Kapitel 61

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Während Eddie noch spielt und inzwischen beinahe ein wenig genervt wirkt, weil die anderen ununterbrochen Liederwünsche einwerfen, erhebst du dich und gehst in die Küche, um ein Glas Wasser zu trinken.
Der Vodka steigt dir ganz schön zu Kopf.
Doch er verlangsamt dein Gedankenkarussell, was du, zum jetzigen Zeitpunkt, sehr begrüßt.
Du hebst erstaunt die Augenbrauen, als du Nancy in der Küche antriffst.
"Oh hey",sagst du und legst den Kopf schief, als du bemerkst, das sie weint.
"Ehm...ich...tut mir leid...",stotterst du und willst dich gerade umdrehen und gehen, als Nancy ein Schluchzer entfährt.
Du presst die Lippen auf einander.
Du und Nancy habt noch nie ein besonders gutes Verhältnis gehabt.
Dir kommt es beinahe falsch vor, sie darauf anzusprechen, weshalb sie weint.
Du hast sie auch noch nie weinen sehen.
Es fühlt sich merkwürdig an, sie so verletzlich zu sehen.
"Nancy?",fragst du vorsichtig und sie fährt sich mit dem Ärmel durch das Gesicht.
"Schon gut, geh ruhig,"erwidert sie und du seufzt.
"Was ist los?",willst du wissen und legst ihr eine Hand auf die Schulter.
"Nichts",sagt sie schnell und wendet den Blick von dir ab.
"Danach sieht es aber nicht aus. Komm schon, sprich mit mir",sagst du freundlich.
"Es ist nichts",erwidert sie und schüttelt energisch den Kopf.
"Wenn es dich zum weinen bringt, ist es nicht nichts",sagst du und ziehst dich am Küchentresen hoch.
"Nun sag schon",sagst du aufmunternd und Nancy seufzt, schweigt aber weiter.
Du beißt dir auf die Unterlippe.
Willst du es wagen?
"Es ist wegen Steve, hab ich Recht?",traust du dich zu fragen und Nancy starrt dich an.
"Wie kommst du denn darauf?",will sie mit belegter Stimme wissen.
"Nur so eine Ahnung",sagst du und schaust auf deine baumelnden Beine.
Nach einer weiteren Minute Stillschweigens räuspert Nancy sich plötzlich.
"Ich weiß nicht, was ich tun soll",sagt sie kaum hörbar.
"Mmh",machst du und legst den Kopf schief.
"Er hat sich verändert, oder?"
Nancy nickt kaum merklich.
"Ist erwachsen geworden. Mutig und selbstlos. So war er früher nicht, richtig?"
"Nein",sagt sie und wischt sich mit der flachen Hand durchs Gesicht.
"Ich weiß einfach nicht weiter, Izzy...",raunt sie dann und ihre Stimme bricht.
"Du bist dabei, dich wieder neu in ihn zu verlieben."
Nancy sieht dich aus geröteten Augen an, beinahe peinlich berührt.
Dann nickt sie langsam.
"Aber Jonathan...",sagt sie schnell, als wolle sie sich rechtfertigen, "Jonathan ist klasse! Und ich liebe ihn!"
"Oh achso...",sagst du und zuckst mit den Schultern, "Wenn das so ist, verstehe ich das Problem nicht."
Nancy runzelt die Stirn und sieht dich skeptisch an.
"Ich mein ja nur",sagst du und bildest eine gerade Fläche mit der einen Hand,
"Liebe", du streckst deine andere Hand aus, "Schwärmerei",du lässt sie sinken, während du deine andere Hand hebst.
Wie die Schalen einer Waage bewegst du deine Hände auf und ab.
"Was wiegt mehr?",willst du wissen.
"Ich...",sagt Nancy und verstummt.
"Es sei denn, es ist mehr als Schwärmerei, was du für Steve empfindest und du willst, oder kannst, es dir einfach nicht eingestehen",fügst du hinzu und hebst ratlos die Arme.
"Scheiße!",flucht sie und verbirgt ihr Gesicht in ihren Händen.
"Verstehe",sagst du und verziehst die Lippen zu einem schmalen Strich.
"Du solltest es Jonathan sagen."
"Nein!",sagt Nancy schnell und hebt eine Hand.
"Es ist alles gut zwischen Jonathan und mir! Ich liebe ihn!"
Du springst vom Tresen und stellst dich vor Nancy.
"Du weißt aber schon, mit wem du hier sprichst?",fragst du und verschränkst die Arme vor der Brust.
Einen Moment lang sieht Nancy dich ratlos an, dann entgleisen ihre Gesichtszüge.
"Hör auf damit!",sagt sie und hält dir ihren Zeigefinger unter die Nase.
"Ich will nichts darüber hören!"
"Worüber? Darüber, das du Jonathan betrügen wirst?"
Nancy starrt dich entgeistert an.
"Das würde ich niemals tun....",sagt sie zornig und du lachst.
"Oh doch, du wirst. Es sei denn, du gestehst dir jetzt ein, das du und Jonathan euch auseinandergelebt habt und Steve sich deshalb problemlos einen Weg zurück in dein Herz suchen konnte. Du hast dich wieder in ihn verliebt, Nancy. Sieh es endlich ein!"
"Hör auf damit!",presst Nancy aus zusammengebissenen Zähnen hervor.
"Nein! Denn ich schaue mir nicht noch einmal an, wie du Jonathan das Herz brichst! Sei verdammt nochmal ehrlich zu ihm! Das hat er verdient! Und vielleicht, vielleicht trifft ihn deine Entscheidung gar nicht so sehr, wie du denkst! Aber wenn du ihn betrügst, zerreißt ihn das!"
Mit diesen Worten gehst du aus der Küche und lässt Nancy stehen.
Du bist so wütend, das du bereits zitterst.
Schnell ziehst du die schwere Stahltür auf und schiebst dich hindurch in die Kälte.
Gierig saugst du die Luft in deine Lungen und lässt sie hörbar entweichen.
Aus deiner Hosentasche fingerst du umständlich die Zigarettenschachtel und zündest dir eine an.
Der Rauch wabert vor dir, im spärlichen Mondlicht.
Du erschrickst, als die Tür hinter dir geräuschvoll auffliegt.
"Was hast du zu ihr gesagt?",pampt Steve dich an und du hebst lächelnd deine Augenbrauen.
"Interessant, das sie zu dir gegangen ist, statt zu Jonathan",sagst du und Steve verzieht wütend das Gesicht.
"Was hast du zu ihr gesagt?",wiederholt er durch zusammengebissene Zähne.
"Ich hab ihr gesagt, was sie hören mußte. Und ganz ehrlich Steve, du solltest es eigentlich auch hören!"
"Was soll das denn bedeuten?"
"Frag doch Nancy. Es wird Zeit, das ihr ein ernstes Gespräch führt",sagst du schnippisch, ziehst an deiner Zigarette und pustest den Rauch in Steves Gesicht, der ihn angewidert wegwedelt.
"Du kannst echt fies sein",sagt er und dreht sich auf dem Hacken um.
Du siehst ihm nach, bis die Tür hinter ihm ins Schloss fällt.
Seufzend legst du den Kopf in den Nacken und schließt die Augen.
War das, was du soeben getan hast, das Richtige?
Bist du zu weit gegangen?
Vielleicht wäre ja alles ganz anders gekommen.
Vielleicht hätte Nancy Jonathan ja gar nicht mit Steve betrogen.
Vielleicht hätten Nancy und Jonathan ja wieder zueinander gefunden.
Vielleicht hast du gerade einen riesigen Fehler gemacht.
Erneut geht die Tür auf und du hebst den Blick.
Eddie legt besorgt den Kopf schief.
"Was machst du hier draußen?",fragt er und du hälst die Zigarette zwischen deinen Fingern in die Höhe.
"Ist alles in Ordnung?"
Du schüttelst den Kopf.
"Liebes",sagt er und kommt auf dich zu, drückt dich an seine Brust, "Was ist denn passiert?"
"Ich glaube, ich hab einen Fehler gemacht",sagst du so leise, das du dir nicht einmal sicher bist, ob Eddie dich gehört hat.
Doch er drückt dich ein Stück von sich und legt dir eine Hand an die Wange.
"Erzählst du es mir?",will er wissen und du berichtest ihm, was du in der Küche zu Nancy gesagt hast und wie Steve reagiert hat.
"Oh",sagt Eddie und kaut auf seiner Unterlippe herum, "Das war vielleicht nicht die feine englische Art, gebe ich zu. Aber nötig war es trotzdem."
Du siehst ihn überrascht an.
Er lächelt dich an und streicht dir eine Strähne deines Haares aus dem Gesicht.
"Ein blinder mit einem Krückstock sieht, was zwischen den beiden läuft. Er liebt sie und sie liebt ihn. Den Schubs haben sie gebraucht um es sich einzugestehen. Für Jonathan tut es mir leid. Aber besser er erfährt es so, als das Nancy ihn betrügt",sagt er sanft und du atmest hörbar aus.
"Ich fühle mich trotzdem schlecht",sagst du und willst den Blick von Eddie abwenden, doch er zwingt dich, ihn anzusehen.
"Dazu hast du keinen Grund. Deine Impulsivität gehört nun einmal zu dir. So bist du eben, Izzy. Und da ist auch gut so. Manchmal brauchen die Menschen einen Tritt in den Allerwertesten um zu begreifen."
Während er spricht, zeigt er mit Finger auf sich und ein Lächeln huscht über dein Gesicht.
"Das war was ganz anderes",sagst du.
"Ach ja, wieso?"
"Weil ich weiß, das du mich liebst und nur zu große Angst davor hattest, alle damit verbundenen Risiken einzugehen."
"Und warum ist das bei Steve und Nancy anders? Müssen sie keine Risiken eingehen? Müssen sie sich nicht auf einander einlassen? Müssen sie sich nicht eingestehen, das sie einander so viel bedeuten, das es egal ist, was morgen kommt?",will Eddie wissen und du schließt die Augen.
"Doch",sagst du und Eddie legt seine Stirn an deine.
"Gut, das du so klug bist",sagst du und lächelst.
Eddie schmunzelt und reibt seine Nasenspitze an deiner.
"Gut, das du viel klüger bist",flüstert er und küsst dich zärtlich.

Die Zeitreisende, Izzy & Eddie Part 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt