𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟒𝟖

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Emilia

Ich hatte das Gefühl, ich träume.

Nur war das leider kein Traum. Es war echt.

„Du willst was?", rief ich und bereute meinen lauten Ton sobald er seinen scharfen Blick auf mich richtete.

Das kann nicht sein. Nein das darf nicht sein.

Was wurde aus ‚warten'?

„Silvan", sprach Miguel mit einem ruhigeren Ton und schüttelte ungläubig mit dem Kopf. „Sie hat recht. Dieser Plan ist absolut verrückt."

Silvan ignorierte ihn und blickte mit leerer Miene wieder zu mir runter. „Geh hoch, Emilia."

Ich presste die Zähne zusammen und verschränkte die Arme vor meiner Brust, bevor ich anfing mit dem Kopf zu schütteln. Das konnte er vergessen. Es war so gefährlich. Wieso dachte er nicht nach? Was ist passiert, dass er jetzt wieder so rot sehen muss?

Provokant hob er eine Augenbraue und kam mir einen Schritt näher. „Nein?", seine Stimme war nicht laut, aber ich wusste, dass er innerlich gerade am Platzen war, als er mich fragte.

Ich seufzte leise auf, als ich bemerkte wie dumm das Ganze war. Ich will nicht, dass er mich falsch verstand. „Silvan. Ihr-Ihr könnte doch noch warten-"

„Können wir nicht", unterbrach er mich kalt und ging an mir vorbei, um nach seiner Waffe zu greifen, die auf dem Fernsehtisch lag. „Ich werde das alles heute beenden."

„Silvan", mischte sich Malik ein und blickte ihn begeistert an. „Wie willst du das anstellen? Sergio's Leute alleine sind schon über Hundert. Wie willst du es gegen Roberto's Team aufnehmen? Das ist Selbstmord."

„Da hat er recht", murmelte Rafael, der zurückgelehnt auf dem Sofa saß und blickte durch die Runde. „Wir brauchen noch etwas Zeit-"

„Ich kann mich nicht daran erinnern, dass er euch gefragt hat", unterbrach ihn Elias und verschränkte die Arme vor seiner Brust, bevor er seinen Blick mir widmete. „Sein Wort über alles."

Meine Hände ballten sich zu Fäusten. Sie wollten ihm doch nur helfen. Jetzt einfach loszugehen und das ohne den eigentlichen Plan einzuhalten ist lebensmüde. Wieso kann er das nicht sehen?

„Elias", sprach Silvan und ließ die Waffe hinter seinem Hosenbund verschwinden. „Du passt auf sie auf. Es wird nicht lange dauern."

„Silvan-", setzte ich an, doch bekam nicht die Chance dazu zu Ende zu sprechen.

„Das reicht jetzt." Sein Ton wurde schärfer und er funkelte mich mit wütenden Augen an. „Du bist jetzt ruhig, verstanden?"

Jedes Augenpaar im Raum galt nun mir und ich konnte spüren, wie sich etwas in mir zusammenzog. Wieso musste er jetzt schon wieder so kalt sein? Gestern war doch alles noch gut?

„Rede normal mit ihr", warnte ihn Rafael und stand langsam auf, bevor er mit dem Kopf schüttelte. „Sie meint es doch nur-"

„Ich will ihre scheiß Hilfe aber nicht!", seine Stimme war nun so laut, dass sie anfing zu zittern. Ohne, dass ich etwas dagegen tun konnte, zuckte ich zusammen und wich etwas zurück.

Malik zog die Augenbrauen zusammen und blickte zwischen mir und ihm hin und her. „Ist etwas passiert? Habt ihr euch gestritten-"

„Ihr macht es komplizierter als es ist", unterbrach ihn Silvan kalt und spannte den Kiefer an. „Es ist nichts passiert."

Seine Augen trafen auf meine und ich fühlte mich so, als hätte man mir ein Messer durch das Herz gerammt. Ich konnte nichts in ihnen sehen. Keine Wärme. Keine Gnade. Keine Reue.

Er schaute mich so an, als wäre ich ihm egal. Als wäre das, was gestern passiert ist, ihm egal.

Bereut er es mich nicht weggeschubst zu haben? Mich an ihn rangelassen zu haben?

Bin ich zu weit gegangen?

Seine Augen brannten Löcher durch meinen Kopf, als erwarte er eine Reaktion von mir, doch ich konnte ihm keine mehr geben.

Mein Kopf hörte nicht auf mich um den Verstand zu bringen und meine Augen fingen an zu brennen.

Ich hasse mich selbst dafür, nur eine Sekunde lang gedacht zu haben, ich bedeutete ihm etwas.

Mit einem gesenktem Kopf lief ich an dem Jungen vorbei, der mir gestern noch ein Stück seiner Vergangenheit gezeigt hat, und blickte nicht zurück, bis ich den Raum verlassen hatte.

Dann geh Silvan. Geh und mach was du willst.

Ich war dumm zu denken, dass du je auf mich hören würdest.

Immerhin bin ich immer noch eine Fremde für dich, richtig?

~

Es sind schon zwei Stunden vergangen, seitdem die Jungs die Wohnung verlassen haben. Nicht ein einziges Mal hatte ich daran gedacht, den Raum zu verlassen. Mein Kopf war viel zu überfüllt. Außerdem wollte ich nicht Elias begegnen. Etwas stimmte nicht mit ihm. Da war ich mir sicher.

Meine Augen brannten, als ich so aus dem Fenster blickte und die Schneeflocken verfolgte, die langsam auf den Boden fielen. Ich will endlich raus. Endlich atmen. Endlich realisieren, dass ich lebte. Ich hatte das Gefühl, ich ersticke hier drinnen.

Ich vermisste Mama. Gott so sehr, dass ich das Gefühl hatte, ich hätte sie schon seit Ewigkeiten nicht gesehen.

Ich räusperte mich, als ich meine trockene Kehle bemerkte. Ich musste was trinken. Vielleicht würde das meine Kopfschmerzen verschwinden lassen, wer weiß?

Mit schweren Schultern verließ ich Silvans Schlafzimmer und lief auf Richtung Küche zu. Elias war nirgends in Sicht, was mich erleichtert aufseufzen ließ. Das letzte was ich jetzt brauchte waren irgendwelche provozierenden Kommentare. Ich hatte schon sowieso die Lebenslust für heute verloren.

Ich stellte mich auf Zehnspitzen und griff nach einem Glas, bevor ich es unter den laufenden Wasserhahn stellte. Meine Augen wanderten wie von alleine nach oben durch das Fenster.

Ein schwarzes Auto stand auf der Auffahrt und ich runzelte die Stirn als ich meine Augen über das Kennzeichen wandern ließ. Es war nicht Silvans.

Mit dröhnendem Kopf stellte ich das Wasser ab und trank einen Schluck von der kühlenden Flüssigkeit. Das Ziehen in meinem Kopf wurde schwächer und ich war froh, dass ich die Tipps meiner Mutter immer noch im Kopf hatte.

Ich war gerade dabei das Glas auf die Platte abzustellen, da wurde ich von hinten gepackt und gegen eine harte Brust gedrückt. Mein Herz setzte aus und das Glas fiel mit einem lauten Knall auf den Boden. Meine Lippen spalteten sich automatisch und ich wollte schreien, doch bevor ich die Chance dazu hatte, wurde mir schon ein feuchtes Tuch gegen den Mund gedrückt und ließ mich verstummen.

Ich fing an um mich zu schlagen, doch man ließ nicht los. Die Schreie, die meiner Kehle entwichen wurden immer leiser und ein benebelter intensiver Geruch umhüllte meinen Geruchssinn. Ich wusste, dass ich es nicht schaffen würde, als ich spüren konnte, wie meine Beine langsam aufgaben. Ich verlor all meine Kraft und meine Sicht wurde immer dunkler.

Ich kämpfte und kämpfte bis ich nicht mehr kämpfen konnte.

Bis alles schwarz wurde.

𝐒𝐢𝐥𝐯𝐚𝐧 ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt