91 | damaged skin

367 12 4
                                    


NAVEEN

Stirnrunzelnd schlug ich das Comicheft zu. »Ich versteh's nicht.«

»Was daran verstehst du nicht?«

»Irgendwie alles. Ich meine ... warum sollten diese Kids freiwillig in dieses schwarze Loch springen, wenn sie nicht wissen, ob sie je wieder heil da raus kommen?«

»Weil sie sowieso keinen Grund mehr haben, um ihr altes Leben normal fortzuführen.«

»Das macht keinen Sinn«, war ich der Meinung.

Zwischen Savannahs Augenbrauen erschien eine unzufriedene Falte. »Dein Gesicht macht kein Sinn«, feuerte sie zurück.

Ich rollte das Heft, bevor ich ihr damit einen Klaps auf den Kopf verpasste. »Sei nicht immer so vorlaut.«

»Au!«, täuschte sie Schmerzen vor. »Von wem ich das wohl habe.«

Damit sie mein blödes Grinsen nicht sehen konnte, drehte ich meinen Kopf von ihr weg.

Touché.

Wir saßen in unserer örtlichen Bibliothek, in der hintersten Ecke auf jeweils einem aufgestellten Sessel. Während ich normal auf meinem saß, lag Savannah quer auf ihrem, sodass ihre Beine über die Armlehne baumelten.

Wir hatten vereinbart, dass wir dem anderen wahllos eins unserer Lieblingsbücher in die Hand drücken und es dann lesen müssen. Ich gab ihr den Roman Moby Dick von Herman Melville.

Savannah verstand allerdings die Definition von »Bücher« nicht. Sie holte mir anstatt eines Romanes ein Comicheft. Sie liebte diese Dinger.

Damals hatte ich mich auch an Comics versucht, doch so einfach konnte ich mich nicht mit ihnen anfreunden. Auch der heutige Comic aus ihrer Lieblingsreihe, in der es um ein paar Freunde ging, die sich dem Bösen anschlossen, beeindruckte mich nicht. Er erweckte in mir eher Fragen, weil in diesen Heften eine gewisse Logik fehlte.

Ich verdrehte meine Augen. »Mir egal, von wo du deinen vorlauten Ton hast. Zügel ihn, Fräulein.«

»Zügel deinen Ton, Fräulein«, äffte sie mich mit einer schrecklich nervtötenden Stimme nach.

»So klinge ich gar nicht«, protestierte ich.

Sie setzte sich im Schneidersitz auf den Sessel und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Moby Dick lag auf ihrem Schoß. »Doch, genau so klingst du, Nav. Wie eine alte Rentnerin, weißt du?«

»Noch ein Wort und ich bewerfe dich mit dem Buch, das auf deinem Schoß liegt«, drohte ich. »Ich bin alles, aber nicht alt. Schau mich an.« Ich deutete auf meinen Körper. »Ich seh fantastisch aus. Hast du mal einen Rentner mit so weicher Haut gesehen?« Ich berührte meine Wangen.

Damit konnte ich ihr ein Kichern entlocken. »Oh Gott, du willst echt für immer jung bleiben, oder?«

»Alt werden ist scheiße. Allgemein älter werden ist so ziemlich das beschissenste, dass Mutternatur uns antun konnte. Sei froh, dass du erst vierzehn bist.«

»Vierzehn sein ist genauso scheiße«, murmelte sie. »Niemand schaut sich eine vierzehnjährige an und denkt sich: Wow, die wirkt aber sympathisch. Egal was man versucht, die Leute sehen einen immer mit den gleichen Vorurteilen an. Aber ... Na ja, wer würde schon freiwillig Zeit mit einer Vierzehnjährigen verbringen?«

»Ich«, antwortete ich schulterzuckend.

»Das ist was anderes«, schnaubte sie. »Du bist mein Bruder. Man zwingt dich sozusagen.«

»Niemand zwingt mich, Sav. Das war meine eigene Entscheidung ...«

»Du weißt, was ich meine. Was ich eigentlich sagen wollte war, dass man mit vierzehn nichts erleben kann. Ich zähle schon die Tage, bis ich mir selber Kippen oder Alkohol kaufen kann.«

Fears Between UsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt