10: "Ein bester Freund"

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Einige Stunden später, kurz vor Mitternacht...

* Ring *
* Ring *
* Ring *

Nervig klingelt das Festnetztelefon der Prawls, in ihrem privat gemieteten Apartment, des Rosewood B&B's, welches in einem rustikalen aber auch passenden Vintage Stil eingerichtet ist.

An der Wand, über einem kleinen Kamin, welcher für diese Art von Unterkünfte sehr unüblich ist, hängt das teure Portrait der Familie. Ein wertvolles Stück Kunst, welches sie schon seit Jahren begleitet.
In der Mitte sitzt Xander auf einem roten Sessel, rechts neben ihm steht Gabriel. Links vom Oberhaupt der Familie befinden sich Shawn und der damals noch lebende Nick, welcher fröhlich einher schaut. Hinter dem Sessel steht Lily, mit ihren damals noch braunen Haaren, welche sie sich im Laufe der Zeit abschnitt und blau färbte.

Lily stapft schnell durch das Apartment und geht an das Telefon, welches immernoch nicht aufhört zu ringen.

"Prawl.", meldet sie sich kurz und knapp mit ihrem Familiennamen und hat den Hörer schnell an ihrem Ohr.
"Ahh, das Mädchen. Wir sind uns im Park begegnet.", spricht die dunkle - aber auch junge - Stimme am anderen Ende der Leitung.
Lily zieht ihre Augenbrauen hoch.
"Bitte? Wer bist du?", fragt sie und kann die Stimme nicht zuordnen.
Sie hört ein leises Lachen. Düster, aber auch sympathisch.
"Ich bin Belphegor. Erinnerst du dich?", fragt er sie freundlich, nachdem er ihre Erinnerung leicht geweckt hat. Sie atmet auf,
"Ach, der Typ der von Raven manipuliert wurde.", stellt sie fest.
"Oder? Keine Ahnung, du solltest dich eigentlich nicht an mich erinnern können, wenn sie dich wirklich manipuliert hat.", ergänzt sie verwundert, da sie immernoch nicht gerade vertraut mit den neuen übernatürlichen Dingen in ihrem Leben ist.
Belph lacht leicht und räuspert sich etwas.
"Ich fürchte Raven hat sich einen kleinen Spaß erlaubt. Ich bin keiner ihrer einfachen Handlanger.", korrigiert er die falsche Auffassung von Lily elegant.

Sie setzt sich mit dem Hörer an das linke Ende der Couch, vor den warmen Kamin.
"Sorry, vergiss es. Ähm..wieso meldest du dich? Xander und Gabriel sind wie du wahrscheinlich weißt los um eine der Zutaten zu besorgen. Sie können sich später nochmal melden, wenn du willst.", erklärt sie ihm unbeholfen.
"Nein, ich rufe wegen etwas anderem an. Aber nicht am Telefon. Komm in meine Pfandleihe, direkt auf der Hauptstraße. Sie ist in der Nähe von der Bar eures Freundes. Du kannst sie kaum verfehlen.", bittet Belphegor sie um ein persönliches Gespräch.
"Aber es ist zwölf Uhr...-"
"Bis gleich. Sehr lieb von dir.", unterbricht er sie und legt sofort auf.
Das monotone Geräusch des beendeten Anrufs hallt in Lilys Ohr und sie sitzt verwirrt auf der Couch.
"Was zur Hölle?", fragt sie sich selbst und steht auf.
Sie schüttelt den Kopf und schnappt sich ihren halblangen Mantel, welcher halb über die Couch geworden wurde.
Sie zieht ihn sich über und greift nach ihrem Apartmentschlüssel.
Sie geht los, da sie nun wissen will was es mit dem mysteriösen Belphegor auf sich hat.

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Shawn sitzt derweil im Gemeinschaftsraum des Bed and Breakfast's und liest in aller Ruhe seine Tageszeitung. Auf dem flachen Tisch neben seinem Stuhl steht sein warmer Kaffeebecher, während die alte Besitzerin des B&B's fleißig ihre Rechnungen und andere Dokumente in eine hölzerne Schublade einsortiert.
Shawn blättert durch die Zeitung 'Portland Press Herald', welche die für den Staat Maine zuständige Tageszeitung ist.
'Governor Smith verspricht neue Aussichten auf Frieden an der Ostküste in Maine - Bürgerkriegs ähnliche Zustände!', ist eine der großen Schlagzeilen welche Shawn lächelnd liest.
"Köstlich.", murmelt er und greift nach seinem Kaffee.

Als er die Zeitung senkt, sieht er jemanden - auf der gegenüberliegenden Couch - plötzlich vor sich sitzen.
"WOAH!", erschreckt er sich und verschüttet tollpatschig sein Getränk.
"Sagen Sie nächstes Mal etwas!", beschwert er sich und greift nach einem Taschentuch. Er huldigt der Person keinen einzigen Blick.
"Sorry. Ich wusste nicht was ich sagen soll.", entschuldigt sich eine Shawn einst vertraute Stimme.
Er reißt seine Augen weit auf und er spürt wie ihm ein Kloß im Hals stecken bleibt.
Er lässt vom Taschentuch ab und richtet seinen Kopf langsam auf.
Die Besitzerin des B&B's ist verschwunden und nun sitzt vor ihm sein kleiner Bruder. Aber es ist nicht Gabriel und schon garnicht Xander.
Es ist der verstorbene Nick.
"Hi.", lächelt Nick und schaut ihn schelmisch an.

Shawn steht auf und die Zeitung gleitet knisternd zum Boden.

"Nein...unmöglich.", flüstert Shawn und traut seinen Augen nicht.
In einem dunkelroten Hemd, kombiniert mit einer schwarzen Hose, sitzt Nick nun auf dieser Couch. So als wäre es das normalste der Welt.
"Genau wie die Rückkehr von Raven? Du solltest deine Definition von 'Unmöglich' überdenken, Shawn.", scherzt Nick und steht ebenfalls auf.
Die Augenlider des sonst immer so ernsten und kühlen Prawls beginnen zu zucken.
Langsam geht er auf Nick zu.
"Bist du...wirklich zurück? So wie Raven?", fragt er noch einmal, da er sich nie zu Träumen gewagt hätte, noch einmal in seinem Leben mit Nick zu reden.

Sein kleiner Bruder, der so qualvoll vom eigenen Vater ertränkt wurde.

Nick schüttelt den Kopf und zieht sich an seinem engen Kragen herum. Er beginnt aber etwas zu lachen.
"Nein, ich bin nicht wieder da. Also nicht ganz. Ich weiß nicht wie ich es sagen soll...am Ende habe ich nur gespürt wie meine Lungen sich mit dem kalten Wasser des Brunnens gefüllt haben und dann war es wie ein...ich weiß nicht. Wie ein Schlaf.
Bis ich aufgewacht bin. Heute morgen.", beschreibt Nickt selbst etwas verwirrt den Zustand in dem er sich gerade befindet.
Nick schaut auf den Tisch und greift nach genau diesem.
Seine Hand fährt einfach - so als wäre der Tisch nicht existent - hindurch.
"Ich glaube ich bin ein Geist. Sag mal, kennst du dich mit diesem Zeug aus?", fragt Nick und ist überrascht über Shawns relativ 'normale' Reaktion.
Shawn räuspert sich und reibt sich leicht seine Augen.
"Ähm, nein es ist alles neu. Lange Geschichte. Zu lang für jetzt. Wir müssen zu unseren Geschwistern. Sie müssen dich sehen!", freut er sich und realisiert nun erst einmal was nun möglich ist.
Nick reagiert nicht auf den Vorschlag von Shawn und senkt seinen Kopf zum Boden.
"Ich konnte mich nie verabschieden. Nicht von Xander, nicht von Gabe. Selbst von Lily nicht. Und schon erst recht nicht von dir. Wir haben zwar oft gestritten, aber du warst mein Bruder. Und mein bester Freund.", seufzt er leise, aber sofort geht Shawn auf ihn zu.
"Du bist hier. Keine Ahnung wie, aber du bist es. Lass uns zu den anderen.", drängt Shawn erneut auf eine Familienzusammenführung.
"Nein.", antwortet Nick direkt und geht auf das Fenster des Gemeinschaftsraumes zu.

"Ich bin zwar eben erst aufgewacht, aber wie bereits gesagt weiß ich ein paar Sachen. Zum Beispiel dieser Kram mit Raven. Ist sie auch ein Geist?", fragt Nick und schaut aus dem Fenster, von dem man den Uhrenturm sehen kann.
Shawn schüttelt den Kopf und kratzt sich an seinem Kinn,
"Nein, sie ist in ihrem Körper zurrückgekehrt. Wieso fragst du?"
Sofort zeichnet sich ein untypisches Lächeln auf Nicks Gesicht ab.
"Kennst du die Geschichten wo Komapatienten davon berichten, dass sie gehört haben was um sie herum los war?", fragt er seinen Bruder in einem merkwürdigen Unterton.
Shawn nickt still.
"So war es bei mir auch. Und ich muss dir etwas sagen. Ich habe gehört was sie mit unserem Bruder vorhaben. ", erklärt Nick ihm unruhig und spielt auf den Plan an, Xander zu einem Dämon zu machen.
"Xander weiß davon. Er hat eingewilligt, ich weiß was du meinst.", antwortet Shawn sofort.

Nick kommt ihm langsam näher.
"Da ist noch eine Sache. Aber dafür brauche ich dein vollstes Vertrauen. Und...deine Einwilligung. Du musst 'Ja' sagen.", bittet er seinen Bruder nun wie aus dem Nichts um diesen Gefallen.
"Was?", keucht Shawn verwundert.
"Ich will doch auch wieder bei ihnen sein. Aber ich kann zurück kommen, Shawn. So wie Raven.", ergänzt Nick nun ungewöhnlich aufdringlich.
Shawn zieht seine Augenbrauen leicht hoch.
"Du denkst du kannst wieder in deinen physischen Körper zurück?"
Nick lächelt seinen Bruder nun zustimmend an.
"Alles ist möglich. Du musst mir nur vertrauen. Sag...ja...", flüstert Nick und streckt seine Hand langsam aus.

Shawn nickt und denkt an die Momente und Möglichkeiten, die die Familie Prawl hätte, wenn Nick gänzlich wieder da wäre.
"Ja.", lächelt Shawn und ihm läuft sanft eine Träne die Wange hinunter.
Nicks Augen beginnen zu glühen und er beginnt zu lachen.

Der gesamte Raum erfüllt sich mit einem übernatürlichen Licht und beginnt sofort zu beben.

Draußen außerhalb des B&B's sind die hellen Lichtstrahlen deutlich zu sehen und sie scheinen mächtig in alle möglichen Richtungen, während sie den schwarzen und nebligen Nachthimmel grell erhellen...

ROSEWOOD - Erben der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt