𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟏𝟑

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Emilia

Meine Schritte waren langsam und mein Herz so schnell, dass ich eine Sekunde befürchtete, dass es explodieren würde. Meine Hände schwitzten und alles kam mir vor wie ein Deja Vu. Ich konnte so viele Augenpaare auf mir spüren, doch schaute nicht hin. Ich behielt die Augen auf den Boden und beschleunigte nur mein Tempo.

Jetzt kommt die wichtige Frage.

Was tat ich im Ghetto?

Schon wieder?

Nun ja, das einzige was ich wollte, war mein Buch zurückzugeben und plötzlich wusste ich nicht mehr wo ich war. Genauso wie das letzte Mal. Ein dreijähriges Kind hätte mich sogar ausgelacht. Ich bog in den nächsten Blog ab und zog mein Handy raus.

22:23

Nicht so spät wie das letzte Mal, aber trotzdem zu spät. Wir hatten Winter, weswegen es bereits dunkel war und einzelne von Sternen auf mich runter funkelten. Mama war schon wieder am arbeiten und es war endlich Wochenende. Nur hatte ich es mir eigentlich etwas anders vorgestellt.

Ich bog in dem nächsten Block ab und knallte unerwartet gegen eine harte Wand. Erschrocken keuchte ich auf und spürte wie mein Herz aussetzte. Das Kollabieren ließ mich ein paar Schritte zurück taumeln und ich brauchte ein paar Sekunden um mich wieder zu sammeln und aufzuschauen. Selbst in der stillen Dunkelheit konnte ich sie sehen. Dunkle braune Augen, die beinahe schwarz aussahen.

Silvan?

Sein Kiefer war angespannt und seine Hände waren zu Fäusten geballt. Er war definitiv nicht glücklich. Und ein Teil meinerseits war sich auch bewusst wieso. Er wollte mich wirklich nicht hier haben, oder?

„Silvan-", setzte ich an, doch wurde harsch unterbrochen. „Du kannst dich nicht einmal an etwas halten, oder?", fragte er mich und kam einen gefährlichen Schritt auf mich zu. Ich weiß nicht ob es an der Dunkelheit lag oder an seinem dunklen Ton, doch ich erwischte mich dabei, wie ich zurückwich. „Habe ich dir nicht gesagt, dass du nicht mehr herkommen sollst?", knurrte er und kam einen weiteren Schritt auf mich zu.

Ich hasste es wenn man mich anschrie.

„Silvan-", versuchte ich es wieder, doch er gab mir nicht die Chance dazu. Seine Hand griff fest nach meinem Arm und zog mich näher an ihn ran. Ich unterdrückte mir ein Wimmern. „Wieso bist du hier? Bist du zu dumm, um einmal zuzuhören?" Seine Worte waren wie Messerstiche, die geradeaus in mein Herz stachen und ich behielt den Kopf unten, um es mir nicht anmerken zu lassen. „Ich hasse solche Menschen wie dich, weißt du das? Kleine Mädchen die nicht wissen was sie tun und jede freie Sekunde als Chance nehmen, um sich in Gefahr zu bringen."

Seine Stimme wurde immer lauter und ich zuckte zusammen. Das Gefühl von Panik breitete sich in mir aus und ich versuchte mich von seinem Griff zu befreien.

„Wieso so still? Du hast doch immer so einen großen Mund und wirst schnell frech? Warum so still auf einmal?", knurrte er und verfestigte seinen Griff. Diesmal konnte ich mir ein leises Wimmern nicht unterdrücken. „Du tust mir weh", flüsterte ich und es wurde still. „Sprich lauter", sprach er kalt. Meine Lippe fing an zu zittern, als seine Finger nach meinem Kinn griffen, um meinen Kopf anzuheben und die erste Träne rollte mir die Wange runter, als seine Augen auf meine trafen.

Sie verschwanden wie auf Knopfdruck. Die ganze Wut. Der ganze Hass. Der Spott. Alles, was sich bis vor kurzem noch in seinen Augen widerspiegelte. Übrig blieben Reue und Realisierung. Sofort ließ er von mir ab und ich drückte mich enger gegen die Wand. Diesmal hatte ich wirklich Angst vor ihm. Ohne jegliche Zweifel.

„Emilia", mein Name entwich seinen Lippen so leise, dass ich eine Sekunde lang dachte, es wäre nur Einbildung. „Es tut mir leid. Ich-ich wollte dir nicht-"

Ich unterbrach ihn. „Ist schon in Ordnung." Das Zittern in meiner Stimme entging uns beiden nicht und sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, die einen denken ließ, er hätte furchtbare Schmerzen. „Nein", sprach er und kam auf mich zu. Zu erst wollte ich ihn davon abhalten, doch ließ es sein, als ich die Ruhe in seinen Augen erkannte. Er wollte mir nichts tun. Er hatte es nie vor.

Seine Hände griffen nach meinen Schultern und sein Gesicht kam meinem näher. Meine Augen wurde kugelrund und mir stockte der Atem. Trotz der Kälte und dem Stoff meiner Jacke fühlten seine Hände sich so groß und warm an. Der angenehme Duft von Aftershave gemischt mit Zigaretten stieg in meine Nase und ich spürte, wie die Anspannung meinen Körper verließ. „Hab keine Angst vor mir, bitte. Es sind schon genug", seine Stimme war leise. So leise. So gebrochen. Es war beinahe eine Bitte.

Mein Herz wurde schwerer, als ich den kleinen Schimmer von Schmerz in seinem Gesicht erkennen konnte. „So bin ich nicht. Das will ich nicht sein. Bitte-"

Bevor er den Satz beenden konnte, schling ich meine Arme um seinen Nacken und zog ihn an mich ran. Sofort verstummte er und erstarrte wie auf Knopfdruck. Seine Hände fielen von meinen Schultern und lagen regungslos in der Luft, während er keine Anstalten machte, die Umarmung zu erwidern. Seine Brust sank und erhob sich unregelmäßig und ich spürte wie sein Herz anfing immer schneller zu schlagen.

Ich glaube, dass ich ihn etwas überrumpelt habe.

Doch er schubste mich nicht weg. Er sagte nicht, dass ich mich von ihm entfernen soll, also blieb ich genau da wo ich war.

In den Armen eines Jungen, der versuchte das Gute, dass noch in ihm steckte, zu verstecken.

𝐒𝐢𝐥𝐯𝐚𝐧 ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt