4.04: "Keine Wahl"

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1 Jahr zuvor...

Lily sitzt einsam auf einen der vielen Holzstühle, die vor wenigen Wochen immernoch durch ihre Freunde und Familie voll besetzt waren, inmitten der Bibliothek des komplett verlassenen Bunkers. Traurig blättert sie in einen der vielen Bücher herum, aber kann sich nicht einmal darauf konzentrieren.
"Absorbtionszauber für Fortgeschrittene...", liest sie leise, aber knallt das Buch schnell wieder zu. Intensiv starrt sie auf die großen Kerzen, die den Tisch schmücken und scheint extrem angestrengt. Ihr Blick brennt sich förmlich auf die Spitze der Kerze ein, aber nichts passiert. Nicht einmal ein Flimmern.
"Ich bin eine Retterin ohne Kräfte. Perfekt.", murmelt sie und überspielt ihren Kommentar mit einem Grinsen. Auch wenn sie alleine ist, versucht sich die Prawl trotzdem selbst etwas vor zu machen. Sie schaltet ihr Handy an und starrt auf ihr Hintergrundbild. Traurig schaut sie auf die lächelnden Gesichter von Xander, Gabriel, Nick und Shawn, welche - neben ihr selbst - mehr als glücklich und zufrieden über die Gemeinschaft der Familie scheinen, an jenem Tag an dem das Foto, vor vielen Jahren, geschossen wurde.
"Wisst ihr, ich vermisse die alte Zeit. Xander hat gesagt wo es lang geht, Gabriel hat ihn in Frage gestellt und ihr beiden habt nur herum gealbert. Da gab es noch keine Magie in unserem Leben, nur die kalte und triste Welt da draußen, welche jeder gewöhnliche Mensch Tag ein und Tag aus erleben muss.", spricht sie zu der Abbildung von Nick und Shawn und legt ihr Hand daraufhin vorsichtig auf den Tisch.
"Das einzige was mich daran erinnert, dass das alles hier real ist, ist der Schmerz. Der Schmerz den ihr hinterlassen habt, als ihr gegangen seid. Und jetzt Gabriel auch noch...Magie nimmt uns alles. Sie zerstört Leben. Und Magie ist der einzige Weg diesem Teufelskreis zu entkommen. Ein letztes Mal.", keucht ihre Müde Stimme, als sie sich vom Stuhl erhebt.
"Verzeiht mir.", flüstert sie und starrt flüchtig auf das Bild ihrer, damals noch kompletten, Familie.

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Die Tür zu Belphegors Laden öffnet sich, als Lily vorsichtig hinein spaziert.
"Sieht so aus als war der Kauf des 'Geschlossen' Schildes, eine reine Geldverschwendung.", lächelt Belph und wirft ein kleines Tuch über den Kassentisch, an dem er gerade etwas vorbereitet hat.
"Belphegor, ich brauche deine Hilfe.", bittet Lily den Dunklen und spaziert an den vielen Antiquitäten vorbei, von denen sie heute immernoch so beeindruckt ist wie damals, als sie das erste Mal in seinen Laden kam. Belph klopft sich die Manchetten seines lilanen Anzugs ab und zieht seine Augenbrauen hoch,
"Ich fürchte das Wiederbeleben von Toten liegt außerhalb meiner Fähigkeiten.", antwortet er ihr direkt, da er davon ausgeht, dass die Prawl ihren Bruder zurück will. Das stimmt zwar, aber ist nicht der Grund für ihren Besuch.
"Nein, es ist etwas anderes.", entgegnet sie und nähert sich dem Kassentisch und dem dort liegenden Tuch, welches die Gegenstände, an denen er gerade arbeitete, verdeckt.

"Ich möchte, dass du mir meine Bestimmung nimmst. Ich will keine Retterin mehr sein.", offenbart sie ihren Wunsch klar und deutlich. Belph lächelt unglaubwürdig,
"W...Was?", lacht er keuchend. Lily nickt und scheint ernster denn je.
"Magie zerstörte meine Familie und nahm mir alles was mir wichtig war. Ich will nichts mehr davon wissen. Ich habe sowieso keine Kräfte, wieso dann diese Bestimmung?"
Belph schlendert um den Kassentisch herum und bleibt still, während Lily sich auslässt. Er spaziert zu einer der Vitrinen und holt eine kleine - rechteckige - Box aus dieser. Auf dem Deckel der Box befindet sich ein grüner Smaragd, welcher hell leuchtet.
"Wieso sollte ich das tun? Du bist die einzig verbliebene Retterin in Rosewood.", fragt Belph und hält die Box vorsichtig in der Hand. Die Prawl schaut auf das Tuch und will langsam nach diesem greifen. Doch sofort fixiert Belph ihre Hand in der Luft, woraufhin sie sich nicht bewegen kann.
"Ich habe dir eine Frage gestellt.", wiederholt er. Lilys Hand löst sich aus der magischen Fixierung und sie dreht sich zu dem Dunklen um.
"Ich will diesen Schmerz nicht mehr spüren. Diese Verantwortung ständig gegen die Dunkelheit einstehen zu müssen. Wieso sind wir die Retter und nicht irgend ein anderer Penner da draußen?", flucht sie in einem Wortlaut der dem von Xander ähnelt. Belph stellt die Box auf einem der Tische ab und räuspert sich etwas,
"Weil ihr Shivas göttliches Blut in euch tragt. Deswegen konntet ihr dem Tod so oft von der Schippe springen und deswegen kennt euch fast jedes Wesen auf der Erde. Es gibt keine anderen Retter mehr, nur noch dich und Xander. Nichts ist mächtiger als die Magie die durch dein Blut fließt...", erklärt er ihr detailliert, mit einem zwielichtigen Gesichtsausdruck. Lily schlägt auf den Kassentisch und wird sauer.
"ICH WILL DAS ABER ALLES NICHT MEHR! HILFST DU MIR, ODER NICHT?", brüllt sie. Belph zeigt auf die Box, welche vom Smaragd geziert wird.
"Das ist die Box der Pandora. Wenn du willst bereite ich sie vor und sie entzieht dir deine Magie, dann bist du keine Retterin mehr. So wie du es willst.", lächelt er und bemerkt ihren erleichterten Blick.

Voller Schmerz und blind vor Trauer bemerkt Lily nicht das etwas viel größeres hinter all dem steckt.

"Wann?", fragt sie eilig.
"Wenn du willst noch heute Nacht. An der alten Mortimer Villa.", antwortet er freundlich und greift erneut nach der Box.
"Einverstanden. Wir sehen uns wenn der Mond am Himmel steht.", murmelt sie und will eilig den Laden wieder verlassen.
"Immer eine Freude mit dir Geschäfte zu machen.", erwidert Belph und spaziert mit der Box wieder hinter den Kassentisch.
Lily öffnet die Tür, aber bleibt halb im Rahmen stehen.

"Eins noch...wird mir etwas passieren?", fragt sie und schaut Belph nur über die Schulter an. Der Dunkle zögert und öffnet seinen Mund etwas. Seine Finger wandern durch seine langen Haare,
"Lily, wenn du in die Villa gehst und die Box aktiviert ist, wirst du nie wieder etwas befürchten müssen. Ich gebe dir mein Wort.", antwortet er mit einem unsicheren Blick auf dem Gesicht. Lily dreht sich um und wischt sich eine flüchtige Träne aus dem Auge.
"Danke, Belph. Wirklich.", lächelt sie ihn an und scheint überglücklich. Der Dunkle erwidert das Lächeln, aber hat einen traurigen Unterton in der Stimme,
"Keine Ursache...wir haben keine Wahl, nicht?", fragt er und sie verlässt zufrieden den Laden.

Mit beiden Armen stützt er sich vor dem Tuch ab, welches er sofort verschwinden lässt. Er blickt auf den Kelch Shivas, seinen Dolch und einen kleinen Büschel Haare. Haare von Noore.
Langsam stellt er die Box der Pandora hinzu und schaut diese still an,
"Bald wirst du den Vater haben, den du verdienst. Du wirst nie wieder Angst haben müssen, weil dann wird mich nichts jemals stoppen können.", flüstert er lächelnd.
"Wir haben keine Wahl..."

ROSEWOOD - Erben der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt