Kapitel 2

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Mit quietschenden Reifen kommt dein Auto vor deinem neuen zu Hause zum stehen. Hastig steigst du aus, bleibst mit dem Gurt deines Rucksacks am Schaltknüppel hängen und fluchst laut. Immernoch rinnen dir Tränen über die Wangen.
"Hey, alles okay?"
Du schaust auf.
Max steht vor dir.
Du starrst sie stumm an. Wie ein Fisch öffnest du deine Lippen, nur um sie gleich wieder zu schließen.
Max legt fragend den Kopf schief.
"Ehm ja, ja alles okay",sagst du und wischst dir mit der flachen Hand durchs Gesicht.
Du hast nicht damit gerechnet, Max so zu begegnen. Du wirfst einen Blick auf die Uhr. Sie müsste eigentlich, genau wie du, noch in der Schule sein.
"Okay",sagt sie knapp und zieht ihre Augenbrauen in die Höhe.
"Ich bin Max Mayfield. Ich wohne da drüben",sagt sie und deutet auf den Trailer schräg gegenüber.
Verlegen streckst du ihr deine Hand entgegen, sie schüttelt sie.
"Ich bin Izzy Winchester. Ich bin gerade aus Lenora hergezogen",sagst du und nickst in Richtung deines Trailers.
"Verstehe",sagt sie und lächelt, "Falls du Mal irgendwas brauchst oder so, komm ruhig rüber."
"Danke",sagst du und erwiderst ihr Lächeln.
Es ist unglaublich schön Max zu sehen. Doch gleichzeitig macht es dich wahnsinnig traurig, das sie sich nicht an dich erinnert. Und das sie, wenn du es nicht schaffst, alles abzuwenden, im Krankenhaus im Koma enden wird, gefangen in Vecnas Geist. Bei dem Gedanken wird dir schlecht.
Ein Motor heult auf und du und Max drehen gleichzeitig den Kopf. Um die Kurve, mehr rutschend als fahrend, kommt ein Van angeschossen. Oh Gott. Abermals rutscht dir dein Herz in die Hose.
Max bemerkt deinen Blick und kichert.
"Das ist nur Eddie Munson. Er hat den Trailer da vorn",sagt sie und deutet auf den Trailer in der Reihe, zwei weiter neben deinem, "Er fährt wie ein Irrer. Manchmal kommt die Polizei wegen ihm. Er dealt mit Drogen.",sagt sie und zuckt mit den Schultern.
Du presst die Lippen aufeinander.
"Also falls du Mal was brauchst",sagt sie und zwinkert dir zu. Du lachst.
"Ich bin versorgt",antwortest du und zwinkerst zurück.
"Na dann werdet ihr euch gut verstehen",sagt Max und die Tür den Vans fliegt quietschend auf. Eddie steigt aus und schaut zu euch rüber.
Max hebt die Hand zum Gruß und Eddie tut es ihr gleich. Kurz bleibt sein Blick wieder an dir hängen. Du starrst ihn an. Er runzelt die Stirn. Oh Gott, er muss denken du bist völlig behämmert. Stehst da und starrst ihn an wie ein Reh, das ins Scheinwerferlicht blickt. Schnell wendest du deinen Blick ab und im nächsten Moment ist Eddie in seinem Trailer verschwunden.
"Er wohnt da mit seinem Onkel. Wayne. Netter Mann, repariert manchmal Sachen.
Kannst ihn fragen, wenn du Hilfe brauchst",sagt Max und steckt ihre Hände in die Hosentaschen.
"Ich lebe hier mit meiner Mum",fügt sie hinzu, "Sie arbeitet aber viel. Und du?",will sie wissen.
"Ich lebe allein."
Max Augen weiten sich.
"Ist das legal?",fragt sie und du lachst.
"Naja, mein Bruder hat die Vormundschaft für mich, aber er lebt nicht hier, alsooo",sagst du und zuckst mit den Schultern.
"Achso, verstehe. Naja, willkommen in diesem Drecksloch, würd ich sagen"
"Vielen Dank, selten so nett begrüßt worden",sagst du und grinst schief.
"Ich werd dann Mal den Hund füttern",sagt Max und wendet sich zum gehen, "Ach und ab und an fällt der Strom aus. Das ist normal. Denk dir nichts dabei."
"Drecksloch",sagst du und Max lächelt nickend.
"Drecksloch."
Dann geht sie. Du schaust ihr nach. Die Ereignisse in der Mall stehen ihr ins Gesicht geschrieben. Sie wirkt angeschlagen.

Du seufzt und befreist den Henkel deines Rucksacks vom Schaltknüppel, wirfst ihn dir über und knallst die Autotür zu. Auf dem Weg zum Trailer schaust du nochmal zu Eddies hinüber. Wie gern würdest du jetzt einfach bei ihm klopfen.

Du öffnest die Tür deines Trailers und wirfst deinen Rucksack in die nächstbeste Ecke. Du schaust dich um. Nicht gerade das Ritz, aber für mehr haben deine Ersparnisse nicht gereicht. Das du so nah an Eddie wohnen würdest, war nicht geplant. Es war Glück. Vielleicht Schicksal?

Seufzend gehst du in die Küche und nimmst dir ein Bier aus dem Kühlschrank. Dann schnappst du dir dein Drehzeug und lässt dich aufs Sofa fallen. Gedankenverloren baust du dir einen Joint. Kein guter erster Tag. Du hast es gerade Mal bis zur Mittagspause geschafft. Das es dir so schwer fallen würde, Eddie zu sehen, war dir nicht klar. Natürlich wusstest du, es würde eine Herausforderung darstellen, ihn nur sehen, nicht mit ihm sprechen oder ihn berühren zu können, aber das es so schmerzen wurde, hat dich doch überrascht. Zwei Monate sind vergangen und noch immer trauerst du um ihn als wäre es erst gestern gewesen. Immer wieder musst du daran denken, wie er dich aus leeren Augen ansieht. An das knackende Geräusch seines berstenden Kehlkopfes. Du schüttelt schnell den Gedanken daran ab, befeuchtest das Blättchen und rollst den Joint zwischen deinen Finger zusammen.
Dann stehst du auf, greifst dir dein Bier und setzt dich vor deinem Trailer auf die Stufen. Die Kälte schneidet dir in die Haut. Aber sie wirkt beinahe belebend. Du zündest den Joint an und ziehst daran. Wieder betrachtest du den Ring an deinem Finger. Deine Gedanken schweifen ab. Du hast keine Ahnung, wie lange du so dagesessen hast, als dich plötzlich eine Stimme aus deinen Gedanken reißt.
"An deiner Stelle würde ich das besser lassen, die Cops fahren hier gerne Mal vorbei. Kannst dich gerne dafür bei mir bedanken."
Dein Puls beschleunigt sich augenblicklich und deine Hände fangen an zu schwitzen. Du hebst den Kopf und blickst in Eddies rehbraune Augen. Fuck.
"Na dann, danke",presst du mit bebender Stimme hervor und verstaust den, ohnehin bereits erloschenen, Joint in der Brusttasche deiner Lederjacke.
"Du bist neu hier",sagt Eddie und du beginnst nervös mit dem Saum deines Shirts zu spielen.
"Stimmt",sagst du und zwingst dich, Eddie anzusehen.
"Ich bin Eddie",sagt er und streckt dir seine Hand entgegen. Du starrst sie an.
"Okay...",sagt er und zieht sie stirnrunzelnd zurück. Garantiert wärst du auf der Stelle in Ohnmacht gefallen, hättest du sie geschüttelt. Doch jetzt musste Eddie erst Recht denken, das du vollkommen bekloppt bist.
"Ich bin Izzy",sagst du und lächelst verlegen.
"Freut mich",sagt Eddie und setzt sich unaufgefordert neben dir auf die Treppe. Die plötzliche Nähe lässt dich erstarren.
"Hey, falls du Mal was brauchst",sagt er und lehnt sich ein Stück zu dir rüber, ein Hauch seines Duftes steigt in deine Nase und dir wird schwindelig, "Ich verticke",beendet er seinen Satz.
"Ich weiß",sagst du und schmunzelst.
Eddie zieht überrascht die Augenbrauen hoch.
"Woher? Ach, bestimmt hat dir das der kleine Rotschopf von gegenüber erzählt, oder?"
Du nickst.
"Kleine Plaudertasche",sagt Eddie und du lachst. Er lächelt, klatscht sich auf die Oberschenkel und erhebt sich.
"Naja, man sieht sich Izzy",sagt er und zieht von dannen.
Du schaust ihm nach.
Deine Knie zittern und jede Faser deines Körper ist zum bersten gespannt.
Nichts läuft nach Plan. Gar nichts. Du vergräbst dein Gesicht in deinen Händen.

Die Zeitreisende, Izzy & Eddie Part 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt