4.03: "Die Ordnung der Natur"

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Gegenwart...

Zusammen schlendern Xander und Finn durch die Korridore der Schule, die gerade in diesem Moment leer sind, da der Unterricht vor fünf Minuten begonnen hat.
"Du sagtest niemand würde dir glauben, wie du den Rubin zurück erlangt hast. Für uns hier ist 'Glaube' ein dehnbarer Begriff.", grinst der Seed Xander an, welcher seine Ledertasche, samt dem dort drinnen gelagerten Phönix Rubin, fest umklammert.
"Es ist eine lange Geschichte.", antwortet Xander ihm ernst. Finn schaut auf seine Uhr,
"Sieht so aus als hätte ich etwas Zeit. Schieß los."

--- Monate früher... ---
Sebago Lake, Maine

Am Rande des tiefsten See's von Maine, haust der verzweifelte Xander Prawl in einer knorrigen Holzhütte, welche gerade einmal zwei Zimmer besitzt. Vor vielen Jahren war sie ein beliebter Platz für Angler und Fischer, bis sie von einem starken Sturm leicht beschädigt wurde. Doch dieser Schaden hält den Prawl nicht davon ab, die kleine Hütte als seine eigene Zuflucht zu benutzen, in großer Sicherheit und außer Reichweite von seiner verbliebenen Familie und seinen Freunden in Rosewood.
Auf einer provisorisch angeschlossenen Herdplatte kocht eine warme Suppe, nach dessen Topf er rasch greift um ihn auf den braunen Eichentisch zu stellen, der die Mitte des Eingangszimmers ziert. Was sich human anhört, klingt schöner als es ist. Xander zapft den Strom für die Herdplatte von einer Tankstelle ab, dessen Stromversorgung nahe des See's entlang läuft und der Tisch, genauso wie die quietschende Sitzbank, die als sein Bett dient, sind alles andere als in einem Top Zustand.

Doch die Hütte erfüllt seinen Zweck, denn neben seinen wenigen Wertsachen, wie der Hut und Mantel von Gabriel, liegen in einem kleinen Regal unzählige von Büchern über die verschiedensten Zauber und Rituale, welche er aus dem Traveller Bunker mitgehen ließ, als er abreiste. Xander räuspert sich kräftig und schaut aus dem Fenster, an dem ein halb zugezogener Vorhang hängt und blickt auf eine Ansammlung aus Holzstämmen, die eine Art Lagerfeuer ergeben. Seine wohl einzige Wärmequelle.
"Bald ist dieser Alptraum vorbei.", flüstert er leise und zieht unter dem Tisch eine abgedeckte Schüssel hervor, dessen Tuch er sofort entfernt.
"Zeit für ein bisschen Zauberei.", lächelt er, obwohl es außerhalb von Rosewood keine Magie gibt. Dennoch stellt er die Schüssel auf den Tisch und betrachtet die in ihr liegenden Zutaten.
Eine verdorrte Rose, eine weiße Feder und ein Christuskreuz. Er greift nach einem scharfen Messer, welches er noch einmal kurz poliert. Schnell schließt er die Augen und schneidet sich mit dem Messer in das Fleisch seines Armes, sodass etwas Blut aus diesem gerinnt und langsam in die Schüssel tropft.
"Da du meine Gebete ja nicht erhörst, muss ich es halt so machen.", grinst Xander und tropft die weiße Feder mit seinem Blut voll. Je' mehr Blut tropft, desto drückender wird die Stimmung in der Hütte. Bis endlich etwas passiert und er die Flüssigkeit seiner frisch gekochten Suppe beben sieht.
"Gut...gut..", lacht der einsame Prawl, bis die Tür zu seiner Hütte gewaltig offen schlägt. Sofort wendet sich Xander von der Schüssel ab und verbindet seine Hand rasch mit einem sauberen Tuch.
"Wieso schändest du das Verbliebene meiner Schwester?", fragt eine männliche Stimme und tritt langsam in die Hütte.
"Raphael. Wurde aber auch Mal Zeit.", grummelt Xander und starrt den Erzengel in seinem weißen Anzug düster an. Raphael schaut sich kurz in der Hütte um, aber wendet sich schnell der Schüssel zu, samt der blutigen Feder von Angelica.
"Sie gab uns die, als wir Lucien nach Nighthowl Bay verfolgten. Für schlechte Zeiten.", erklärt Xander den Ursprung der Feder knapp. Raphael runzelt wütend seine Stirn.
"Schlechter können sie nicht mehr werden.", antwortet er sofort. Xander nähert sich dem Erzengel furchtlos und zeigt auf eine silberne Urne, welche neben Gabes Hut liegt.
"Ich habe meine Geschwister verloren, genauso wie du. Wir haben euch dabei geholfen deinen Bruder zu töten, also sag mir: Wieso antwortest du nicht auf meine Gebete?!", krächzt die Stimme des Prawls entzürnt. Raphael möchte Xander antworten, aber tut es letzendlich doch nicht.
Xander greift nach einem der Bücher und knallt es dem Engel auf den Tisch.
"Der Rubin. Er ist in das große Nichts gefallen und hier steht Engel können in alle Zeiten und Welten reisen. Also hol ihn mir. Du schuldest es mir. Und Gabe auch..."
Raphael schaut sich die Seite des Buches genauer an und scheint unsicher.
"Damit du Gabriel zurück holen kannst? Niemals. Du hast keine Ahnung was diese ständigen Wiederbelebungen mit der Ordnung der Natur anrichten...was sie mit dem Jenseits anrichten.", erklärt er Xander abweisender denn je. Der Prawl beißt sich auf seine Zähne.
"Ich wohne nicht seit Monaten in der Pampa um mir von dir diesen Scheiß anzuhören. WENN DU ES NICHT WILLST, SAG ES EINFACH UND DENK DIR NICHT SO EINEN DRECK AUS!", brüllt er wütend. Raphaels Augen glühen blau auf,
"ICH KANN NICHT!", donnert seine nun viel tiefere Stimme, bis das Glühen in seinen Augen wieder vergeht.
"Ich...ich kann nicht.", wiederholt er nun ruhiger. Xander fasst sich an den Kopf und lehnt sich gestresst an eine der Holzwände.
"Xander, die Welt der Toten zerbricht. Es ist wohl schon länger so, aber es wird immer schlimmer. Im Himmel herrscht Chaos, die Hölle brodelt und das Fegefeuer ist im Umbruch. Alle Welten wurden durch diese ständigen Wiederbelebungen geschädigt. Seit damals in Nighthowl Bay das Höllentor geöffnet wurde, wurde der Riss im Jenseits immer größer. Xander, bitte versteh mich doch. Ich kann dir den Rubin nicht geben.", erklärt Raphael dem Retter verzweifelt. Xander scheint für einen Moment nachdenklich.

"Wir sind die Retter. Ich und meine Familie. Wenn du mir den Rubin gibst, werde ich einen Weg finden Gabriel zu retten. Und dann, das verspreche ich dir, werden wir dir helfen die Totenwelt zu retten. Aber nur zusammen, als Familie.", schlägt Xander dem Erzengel einen letzten Deal vor. Raphael atmet stark aus und setzt sich auf einen der Holzstühle.
"Du und deine Familie machen mich wahnsinnig. Du hast Recht, ihr wärt ein möglicher Weg das Jenseits zu retten, aber wenn Gabriel zurück kommen sollte, beginnt der Zerfall sofort, das ist dir klar, oder?", fragt er Xander besorgt.
"Das weiß ich. Trotzdem nehme ich es in Kauf. Oder willst du warten bis sich irgend eine Hexe in die Ordnung der Natur einmischt und es ganz von alleine zerfällt? Wenn du mir hilfst, hast du die Kontrolle. Das ist doch was du willst, oder?", fragt Xander und lächelt breit.
Raphael schaut ihn still an.
"Genau wie dein Bruder. Ich weiß was der Tod von geliebten Menschen mit einem macht. Aber im Gegensatz zu mir, bist du ein guter Mensch. Und genau aus diesem Grund wirst du mir helfen.", erklärt der Prawl triumphal. Raphael steht auf und wendet sich der Tür zu.
"Das große Nichts war das Gefängnis von Noore. Es wird dauern bis ich den Rubin finde, aber ich werde es. Wenn ich ihn dir gebe, bist du in der Verantwortung einen Weg zu finden Gabriel zu retten. Es ist dein Weg, also halte dich an die Abmachung.", verlangt Raphael und spaziert aus der Hütte hinaus.
Xander greift nach Angelicas Feder und rennt dem Erzengel hinterher.
"Raphael...Danke.", murmelt Xander, doch der Erzengel schaut ihn nicht an. Er streckt die Feder seiner Schwester in Richtung des Engels aus,
"Hier, nimm sie. Etwas von seiner Familie zu haben ist Gold wert.", bietet Xander ihm an, worauf Raphael seine Hand hebt. Die Feder flattert magisch in die Handkerbe des Erzengels, welcher sofort seine Flügel ausbreitet.
"Wir sehen uns."
Mit einem mächtigen Flügelschlag verschwindet Raphael in die Luft und lässt Xander lächelnd zurück. Nun hat er doch eine Chance Gabe zu retten.

--- Gegenwart... ---

"Das Jenseits zerbricht? Aber...wie willst du es retten? Es gibt doch kein Opfer was man geben kann, um so eine mächtige Naturgewalt zu stoppen.", fragt der Direktor der Thornhill Boarding School den Prawl verblüfft.
"Das ist so nicht ganz richtig.", entgegnet Xander und bleibt stehen. Er schaut Finn ernst an,
"Ich werde Rosewood opfern. Den einzigen Ort an dem es noch Magie gibt.", offenbart Xander und schaut in die überraschten Augen des Seeds.

ROSEWOOD - Erben der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt