93 | selfish actions

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JULIA

Als mich Savannah vor einer Stunde angerufen hatte, sagte sie am Telefon: »Du musst mir helfen. Es geht um meinen Bruder u-und ich weiß nicht was ich machen soll. E-Er dreht total durch. Sein bester Freund geht nicht an's Handy. Indora auch nicht und i-ich ... ich ... ich mache mir Sorgen, bitte, du musst mir helfen.«

Niemals im Leben hätte ich damit gerechnet, dass es Naveen sein würde, der gerade am durchdrehen war.

In meinem Kopf machte das alles noch keinen Sinn. Es war viel zu bizarr. Wie konnte es möglich sein, dass Savannah und Naveen beide getrennt in mein Leben traten, ich sie beide ins Herz geschlossen hatte und sie beide mit einander verwandt waren? Warum hat keiner je etwas erwähnt? Vor allem Naveen deutete mit keiner einzigen Silbe an, dass er eine Schwester besaß.

Ich wusste nicht, was ich tun sollte.

»Savannah!«, riefen wir im Moment gemeinsam durch die Straßen, auf der Suche nach ihr.

Ihr Handy klingelte nicht. Entweder hatte sie es ausgemacht oder der Akku war leer.

»Sav, wo bist du?«, rief dieses Mal nur Naveen. Er war sich sicher, dass sie noch in der Nähe sein musste.

Es war unmöglich zu übersehen, dass er extrem panische Angst um seine Schwester hatte. Er zeigte mir eine neue Seite von sich, die mein Herz noch mehr in zwei teilte.

Ein besorgter Bruder ...

So sehr ich mir auch Sorgen um Savannah machte, brauchte ich endlich ein paar Antworten. »Naveen«, sagte ich und hielt ihn an der Schulter, damit er stehen blieb. »Ich weiß, es gibt wahrscheinlich keinen schlechteren Augenblick als nun, um dich mit Fragen zu Löchern, aber ich brauche Klarheit.«

Er ging nicht auf mich ein. Er sah mich nicht mal an. Er war mit seinen Gedanken völlig woanders. »Ich bin genauso wie er ...«, murmelte er.

»Wie wer?«

»Wie mein Dad.«

Zwischen meinen Augenbrauen erschien eine tiefe, nicht-verstehende Falte. »Nein, Naveen, sag sowas nicht! Wie kommst du da drauf? Du bist kein Stück wie er.«

Er zog erst an seinen Haaren, dann knetete er sich nervös seine Handflächen. »Doch ... er hat recht ... ich bin wie er und ich werde so enden wie er. Alleine ... Einsam ...«

Ich packte ihn an beiden Wangen und zwang ihn, mich anzusehen. »Du bist nicht so wie er. Du bist ein toller Bruder, der alles für seine Schwester machen würde. Du hast dich um sie gekümmert, als es kein anderer tat.«

»Genau das ist es doch!« Er entfernte meine Hände und machte einen Schritt nach hinten. Er betrachtete nur den Boden, nicht mich. »Ich führe das selbe Leben wie er ... Sein Dad war auch nie ein Vater für ihn und Indora.«

Indora. Indora ist Savannahs und auch Naveens Tante ...

»Das bedeutete, dass er sich um sie kümmern musste. Er zog sie auf, versorgte sie, kaufte ihr Schulsachen, kochte für sie, brach die Schule für sie ab ... Genau wie ich ...«

Zum ersten Mal seit mehreren Minuten, baute er freiwillig Augenkontakt zu mir auf. »Seine Gene sind in mir ... Stell dir vor, ich habe irgendwann selbst Kinder. Stell dir vor, ich tue ihnen etwas an. Stell dir vor, dass ich DIR irgendwann etwas antun werde ...«

Fears Between UsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt