Der Mann im Mond kehrt zurück

3K 64 40
                                    

Für einen Moment schloss ich die Augen und atmete tief die Luft der brennenden Erde ein, die um mich herum in sich zusammen fiel.

Endlich. So lang war es her gewesen, dass ich das letzte Mal das Gras unter meinen nackten Füßen gefühlt hatte. Dass ich Sauerstoff in meine Lungen pumpte. Verseuchter Sauerstoff.

Ich öffnete die Augen, die Sonne blendete mich. Mein Gesicht verzog sich.

Warum verehrten die Menschen die Sonne so viel mehr als mich? Sie tat nichts anderes, als den Schmutz und das Unkraut auf der Welt zum Vorschein zu bringen und sprießen zu lassen. Nur wenn Nacht war, war die Erde wirklich schön. Menschen waren zu blind um das zu erkennen. Vielleicht lag es daran, dass sie selbst das schlimmste Unkraut auf der Erde waren.

Ich spürte die altbekannte Wut in mir hochkochen, die auch meine Kraft weckte. Die Luft vibrierte, als ich meine Hände zu Fäusten schloss. Ganz ruhig. Es würde sich alles ändern, dafür würde ich schon sorgen. Jetzt, wo ich mein Gefängnis endlich verlassen hatte, konnte ich damit beginnen, was ich schon vor hunderten Jahren tun wollte. Die Erde zu einem besseren Ort zu machen. Der Parasit Mensch hatte diese schon viel zu lange befallen.

Ich sah mich um. Die brennende Insel fiel langsam Richtung Erdboden herab, mit mir in ihrem Mittelpunkt. Irgendwie hatte ich immer noch nicht so richtig realisiert, dass ich frei war. Es fühlte sich so unwirklich an. So lange hatte ich auf die Erde hinab geblickt, so viele Jahre...

Meine Mundwinkel zuckten leicht nach oben und mein Herz machte einen Hüpfer. Dass Freiheit sich so gut anfühlte, hätte ich nicht gedacht. Ich hatte bloß über Rache gesinnt, als ich da oben fest gehockt hatte. Hatte Nächte, Mondzyklen, Jahre darüber gegrübelt, wie ich es diesen vier Idioten heimzahlen konnte. Über das Gefühl von Freiheit hatte ich kaum einen Gedanken verschwendet. Doch jetzt, wo ich sie hatte, war es das Schönste. Ein Weilchen musste ich diese Schönheit einfach genießen.

Langsam hockte ich mich zu Boden, meine Finger strichen über das feine grüne Gras, das den Grund bedeckte. Es fühlte sich so unwirklich an, und gleichzeitig wie das realste, was ich jemals gespürt hatte. Auf einmal kam mir meine Zeit auf dem Mond wie ein langer Traum vor, der endlich verblasste. Wie als wenn der Sand des Sandmannes endlich nachlassen würde.

Ein leises Geräusch ließ mich aufblicken. Vor mir in den Trümmern regte sich etwas. Ich hielt inne und beobachtete mit schräggelegtem Kopf wie sich ein winziges Känguru mit schwarzer Kutte aus den Trümmern kämpfte. Bewundernswert, dass dieses kleine Ding überlebt hatte. Vielleicht kam mir das sogar zu Gute.

Die Augen des Kängurus weiteten sich bei meinem Anblick. Seine Verwunderung drückte es über eine Sprache aus, die definitiv nicht irdisch war. An dem ungewöhnlichen Dialekt konnte ich bereits vermuten, dass es vermutlich von der anderen Seite der Galaxie stammte.

„Wie lautet dein Name?", fragte ich das orangefarbene Wesen. Wie gut es sich anfühlte den Klang meiner eigenen Stimme in der Atmosphäre der Erde wahrzunehmen...

Das Känguru antwortete in seiner fremdartigen Sprache. Monsieur Piet also. Ja, ich konnte mich erinnern. Von meinem Gefängnis aus hatte ich die Geschehnisse auf der Erde beobachten können. Dieses kleine Känguru hatte tatsächlich einen Teil dazu beigetragen, dass ich nun frei war. Und vielleicht konnte es nun erneut hilfreich sein.

„Auf dieser Erde befindet sich in ein Pager. Ein kleines, orangefarbenes Gerät. Ich muss es finden. Weißt du, wo es ist?"

Dass ich überhaupt danach fragen musste, war eine Zumutung. Dieser Pager hätte in meinem Besitz sein müssen! So wusste ich noch nicht einmal, ob mein Paket schon auf der Erde angekommen war, oder ob es noch unterwegs war. Und Piet schien es auch nicht zu wissen. Er verneinte meine Frage.

Meine Stirn legte sich in Falten und für einen Moment starrte ich raus in den Himmel. Schlimm genug, dass ich nicht kontrollieren konnte, welche Wege mein Paket einschlug. Umso schlimmer, dass ich nicht mal mehr in Besitz des Funkempfängers war. Ich musste diesen Pager um jeden Preis finden. Das Paket durfte auf keinen Fall in fremde Hände gelangen. Wenn einer der Wächter es entdecken sollte...

Für einen Moment schloss ich die Augen, um mich zu beruhigen. Natürlich bewirkte das gar nichts. Meine Hände blieben verkrampft und die Energie in mir pulsierte weiter. Ich erhob mich langsam.

Wohl oder übel musste ich den Verlauf der Dinge gerade rücken. Aber das dürfte kein Problem sein. Ich hatte genug Zeit gehabt, um alle meine Möglichkeiten abzuwägen und um Pläne zu schmieden. Ich war mächtig genug um es mit allen Hindernissen aufzunehmen. Und die Wächter würden nicht mehr lange genug am Leben sein, um mir in die Quere zu kommen.

Ich hatte eine dunkle Ahnung, wo der Pager abgeblieben sein könnte. Es wäre ein interessanter Zufall, nur dass ich klug genug war, um zu wissen, dass Zufälle nicht existierten. Alle Fäden hatten einen Sinn. Und alle Fäden kamen bei einer einzigen Person zusammen.

Ich unterbrach mein Grübeln und blickte erneut auf Monsieur Piet herab. „Der Kompass", sagte ich kühl, „Wo könnte sich der Kompass befinden?"

Das war etwas, was Monsieur Piet wusste. Das erste, richtige Lächeln umspielte meine Lippen. Es war nicht schlecht einen kleinen Spion bei sich zu haben – besonders einen, der kein Mensch war. Diese waren doch zu fehlerhaft. Aber Monsieur Piet hatte von Anfang an alles mit verfolgt, schon, als die magischen Bohnen wieder auf der Erde aufgetaucht waren. Glücklicherweise waren die Menschen so geldgierig, dass sie die wahre Macht der Bohnen nie ganz ausgenutzt hatten. Nun – fast. Durch eine Bohne waren ein paar von ihnen entkommen, als mein Strahl die Insel vernichtet hatte. Unter ihnen war auch der Kompass gewesen.

Aber warum sich darüber ärgern. Durch Piets Hilfe würde ich ihn finden. Niemand konnte auf Dauer vor mir davon laufen.

Ich bückte mich und streckte eine Hand nach Monsieur Piet aus. Das kleine Känguru sah ehrfürchtig zu mir auf.

„Führ mich zu ihm.", befahl ich.

Aus den Wolken, die die brennende Insel umhüllten, ertönte ein Grollen. Die Erde schien sich wappnen zu wollen. Eine sinnlose Hoffnung. Was auch immer jetzt geschah – keiner würde den aufziehenden Sturm verhindern können.

Der Mann im Mond kehrt zurück / JCU (Julien Bam)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt