𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟓

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Emilia

Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. Ich kam nach Hause, machte meine Hausaufgaben und aß. Mama arbeitete und ich versuchte so viel wie möglich im Haushalt zu machen, um es ihr zu erleichtern. Ehe ich mich versah, war es auch schon Wochenende. Der Kühlschrank war leer und die Schränke halbgefüllt, weswegen ich mich dazu entschied, einkaufen zu gehen. Mit genügend Geld in der Tasche und meiner Winterjacke eng um mich rum gewickelt, verließ ich das Haus und schloss ab.

Ich drehte mich um und hielt sofort inne. Mein Herz setzte aus und ich bemerkte wie mir der Boden unter den Füßen weggezogen wurde.

Was machte er denn hier?

Niemand anderes als der Fremde, den ich in der alten Gasse vom Berliner Ghetto kennenlernen durfte, stand lehnend an seinem Auto und blickte mir stumm in die Augen. Er hatte die Arme vor seiner Brust verschränkt und die Lippen zu einem geraden Strich gezogen. Seine Gesichtszüge waren wie immer undefinierbar und nicht abzulesen.

So langsam, als käme mir alles vor wie in Zeitlupe, stellte er sich wieder gerade hin und kam auf mich zu. Jeder Schritt den er in meine Richtung setzte ließ die Nervosität in mir steigen. Hatte er sich es etwa anders überlegt? Würde er mir doch etwas tun? Wieso war er hier?

Zwei Meter entfernt von mir, blieb er stehen und schaute auf mich runter. Mein Kopf machte nicht mehr mit und ich konnte nur zurückstarren. Wie das letzte Mal war er komplett in schwarz gekleidet, während ihm sein pechschwarzes Haar die Stirn verdeckte. Stumm nickte er auf sein Auto zu und mein Magen drehte sich auf Knopfdruck um. „Steig ein", befahl er und ließ mich mit seinen Augen verstehen, dass es keine Bitte gewesen war.

Er drehte sich um, lief auf den Wagen zu und öffnete mir die Tür. Mit vorsichtigen Schritten ging ich auf ihn zu und stieg ein. Nachdem er sie wieder geschlossen hatte, ging er auf die Seite des Fahrersitzes und stieg ebenfalls ein. Er startete den Motor und fuhr los. Wohin, wusste ich selbst nicht.

Angespannte Stille breitete sich aus und es fiel mir schwerer als gedacht den Mund zu halten. Sein Griff um das Lenkrad befestigte sich und ich konnte nicht anders als schlucken. War er wütend? Was ist passiert? Wieso war ich hier? Oder noch wichtiger, warum war er hier?

„Du bist meinen Anordnungen nicht gefolgt." Seine Stimme brachte mich aus den Gedanken und ich blinzelte ein paar Mal, um seine Worte verstehen zu können. Mein Kopf schellte in seine Richtung, doch er erwiderte meinen Blick nicht. Starr blickte er geradeaus und bog in den nächsten Block ab. Wovon sprach er? Ich habe doch nichts gesagt.

„Was meinst du?", flüsterte ich in die Stille hinein und hoffte nichts falsches gesagt zu haben. Unsere Umgebung änderte sich und wir hielten vor einem alten Parkplatz an, der für alte Zwecke gebaut wurde. Er machte den Motor aus und ließ seine Hände auf dem Lenkrad liegen. Nervös spielte ich mit dem Reißverschluss meiner Jacke rum und wartete auf seine nächsten Worte.

„Sie wissen es", sprach er und hörte nicht auf die Wand vor uns anzustarren. Verwirrung braute in mir auf und ich runzelte die Stirn, bevor ich mich komplett zu ihm drehte. „Was?", flüsterte ich und verstand kein Wort. Sein Kiefer spannte sich an und die Knöchel die den Ring des Lenkrads hielten, wurden weiß. „Du hast den Leuten davon erzählt", seine Stimme wurde mit jedem Wort kälter und die Angst in mir größer. Ich soll was gemacht haben? Nein, das stimmte nicht. Es konnte nicht stimmen. Wem sollte ich das überhaupt sagen? Mehr Leute, als meine Mutter existierten nicht in meinem Leben.

„Weißt du was für Scheiße du gebaut hast?", fragte er und ich blieb still. Sein Kopf drehte sich zu mir und er blickte mich kalt an. „Weißt du was du angerichtet hast?"

Die Verwirrung und die Angst in mir vermischten sich mit einem Funken Neugier und ich fragte mich was das für ihn bedeutete. Er hatte ihn geschlagen, nicht umgebracht. Was für Konsequenzen könnte das dann höchstens für ihn haben?

„Beantworte die Frage", knurrte er und haute so fest gegen das Lenkrad, dass ich zusammen zuckte. „Ich weiß nicht was du von mir willst", sprach ich leise und versuchte das Zittern meiner Stimme zu verstecken. „Du hast ihnen von mir erzählt", seine Augen spuckten Feuer, als die Worte seine Lippen verließen. Sofort schüttelte ich den Kopf. „Nein-", setzte ich an, doch wurde harsch von ihm unterbrochen.

„Emilia", sprach er und blickte mich warnend an. „Lüg mich nicht an", sprach er durch zusammen gebissenen Zähnen. Die Hilflosigkeit in mir wurde immer größer und ich fragte mich ob er mir jemals glauben würde. Ohne richtig darüber nachzudenken, was ich da überhaupt tat, griff ich mach seiner Hand, die auf dem Lenkrad ruhte und drückte sie fest. Sofort verstummte er und blickte auf unsere Hände. Seine war eiskalt.

„Du musst mir glauben. Bitte", flüsterte ich. „Meine Mutter ist am Leben. Warum sollte ich sie grundlos in Gefahr bringen? Ich schwöre dir, nicht einmal habe ich daran gedacht, es jemandem zu sagen", meine Stimme brach und die erste Träne lief mir die Wange runter, während mein Griff sich um seine Hand verstärkte. Wortlos schaute er mir in die Augen und zog die Augenbrauen zusammen. Ich weiß nicht, ob ich es mir nur einbildete, doch ich glaubte einen Schimmer Schmerz in seinen Augen gesehen zu haben.

Als er immer noch nicht antwortete biss ich die Zähne zusammen und blickte ihn scharf an. „Wieso sollte ich lügen? Antworte mir! Du kennst mich nicht. Du weiß nicht wie ich bei bestimmten Problemen vorgehe. Also warum glaubst du mir nicht? Was stimmt nicht mit dir?", fragte ich ihn fassungslos. Seine Augen vermieden meine und ich schaffte es nicht den Mund zu halten. Doch ich konnte es nicht kontrollieren. Die Wut übernahm mich. So wie noch nie.

„In Ordnung", sprach er. Sein Blick traf meinen und mein Herzklopfen beschleunigte sich um das Dreifache. „Ich glaube dir."

Etwas ließ seine kalte Maske zerschmettern. Ich konnte es nur nicht finden.

Verstand er mich?

𝐒𝐢𝐥𝐯𝐚𝐧 ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt