𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟐𝟎

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Emilia

Es war bereits dunkel, als wir uns auf den Weg machten. Silvan kommentierte den Anruf nicht weiter und nahm mir stattdessen mein Handy weg. Als ich fragte wieso, nickte er wortlos in die Richtung der Küche und ich verstand sofort.

Das war's wohl mit meinem Handy.

Gerade fuhren wir durch die dunklen Straßen Berlins und ich schaffte es nicht einen kühlen Kopf zu bewahren. Silvan schien es nicht anders zu ergehen. Die ganze Fahrt lang sprach er kein Wort und blickte starr gerade aus. Seine Finger waren bereits weiß geworden dank seines festen Griffes an dem Lenkrad.

"Hast du Hunger?" Mein Kopf schellte bei seiner Stimme nach links. "Was?", fragte ich ihn verwirrt. "Ob du Hunger hast", wiederholte er in einem härteren Ton. Ich runzelte die Stirn. "Wieso fragst du?" Genervt seufzte er auf und warf mir einen Seitenblick zu, der alles andere als nett war. "Wieso musst du alles immer so kompliziert machen, Mädchen", murmelte er kopfschüttelnd und blieb vor einem Drive-In stehen.

Er machte den Motor aus und drehte sich zu mir, bevor er seinen Arm an dem Fenster neben mir abstützte und sich zu mir vorlehnte. Ich schluckte und presste mich gegen meinen Sitz. Sein bekannter Geruch umhüllte mich und ich kämpfte gegen den Drang an ihn zu inhalieren. Das wäre komisch, oder?

Selbst in der Dunkelheit konnte ich seine Augen perfekt erkennen. Warum mussten sie so schön sein?

Sie spiegelten etwas außergewöhnliches ab und ich konnte nicht dahinter blicken. Wie viel befand sich hinter dieser Maske? Existierte dort etwas, dass mir Angst machen würde? Würde ich es bereuen so weit zu kommen? Wäre ich jemals in der Lage seine Wände zu durchbrechen?

"Emilia!" Erschrocken zuckte ich zusammen und blickte auf um auf seine wütenden zugleich verwirrten braunen Augen zu treffen. "Du hast nicht zugehört", stellte er fest. Ich schüttelte den Kopf und er zog eine Augenbraue nach oben, als würde er mir nicht glauben. Ich bin mir sicher, dass ich bereits so rot wie eine Tomate war.

Er befeuchtete seine Lippen und hob seine Hand. Mit großen Augen schaute ich zu wie sich diese meinem Gesicht näher. Sanfter as ich ihn je erlebt habe, griff er nach einer meiner Haarsträhnen, die aus meinem Zopf rausgekommen sind und strich sie hinter mein Ohr. Seine Finger streiften meine Haut und ich bekam eine Gänsehaut. So langsam, als käme es mir vor wie in Zeitlupe, trafen seine Augen wieder auf meine. Etwas sanftes lag in ihnen. Etwas bewundernswertes.

Doch es verschwand so schnell wie es auch gekommen war.

Er ließ von mir ab, als hätte er sich verbannt und blickte mit harter Miene auf den Boden. Meine Hand ballte sich zu einer Faust. Ich wollte nach seiner Hand greifen. Ich wollte ihn fragen, was ihn davon abhielt. Und ich wollte wieder die Wärme seiner Augen genießen. Doch ich tat es nicht. Stattdessen blickte ich ihm betrübt hinterher, als er sich abschnallte und ausstieg.

Ohne weiter auf mich zu achten lief er auf den Eingang zu und blickte nicht mehr zurück. Erst als ein einsamer Regentropfen auf die Scheibe patschte, wurde ich aus meiner Tagträumerei rausgerissen. Mit schmerzenden Armen und dröhnendem Schädel öffnete ich die Tür des Beifahrersitzes und stieg vorsichtig aus. Es war noch recht kühl und ich konnte erkennen wie die Wolken sich langsam zusammenzogen. Nicht mehr lange und es würde anfangen zu regnen.

Meine Beine brachten mich von alleine in die Richtung des Eingangs und ich atmete tief ein, bevor ich die Tür öffnete. Die Kälte die einst meinen Körper umhüllte wurde durch Wärme ersetzte und ich verschränkte die Arme vor meiner Brust. Nervös blickte ich durch den Laden und stellte fest, dass wir außer einen alten Mann, der alleine an einen Tisch saß, die einzigen hier waren. Ich ging langsam auf Silvan zu und ließ mich auf den Stuhl vor ihm nieder.

Er schob mir ein gefülltes Tablet mit vielen verschiedenen Sachen drauf hin und fing an zu essen. Ich blinzelte und schaute ihm zu. Er schien Hunger zu haben. "Isst du nichts?", fragte er mich und blickte mit einem vollen Mund auf. Ein kleines Lächeln legte sich auf meine Lippen. Der Anblick war ziemlich amüsant, was Silvan wohl nicht so sehr gefiel. Unbeeindruckt zog er eine Augenbraue nach oben und musterte mich streng.

„Hör auf damit", befahl er und schluckte sein Essen herunter. „Womit?", fragte ich, während mir das Lächeln nicht eine Sekunde lang verging.

„So süß zu lächeln."

So schnell es gekommen war, verschwand es auch schon wieder. Meine Wangen fingen an zu glühen und ich spürte wie sich meine Augen etwas weiteten, ohne, dass ich etwas dagegen tun konnte. Etwas Triumphierendes schimmerte in seinen Augen, doch er senkte den Blick so schnell, dass ich nicht lange genug die Chance dazu hatte, es zu bewundern.

„Iss jetzt", befahl er nun etwas ernster und trank von seinem Getränk. Unsicher blickte ich auf mein Essen runter und legte den Kopf schief. „Was ist jetzt?", fragte er genervt und lehnte sich nach hinten. „Das ist zu viel", sagte ich und schaute zu wie er die Stirn runzelte. Verwirrt blickte er auf mein Tablett runter und seufzte. „Iss soviel du kannst", sprach er und widmete sich wieder seinem Essen.

Ich nickte, selbst wenn er mich nicht mehr sehen konnte und nahm mir einen Hamburger. Während ich die Verpackung entfernte ließ ich meinen Blick nochmal durch den Laden gleiten. Der alte Mann von vorhin saß immer noch da. Ganz alleine. Ich fühlte wie mein Herz schwerer wurde. Wo war seine Familie? Hatte er niemanden, der ihm Gesellschaft leisten wollte? Gedankenverloren blickte er auf den Tisch und hatte bestimmt garnicht bemerkt, dass noch andere Leute den Laden betreten haben. Sein Essen war bereits aufgegessen, trotzdem rührte er sich nicht von der Stelle.

„Stehst du etwa auf ältere Männer?"

Silvans Frage erschütterte mich. Mit großen Augen blickte ich wieder zu dem Jungen, der vor mir saß und ließ wie ein Fisch den Mund offen stehen. Seine mit Belustigung gefüllten Augen gaben mir den Rest. Machte er sich etwas um mich lustig? Ich machte den Mund zu und drehte mich beleidigt weg, bevor ich wieder zu dem Mann blickte.

„Komisches Mädchen", murmelte er.

Idiot.

𝐒𝐢𝐥𝐯𝐚𝐧 ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt