𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟐𝟕

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Emilia

Alles tat weh. Von meinem Schädel aus, der nicht aufhörte zu pochen bis zu meinen Gelenken und Knochen, die sich so anfühlten, als wären sie durchbrochen. Meine Kehle brannte und mein Mundraum war staubtrocken. Als ich langsam zu mir wurde, konnte ich mehr ausmachen. Ich hatte eine Augenbinde um und war gefesselt. Desto mehr ich mich bewegte, je stärker schnitten die Fesseln in meine Haut rein.

Es dauerte nicht lange, bis ich realisierte, dass unser Plan nicht so ausging, wie geplant.

„Hallo?", rief ich und bekam als Antwort bloß mein eigenes Echo zurück. Waren wir in einer Halle? Oder in einem einfachen Zimmer? „Hallo? Silvan? Ist da jemand?", schrie ich und verlor langsam die Fassung. Panik und Hilflosigkeit brauten in mir auf und ich konnte die aufkommenden Tränen nicht aufhalten. Ein bitterliches Schluchzen entwich meiner Kehle. „Hallo?", rief ich ein weiteres Mal und schob jeden Gedanken daran, aufzugeben zur Seite. Aufgeben war keine Option. Wo war Silvan?

„Silvan?", schrie ich und verlor langsam die Kontrolle meiner Atmung. Der Moment, in dem all meine Selbstvernunft meinen Körper verlässt. Der Moment indem die Panik meine Grenzen überschreitet. Meine Brust zog sich zusammen und der dicke Kloß in meinem Hals wurde immer größer. „Silvan", weinte ich und wandte mich gegen die Fesseln, doch der Schmerz wurde immer unerträglicher.

„Emilia", eine raue Stimme hallte durch die Umgebung und ich verstummte wie auf Knopfdruck. Es war nicht irgendeine Stimme. Es war seine Stimme. Ich atmete zittrig aus und suchte nach den richtigen Worten. Doch das Einzige, was meine Lippen verließ war genau das, wonach ich die ganze Zeit rief. „Silvan", krächzte ich und versuchte meine Atmung wieder unter Kontrolle zu kriegen. Ein weiteres Schluchzen entwich meiner Kehle und ich atmete erleichtert aus. „Du bist hier", flüsterte ich.

„Ich bin hier", seine Stimme war viel ruhiger als meine und war bedeckt von Raue und Müdigkeit, die bestimmt von der gezwungenen Narkose kommen muss. „Beruhige dich. Ich bin hier", sprach er und ich schaffte es endlich mich ein wenig zu beruhigen. Meine Atmung wurde wieder regelmäßiger und von der Schnappatmung war keine Spur mehr. Der Kloß in meinem Hals blieb jedoch da wo er war. Die Besorgnis traf mich wie so schnell wie die Panik verschwand. „Geht-geht es dir gut?", fragte ich stotternd und es wurde tot still.

„Silvan?", fragte ich flüsternd. Er fand seine Stimme wieder und sprach „Du sitzt da und heulst dir die Seele aus und trotzdem-", er machte eine kleine Pause und lachte bitter auf, was mir eine kleine Gänsehaut bescherte. „Und trotzdem gehst du sicher, dass es mir gut geht?", fragte er mich und klang zum ersten Mal wirklich geschockt. Seine Stimme verblieb jedoch weiterhin kalt und monoton. Er schien nicht wirklich begeistert von meinem Verhalten zu sein.

„Du bist so verdammt erbärmlich Emilia."

Ich verzog das Gesicht und hoffte, dass er ebenfalls eine Augenbinde aufhatte, denn mir flossen nun weitere Tränen die Wangen runter. Erbärmlich? War es das was ich in seinen Augen war?

„Denkst du jemals nach, bevor du sprichst? Weißt du überhaupt wo wir gerade sind? Was passieren kann, wenn du einmal den Mund aufmachst du das Falsche sagst? Kümmere dich um dich und nicht um die Leute, die du als deine Feinde ansehen solltest", zischte er und ich verstand kein Wort. Was machte ihn denn so plötzlich wütend? Alles was ich wollte, war sichergehen, dass es ihm gut ging. Und was meinte er mit „Feinde"? Ist es das was wir in seinen Augen sind?

Feinde?

Nein. Alleine der Gedanke daran war verrückt. Er hat mir geholfen. Mich gerettet. Gerettet von seiner eigenen Welt. Die in der er eigentlich bleiben sollte. Doch er verließ sie. Für mich. Um sichergehen zu können, dass es mir gut ging. Er wollte nicht, dass mir etwas zustoß. Ich war ihm nicht egal.

Oder etwas doch?

„Ich-", er unterbrach mich barsch. „Vergiss es einfach. Sei einfach leise und mach keinen Krach. Die Wände sind nicht dicht" Sein Ton tat mehr weh als es seine Worte taten. Wo war die Besorgnis und die Sanft, die seine Worte bis vor kurzem noch mit sich trugen? Was ist mit ihnen passiert? Wieso war er wieder so kalt?

Ich wollte fragen, was los war. Ich wollte fragen, was ihn davon abhielt, sich mir zu öffnen. Ich wollte platzen. Doch ich verblieb still. Ich blieb still, während ich innerlich schrie. Ich war müde. Kaputt. So sehr, dass ich einfach aufgab. Er will seine Ruhe?

Die soll er bekommen.

Ich nahm es ihm nicht einmal übel. Alles was er wollte, war mich von diesem Roberto fernzuhalten. Ich musste aber so dumm sein und mich direkt an ihn festklammern. Ich verließ mich auf ihn. Schenkte ihm eine Verantwortung, die er eigentlich garnicht tragen musste. Ich sah ihn als mein Schutzschild an. Als jemanden, der mich vor der Dunkelheit schützte. Aber wie soll so etwas funktionieren, wenn nur eine Seele lebt und ein Herz dafür schlägt?

Braucht es nicht zwei dafür?

Das Klicken einer Tür ertönte und ich zuckte erschrocken zusammen. Ein kalter Wind wehte mir entgegen und ich spürte wie mir ein Schauer über den Rücken fiel. Wir waren nicht mehr alleine in diesem Raum.

„So so. Emilia. Schön dich mal persönlich kennenzulernen", eine fremde Stimme hallte durch den Raum und ich verzog das Gesicht. All die Panik kam zurück. Verrückt, wie schnell sowas möglich ist. Es folgten laute Fußschritte und mit jedem, der sich mir näherte, stieg die Angst in mir. Eine kalte Hand legte sich an meinen Hinterkopf und ich zuckte zusammen, bevor mir ein leises Wimmern entwich. Die Augenbinde fiel und landete lautlos auf dem Boden.

Mein Herz pochte nun so stark, dass ich eine Sekunde lang dachte, es würde explodieren. Ich musste ein paar Mal blinzeln um mich an die Dunkelheit zu gewöhnen und hielt den Atem an, als meine Sicht klarer wurde. Ich hatte recht mit der ersten Idee. Wir befanden uns in einer Halle. Einer sehr alten Halle. Die Fenster waren waren eingeschlagen und einzelne Stücke von kaputten Möbeln und Kisten standen in jeder Ecke.

Ich hatte das Gefühl, dass ich jede Sekunde in Ohnmacht fallen werde. Wie habe ich es geschafft hier zu landen? Wieso musste ich unbedingt so spät nach Hause laufen? Hätte ich nur nachgedacht.

Bevor mein Kopf registrieren konnte was passierte, trafen meine Augen auf dunkle braune, die mich von der anderen Seite der Halle aus beobachten. Silvan. Er war auch gefesselt. Nur sah er im Gegensatz zu mir komplett demoliert aus. Blut floss ihm die Lippe und die Nase runter. Sein linkes Auge war blau und einzelne Kratzer befanden sich auf seiner Stirn und seinem Kinn.

Seelenruhig blickte er mir in die Augen und schaute zu wie mir um dritten Mal heute die Tränen die Wangen runterrollten. Wieso tat man ihm das an?

Zwei kalte Finger griffen nach meinem Kinn und ich wurde gezwungen von ihm wegzuschauen. Giftige grüne Augen trafen auf meine und glitten dann langsam über jedes Detail meines Gesichts. Der Mann sah recht alt aus. Starke Fakten zierten seine runden Gesichtszüge und jeder konnte erkennen, dass dieser Mann nichts gutes im Sinne hat. Seine kalten Augen verrieten ihn.

Roberto.

Seine Mundwinkel zuckten nach oben und er ließ endlich von mir ab, bevor er einen Schritt zurückwich und seinen Blick über meinen Körper gleiten ließ. Zufrieden brummte er auf und ich versuchte mein Unwohl so gut wie möglich zu verstecken. Diese Blicke gefielen mir nicht.

"Jetzt verstehe ich was der Junge an dir findet", sprach er und leckte sich über die Lippen. Seine Augen sprangen von mir zu Silvan und seine Augenbrauen zogen sich zusammen. "Du musst sie sehr mögen, um dein Leben dafür zu riskieren, puto." Seine Stimme war so seelenruhig, dass sie mich erschaudern ließ. „Aber das ist in Ordnung", sprach er und lächelte mich leicht an.

„Schließlich werdet ihr beide heute sterben."

𝐒𝐢𝐥𝐯𝐚𝐧 ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt