mitglied unserer Rivalen beinahe tot zu prügeln wird uns nicht weiter helfen. Hast du den Verstand verloren?", seine Stimme wurde immer lauter und die Farbe in seinem Gesicht rötlicher. „Von den anderen hätte ich das erwartet, aber von dir?" Er lachte lauthals auf. „Du bist doch immer der Ruhige? Wer hat dir den Kopf verdreht?"

Seine Worte sanken ein und ich spürte die Wut in mir aufbrodeln. Dieser Typ hatte mehr als nur leichte Prügelei verdient. Selbst der Tot wäre zu gnädig. Sie alle sind verantwortlich. Verantwortlich für den Tot meiner Mutter. Wieso sollte ich wegschauen, wenn ich es weiß? Wieso wegschauen, wenn ich weiß, dass sie der Grund dafür sind, dass ich nie wieder mehr in die warmen Augen meiner Mutter blicken darf? Warum sollte ich?

Doch ich hielt den Mund. Wie ein erbärmlicher Feigling. Denn ich wusste, dass ich keine Chance hatte. Ich hatte keine Chance gegen sie alle. Sie würden mich umlegen und irgendwo verstecken, wo man mich nie finden könnte, bevor ich die Chance hätte den Mund aufzumachen.

So war es, wenn man einmal was gesehen hat, dass man hätte nicht sehen dürfen. Du kommst da nie wieder mehr raus.

„Das kommt nie wieder mehr vor! Hast du mich verstanden?", rief er und ballte seine Hände zu Fäusten. Sein Gesicht kam meinem näher und ich wollte nichts lieber, als meine Faust mit diesem kollabieren zu lassen.

So einfach war es aber nicht.

Stumm nickte ich und schaute zu, wie er sich wieder langsam von mir entfernte und um seinen Bürotisch lief, um seine Dokumente zu ordnen. „Du kannst gehen", murmelte er und ich verschwendete keine weitere Sekunde. Ich drehte mich um und verließ das stickige Büro bevor ich in den nächsten Flur abbog.

Meine Schritte wurden langsamer und ich blieb komplett stehen, als ich ihn erkannte. Seine grünen Augen blickten mich amüsiert an und er zog eine Augenbraue nach oben, bevor er einen Schritt auf mich zukam.

Elias.

Einer von den vielen Jungs die auch für unseren Boss Roberto arbeiteten. Was heißt arbeiten? Wir hatten keine andere Wahl. Doch Elias war etwas anders. Er hatte ein Problem. Mit mir. Warum war mir selbst nie klar.

„Na?", grinste er und kam mir noch näher. „Wie hat er es verarbeitet?", seine Frage ließ mich stocken. Die Realisierung traf mich wie kaltes Wasser und ich spürte, wie sich jeder Teil meines Körpers anspannte. Er hat ihm davon erzählt. Er hat allen davon erzählt.

Mein Auge zuckte. Dieser verfickte Bastard.

So schnell, dass er nicht reagieren konnte, lief ich auf ihn zu, packte ihm am Kragen und drückte ihn an die nächstgelegene Wand. Schmerzhaft keuchte er auf und versuchte sich von mir zu befreien, doch mein Griff war viel zu stark.

„Wieso?", fragte ich ihn und kam direkt auf den Punkt. Die Wut in mir war unmenschlich. Sie fraß mich auf. Sie verbreitete sich. In Sekundenschnelle.

Die Belustigung in seinen Augen war weg und er fixierte mich mit einem harten Blick. „Warum wohl?", fragte er mich. Seine Stimme bedeckt mit Spott. Ich drückte fester zu und wusste, dass ihm langsam die Luft ausging. Mein Gesicht kam seinem näher und ich biss die Zähne zusammen. „Das war dein erster Fehler", sprach ich leise und verpasste ihm eine. Der Aufprall war so fest, dass meine Faust anfing zu pochen. Doch das Geräusch, dass seiner Kehle danach entwich, war es wert. Er landete auf dem Boden und hielt sich an seine Nase, die anfing in Strömen zu bluten.

Ohne ihn groß weiter zu beachten ging ich an ihm vorbei und ließ meine Schultern einsacken.

Von mir aus kann er verbluten.

„Wie heißt die Kleine nochmal?", rief er mir hinterher. Seine Stimme war schwach, doch nicht leise genug um sie zu überhören. Meine Schritte wurden langsamer, während ich seine Worte verarbeitete.

Emilia, richtig?"

Meine Hände formten sich zu Fäusten und ich schloss die Augen. Wie lange stand er da?

Ihre braunen Augen kamen in mein Sichtfeld und ich erinnerte mich an das zurück das heute morgen passierte. Nilsen, ein weiterer Junge unserer Gang, sprach mich an und erzählte das es draußen war. Jeder wusste, dass ich den Bastard verprügelt hatte. Mein Kopf handelte zu erst und ich dachte sofort an das Mädchen, das alles mitangesehen hatte. Ich gab ihr die Schuld.

Als sie dann meine Hand nahm und mich mit Tränen in den Augen anblickte, während sie versuchte mir zu erklären, dass sie es garnicht war, schien die Welt für mich stehen geblieben zu sein. Sie sprach von ihrer Mutter und wie sie das Risiko für sie nicht eingehen würde. Ich glaubte ihr. Ich weiß nicht ob es an ihren Augen lag, oder eher an der Erwähnung ihrer Mutter, doch ich glaubte ihr. Etwas an ihr sagte mir, dass sie nicht das Herz hatte dazu, zu lügen.

Roberto rief mich zwei Tage später an. Er fand's auch raus.

Und hier sind wir.

„Ich sag es dir nur einmal. Und ich hoffe für dich, dass es das letzte mal sein wird", sprach ich und drehte mich langsam zu ihm um. Wie ein Hund lag er immer noch auf dem Boden und blickte zu mir auf. „Schau sie nur falsch an", sprach ich und ging einen Schritt auf ihn zu. „Und du wirst sehen, dass es noch ekliger für dich ausgehen kann."

Mit diesen Worten drehte ich mich um und verließ diesen scheiß Ort.

Ich brauche eine Zigarette.

Jetzt.

𝐒𝐢𝐥𝐯𝐚𝐧 ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt