4.11: "Keine Zeit mehr"

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"Was zur Hölle ist das?", fragt Shawn und starrt auf die große Uhr von Rosewood, welche er und seine Geschwister, von der sonnigen Hauptstraße aus, sehen können. Gabriel, Lily und Nick stehen auf dem Bürgersteig der Straße neben ihm und sehen ebenfalls, was der Prawl bemerkt. Die Uhr steht still und schimmert mit einem magischen Flimmern, welches in die Augen der Prawls eindringt, aber scheinbar nur von ihnen bemerkt wird.
"Wieso sehen die alle das nicht?", fragt Nick und beobachtet die Bürger der Stadt, die wie gewohnt ihren Alltag absolvieren und nicht das magische Kraftfeld bemerken, welches die Uhr still stehen lässt.
"Es ist eine Botschaft an uns. Nur für uns Retter.", mutmaßt Lily unsicher. Nick beobachtet die Uhr etwas genauer und schaut etwas einleuchtend,
"Ich glaube ich weiß was das ist. Xander.", stellt er fest. Gabriel schaut ihn fragend an,
"Du denkst er ist in der Stadt?"
"Das da oben ist Phönix Magie. Nur sie kann die Zeit anhalten.", merkt Nick an.
"Woher weißt du so viel darüber?", fragt Lily. Nick lächelt und denkt an seine Zeit im Fegefeuer. Seine Zeit mit Valerian, als die beiden ungleichen Freunde sich durch die Vorhölle kämpfen mussten.
"Das ist egal. Viel wichtiger ist, dass Rosewood in der Zeit feststeckt. Der Endkampf wird bald beginnen.", antwortet Nick und sieht Gabriel keuchen.
"Wir müssen doch nur mit ihm reden. Nur kurz.", schlägt Lily vor und hofft immernoch ihren Bruder bekehren zu können.

"Ist das so?", fragt die Stimme von Xander - Mitten auf der Hauptstraße - welcher die Prawls breit anlächelt. Gabriel schaut ihn mit weiten Pupillen an, während Lily sich an seinem Arm festhält. Nick und Shawn stehen still hinter den beiden und starren ihren Bruder ängstlich an. Sie hatten schon immer großen Respekt vor ihm, aber die Körperhaltung - und sein dunkler Gesichtsausdruck. Es verängstigt die beiden. Gabe allerdings freut sich, obwohl sich Lilys Nägel in seinen Arm bohren,
"Bruder...", keucht er glücklich, doch Xander erwidert diese Freude nicht. Sein Blick ist gleichgültig.
"Gabriel.", antwortet Xander und steht auf der Mitte der Kreuzung und wird von niemanden, außer seinen Geschwistern, bemerkt. Ein Auto ist im Inbegriff Xander zu überrollen, doch alles was er tut ist seine Hand heben und das Auto mit einer gewaltigen - donnernden - Druckwelle zum stehen zu bringen.
"Wir brauchen etwas Privatsphäre, nicht?", fragt der Prawl und klatscht in die Hände.

Plötzlich bewegen sich die Männer und Frauen auf dem Bürgersteig in einer Art Zeitlupe, bis keine einzige Bewegung mehr von diesen ausgeht und alle wie angewurzelt in ihrer Bewegung verharren. Gabe, Lily, Nick und Shawn schauen sich unruhig um und bemerken wie die Augen ihres Bruders rubinrot aufglühen.
"Also ist es wahr?", fragt Lily und weiß ganz genau, dass der Rubin die komplette Kontrolle über ihren Bruder erlangt hat.
"Vermutlich.", antwortet er seiner Schwester, die er ein ganzes Jahr nicht gesehen hat. Gabriel tritt ein paar Schritte nach vorne und streckt seine Hand aus,
"Xander, wir sind alle wieder da. Wir können die Magie retten. Und das Jenseits. Wir können alles erreichen was wir wollen, Bruder. Als Familie.", spricht er ihm zu und ist optimistisch seinen Bruder zu bekehren.
"Du brauchst den Rubin nicht. Shiva hat uns alle zusammengeführt um unsere Bestimmung zu erfüllen.", ergänzt Nick. Der Wind pfeift durch das Gesicht von Xander und streift seine Narbe sanft, während das Glühen in seinen Augen verschwindet.
"Ihr habt echt keinen Schimmer, oder?", fragt Xander und schaut seine Geschwister neutral an.
"Das alles hier. Das ist unsere Bestimmung!", ruft er und breitet seine Arme über dem Asphalt der Hauptstraße aus.
"Die Magie hat das alles angerichtet."
Er holt den Rubin aus seiner dunklen Manteltasche.
"ABER JETZT BIN ICH DIE MAGIE!", brüllt er und ist sich seiner sicher.
"Mit mir ist sie sicher. Und ich werde alles vernichten, was auf dieser Welt an die Magie gebunden ist. Das Jenseits und jedes Wesen welches keinen Platz auf dieser Erde haben sollte. Dann bin ich der einzige Mensch der die Kontrolle hat, dann habe ich alle gerettet!", erklärt er ihnen überzeugt.
"Nein, dann bist du kein Mensch mehr. Dann bist du endgültig verloren.", keucht Shawn seinem Bruder mutig entgegen.
"Stimmt. Du hast Recht. Dann bin ich ein Gott.", lächelt Xander, ehe er in einer blutroten Rauchschwabe verschwindet und die Zeit in der Stadt wieder zu laufen beginnt.

Gabes Hand sinkt und sein Blick ist leer. Lily fasst ihm an die Schulter und streichelt ihm sanft über diese,
"Nicht aufgeben. Wir haben ihn damals gerettet und werden es auch heute. Ich bin mir sicher."

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Im kalten und feuchten Wald der Stadt braut sich allerdings ein ganz anderes Problem zusammen, als Raven langsam in einem ihrer alten Kleider durch das Gestrüpp spaziert und auf der Suche nach etwas ist. Nach jemanden.
"Hallo?", ruft sie und schaut sich vorsichtig um.
"Bist du da?!", wiederholt sie sich und schaut durch die dicht aneinander gereihten Bäume. Auf ihren letzten Ausruf folgt das laute schlagen von zwei Flügeln, welches ihre Ohren durchdringt. Sofort dreht sie sich um und erblickt den Bruder von ihrer ehemaligen besten Freundin Angelica. Den Erzengel Raphael.
"Miss Mortimer. Wie habe ich diese Ehre verdient?", fragt der Engel sie und hat seine Hände zusammengefaltet hinter seinem weißen Sakko. Die Königin der Siphoner kommt sofort zur Sache, da die Situation sie mehr als mitnimmt,
"Xander...er..er ist nicht mehr...Ich weiß nicht."
Der Engel sieht die Angst in ihren Augen und die Sorge, welche sich in ihrer Seele breit macht.
"Der Rubin hat ihn verändert. Wie vorhersehbar.", murmelt er und streift sich über seinen Anzug. Raven wird wütend und betrachtet den veränderten Erzengel mürrisch,
"Was ist mit dir passiert?", fragt sie ernst. Raphael keucht leicht und lehnt sich angestrengt an einen der Baumstämme, nur um sich kurz später seine Augen zu reiben.
"Ich wurde von den anderen Engeln aus dem Himmel vertrieben.", antwortet er offen. Raven zieht ihre Augenbrauen hoch,
"Bitte?"
"Du hast richtig gehört. Ich bin der letzte Erzengel und sie akzeptieren mich nicht als ihren Anführer. Sie werfen mir den Tod von Angelica und die Korrumpierung von Xanders Seele vor. Sie sagen ich wäre wie er...Luzifer.", antwortet er und scheint emotional sehr getroffen von der Situation in seiner einst so paradiesischen Heimat.
"Eine Sache kannst du aber vielleicht wieder gut machen.", entgegnet Raven ihm. Der Engel richtet seinen Kopf still zu der Siphoner.
"Du gabst Xander den Rubin. Nimm ihn ihm und werfe ihn wieder in das große Nichts. Xander wird wieder der Alte und die Welt ist gerettet. Einfach, oder?", lächelt die Königin grimmig. Raphael richtet sich verwundert auf.
"Was hast du gesagt?", fragt er sie merkwürdig. Raven scheint verwirrt.
"Du gabst ihm den Rubin.", wiederholt sie sich. Raphael schlägt seine Hände über dem Kopf zusammen und breitet plötzlich seine weißen Flügel aus. Langsam dreht er sich zu Raven,
"Ravenna, ich kehrte vor Monaten zu Xanders Hütte zurück um ihm zu sagen, dass der Rubin im Nichts verloren ist. Er war längst nicht mehr in Noores Gefängnis.", offenbart er ihr seine Seite der Geschichte.

Raven versteht nicht was der Erzengel meint, da er die Geschichte von Xander ganz anders kennt.
"Unmöglich. Nur ein Erzengel kann durch Welten reisen. Was hat er dir daraufhin gesagt?", fragt sie unsicher und ihr Blick wird immer blasser.
"Er war nicht mehr am Sebago Lake. Xander war verschwunden.", antwortet Raphael ihr schaudernd. Raven schüttelt den Kopf und kann diese Aussagen nicht deuten.
"Was willst du damit sagen?"
Raphael schaut ihr tief in die Augen,
"Der Typ mit dem Rubin...das ist nicht Xander."

--- Katakomben von Rosewood ---

Schwere Schritte erfüllen den langen Korridor, unter dem Friedhof der Stadt, mit lautem Gepolter, als der schwarze Mantel von Xander sich magisch von seinem Torso löst und sanft zu Boden gleitet.
"Hast du es?", fragt er und schaut in die Ecke des runden Saales - einer Familiengruft - in der der in einem schwarzen Anzug gekleidete Belphegor steht.
"Selbstverständlich.", antwortet er und händigt dem Prawl die Box der Pandora aus.
"Perfekt.", keucht Xander und legt die Box auf einem hohen Podest, während er mit der linken Hand beginnt den Smaragd aus dem Deckel der Box zu entfernen.
"Und jetzt?", fragt der Dunkle und tritt näher an den Altar heran, während er das Spektakel neutral beobachtet.
"Jetzt...jetzt bekomme ich meine Rache.", antwortet er ihm und wirft den Smaragd auf den harten Boden der Katakombe, auf dem er auch sofort zerschellt. An die Stelle, wo eben der grüne Edelstein war, setzt er nun den roten Phönix Rubin. Die Box der Pandora beginnt grell zu flimmern, als die mächtige Magie des Rubins in die alles zerstörende Box eindringt und diese mit neuer Kraft füllt. Xander dreht sich zu Belph und schaut diesen triumphal an.
"Die Retter mögen wohl mächtig sein, aber ich bin ein Dämon. Und Dämonen sind ewig.", lächelt er dem Dunklen zu, als seine Augen sich nun komplett schwarz färben...

ROSEWOOD - Erben der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt