Kapitel 1

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Es ist Winter in Hawkins. Draußen ist es bitterkalt. Du kannst deinen Atem sehen, als du mit bebenden Lippen ausatmest. Endlich schaffst du es, deine verkrampften Hände vom Lenkrad zu lösen. Aus den Boxen deines Autos klingt Stand up and Shout von Dio. Du nimmst dir einen Moment Zeit und drehst die Lautstärke auf Anschlag. Du spürst, wie sich dein Körper etwas entspannt, deine Nerven sich beruhigen. Du beginnst auf deinem Lenkrad zu trommeln. Du erinnerst dich an den Tag zurück, als Eddie und du zu dem Song im Byers Haus Luftgitarre spielend durch die Gegend getanzt seid. Die Erinnerung zaubert dir ein Lächeln auf dein Gesicht. Der Song endet, du atmest tief durch, greifst nach deinem Eastpak und steigst aus deinem Wagen. Der Parkplatz ist bereits wie leergefegt und du musst dich beeilen, noch vor dem ersten Schellen zu deiner Klasse zu kommen. Du ziehst einen zerknüllten Zettel aus deiner Jeanstasche und wirfst einen Blick darauf. In der ersten Stunde hast du Geschichte. Um zu deinem Klassenraum zu gelangen musst du einmal quer durch die Schule. Klasse. Du wirst an deinem ersten Tag zu spät kommen. Geht ja gut los.

Du schulterst deinen Rucksack und rennst Richtung Schule. In den Fluren begegnest du nur vereinzelt Schülern, die ungefähr genauso hektisch durch die Gänge sprinten wie du. Wieder zur Schule zu gehen fühlt sich auch irgendwie merkwürdig an. In 2022 hast du deinen Abschluss bereits gemacht und jobbst. Doch um an Eddie und die anderen heranzukommen, musstest du dich wieder als Schülerin der Hawkins High einschreiben. Das war schwieriger als gedacht, zumal du mitten im Schuljahr startest. Bei dem Gedanken an Eddie ziept dein Herz unangenehm in deiner Brust. Spätestens heute in der Mittagspause wirst du ihn in der Cafeteria sehen. Zumindest hoffst du das.

Außer Atem stoppst du vor der Tür zu deinem Klassenraum. Du klopfst an und reißt die Tür auf, ohne auf eine Antwort zu warten. Sofort starren dich mehrere Augenpaare an. Nervös beginnst du von einem Bein auf das andere zu treten.

„Ah, unser Neuzugang!" begrüßt dich die Lehrerin. Ms. Click, wenn du dich nicht täuschst.

„Am ersten Tag zu spät, das fängt ja gut für Sie an, Ms. Winchester", sagt sie mahnend und du streichst dir peinlich berührt eine Strähne deines Haares hinter dein Ohr.

„Tschuldigung, hab die Klasse nicht gefunden", lügst und lässt deinen Blick durch den Raum schweifen, auf der Suche nach einem freien Platz.

„Na schön, suchen Sie sich einen Platz und setzen sie sich, damit wir mit dem Unterricht fortfahren können", sagt Ms. Click und dreht sich zur Tafel um.

Du schlängelst dich durch die Reihen und lässt dich auf einen Platz in der vorletzten Reihe fallen. Zu deiner rechten sitzt ein junges Mädchen mit Dauerwelle und Schulterpolstern. Sie würdigt dich keines Blickes. Zu deiner linken sitzt ein Typ, der dich mit offenem Mund anstarrt. Er trägt eine Brille und sein zerzaustes Haar steht in alle Himmelsrichtungen ab.

Der Unterricht vergeht quälend langsam. Und auch die folgenden Stunden ziehen sich wie Kaugummi. Als es endlich schellt springst du, wie von der Tarantel gestochen, auf und verlässt beinahe fluchtartig den Klassenraum. Du verlässt das Schulgebäude und gehst zu deinem Auto. Du lehnst dich an die Motorhaube und zündest dir eine Zigarette an. Gedankenverloren lässt du deinen Blick über den Parkplatz streifen. Du hältst inne und beginnst nervös mit dem Saum deines Shirts zu spielen. Gerade verlassen Mike und Dustin das Gebäude und steuern die Cafeteria an. Beide tragen ein Hellfire Club Shirt. Du drückst deine Zigarette mit dem Absatz deines Stiefels aus und setzt dich mit zitternden Knien in Bewegung.

Du öffnest die Tür zu Cafeteria und sofort dröhnt das Stimmengewirr in deinen Ohren. Schnell entdeckst du den Hellfire Tisch und dein Herz macht einen Salto. Gleichzeitig schnürt sich dir die Kehle zu und du schaffst es nicht, auch nur einen weiteren Schritt zu machen. Da sitzt er. Einfach so. Als wäre er nicht vor zwei Monaten gestorben. Tränen bilden sich in deinen Augen und du wischst sie hektisch weg. Du kannst ihn nur anstarren. Er sitzt da, vor sich seine blecherne Brotdose, lacht und wippt mit dem Kopf hin und her. Du stehst weit entfernt und doch klingt sein Lachen in deine Ohren wieder, wie die schönste Melodie, die du je gehört hast.

Plötzlich wirst du unsanft angerempelt, du drehst den Kopf und blickst in Jasons dümmliches Gesicht. Du hattest beinahe vergessen, das er auch er noch am Leben ist. Wie schade.

„Steh nicht so dumm rum!", fährt er dich an und seine idiotischen Kumpel lachen höhnisch. Du verdrehst die Augen und gehst, ohne ein Wort zu sagen, an ihm vorbei zur Essensausgabe. Nachdem du dir etwas von dem Essen, das ein wenig aussieht wie Erbrochenes, aber wohl Erbsenpüree sein soll, geholt hast stehst du unschlüssig mit deinem Tablett in den Händen da. Dir fehlt der Mut, dich einfach an den Tisch des Hellfireclubs zu setzen. Also steuerst du einen Tisch an, an dessen Ende noch ausreichend Platz ist und setzt dich. Von hier aus hast du Eddie im Blick und dir wird abwechselnd heiß und kalt, jedes Mal, wenn du ihm einen verstohlenen Blick zuwirfst.

Eddies Blick schweift durch die Cafeteria und bleibt für eine Sekunde an dir hängen. Dir rutscht das Herz in die Hose. Doch im nächsten Augenblick widmet er sich wieder Dustin, der aufgeregt gestikulierend etwas erzählt. Du seufzt und starrst auf dein Essen. Du kriegst keinen Bissen runter. Erst jetzt bemerkst du, das deine Hände zittern.

Mit einem Blick zum Tisch der Sportler versicherst du dich, das auch Chrissy heute anwesend ist. Jason legt gerade einen Arm um sie. Sie kichert verlegen. Du hast dir noch nicht so richtig Gedanken gemacht, wie du an sie herankommst. Tausende Szenarien hast du in deinem Kopf durchgespielt und in jedem Einzelnen hast du es nicht geschafft, dich mit ihr anzufreunden. Wie auch. Du gehörst eher an den Tisch der Freaks. Während sie die Königin der Hawkins High ist. Doch wenn du verhindern willst, das Vecna überhaupt erst die Tore der Hölle öffnet, musst du sie irgendwie retten. Doch dafür bleibt dir noch genug Zeit. Bis zu den Sommerferien sind es noch knapp 6 Monate. Genug Zeit um dich nicht nur Chrissy, sondern auch Eddie und den anderen anzunähern. Hoffentlich geht dein Plan auf, denkst du während du Eddie betrachtest. Du unterdrückst das Bedürfnis einfach zu ihm rüber zu gehen und ihn zu küssen. Wie sehr du es vermisst ihn zu küssen. Oder auch nur in seiner Nähe zu sein.

Seufzend stehst du auf und bringst dein Tablett weg. Bevor es klingelt möchtest du noch eine Rauchen. Also verlässt du die Cafeteria, nicht ohne noch ein letztes Mal zu Eddie herüberzusehen, und gehst wieder zu deinem Auto. Während du den Rauch der Zigarette inhalierst siehst du, wie Chrissy mit verschränkten Armen und schnellen Schrittes die Cafeteria verlässt. Sie ist bestimmt auf dem Weg zu den Toiletten, denkst du und spielst mit dem Ring an deinem Finger. Du presst die Lippen aufeinander und betrachtest ihn. Im Licht der Sonne glitzert er. Du streifst ihn vorsichtig von deinem Finger und drehst ihn so, das du die Gravur lesen kannst.

Sloth liebt Chunk

Deine Augen füllen sich mit Tränen und im nächsten Moment findest du dich in deinem Auto wieder. Du schaffst das hier nicht. Dein Herz verkrampft sich schmerzhaft und du drückst schluchzend eine Hand gegen deine Brust. Dann startest du den Motor und lässt die Schule hinter dir.



Die Zeitreisende, Izzy & Eddie Part 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt