72~ Abschied

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Sie sitzt wieder im Wartezimmer von ihrem Psychater. Den Blick starr an die Wand an denen verschiedene Broschüren von irgendwelchen Organisationen heften die einem helfen sollen. Ja, Hilfe. Die könnte sie gebrauchen.

Sie fliegt gerade in den tiefen Abgrund und wartet nur auf den Aufprall. Ryan schreibt ihr täglich, ruft sie an. Von ihrem Bruder keine Spur. Sie hat kein Anhaltspunkt. Und Ryan sagt nur, er wird ihr nicht helfen.

Er hat selbst Probleme. Ja, eindeutig. Und zwar eine wunderschöne Verlobte, die Yamila nicht hassen kann, weil sie ja nichts von Ryan und seinem Leben weiß.

Und Tim? Der macht dicht. Alle tun es. Niemand sagt auch nur ein Wort zu dem was sie wissen will. Nein, muss. Ihr Bruder lebt und niemand will ihr helfen.

Dann geht die Tür auf und Ryan geht rein. Yamila sieht ihn nicht an. Sie kann nicht, sonst beginnt sie ihn anzuschreien und zu weinen und will ihn umbringen. Er hat sich wieder gegen sie entschieden. Wieder ist alles andere wichtiger als deren Beziehung.

Und sie liebt ihn. Sie liebt ihn so sehr, dass sie keine Luft bekommt, weil sie ihn eigentlich hassen will. Aber sie kann nicht, weil sie ihn liebt und ihn versteht. Wie immer.

,,Yamila..." er hockt sich vor sie, doch sieht sie ihn noch immer nicht an. ,,Nein." er sollte heute nicht kommen. Sie hat gesagt, dass er ihr fern bleiben soll.

,,Yam, bitte. Sieh mich an mein Engel." sie lacht kurz. ,,Dein Engel..." sie ist sarkastisch, sie will ihre Emotionen unterdrücken. So gut es halt eben geht, aber sie hat das Gefühl, gleich bricht sie zusammen.

,,Yamila, ich bin ganz nahe dran. Danach ist alles wieder wie es war." sie schaut ihn ernst an. Pure Leere in ihren Augen. ,,Ach ja? Wirklich? Ryan, ich glaube du begreifst nicht, was du tust. Was du mir gerade antust!" er nimmt ihre Hände die wieder zittern. Schon länger hatte sie dieses Gefühl nicht mehr.

Dieses Gefühl, welches sie in eine unendliche Tiefe ziehen will, wo der Druck so hoch ist und die Dunkelheit so schwarz, dass sie nie mehr da raus kommen kann. Egal wie sehr sie zu schwimmen versucht, egal wie sehr sie sich zum Licht kämpft, es hält sie gefangen.

,,Baby, hör mir zu. Ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr und es tut mir leid, dass ich dir wieder so weh tue. Aber du musst mich verstehen." sie schaut auf ihre Hände die behütet in seinen liegen und die Wärme sich so gut anfühlt.

,,Ich versuche dich zu verstehen. Ich versuche dich immer zu verstehen. Mit all deinen Geheimnissen und deinem Leben hatte ich immer Verständnis. Und auch, dass du bereit bist diese Frau zu heiraten verstehe ich, auch wenn ich den Grund nicht kenne. Aber das du mir verheimlicht hast, dass mein Bruder noch lebt verstehe ich nicht. Und auch nicht, dass du mir nicht sagen willst, wo er ist."

Die Tür geht auf und der nette Mann sieht das Paar an. ,,Kommen Sie doch rein." Yamila steht auf und geht an Dr Michels vorbei. Erschöpft lässt sie sich in das Sofa fallen. Anders wie sonst, setzt sich Ryan mit Abstand von ihr ebenfalls aufs Sofa.

Dr Michels startet sein Tablet und schreibt auch gleich etwas auf. Danach sieht er zwischen beiden hin und her, die nichts sagen und nur auf ihre Hände schauen. ,,Also, wie geht es Ihnen beiden?" ,,Toll." ,,Fantastisch." sagen sie gleichzeitig.

Wieder schreibt er etwas. ,,Okay... Ich spüre hier eine kleine Anspannung. Kann das sein?" erneut lacht Yamila kurz auf. ,,Klein ist gut." murmelt sie, lauter als gewollt. ,,Yam, ich kann es dir einfach nicht sagen. Ich kann nicht, weil ich es auch gar nicht weiß!" ihr Kopf schießt zu ihm und funkelt ihn wütend an.

,,Du hast zu viel scheiß abgezogen, damit ich dir glauben könnte." Dr Michels schaut zu Ryan der seine Augen schließt und den Kopf in den Nacken legt. ,,Ryan, was fühlen Sie bei den Sachen die Yamila Ihnen sagt."

,,Ich fühle mich beschissen. Die Frau die ich liebe hasst mich, weil ich versuche das richtige zu tun." Yamila steht auf und geht hinter das Sofa. Ryan steht auf sieht sie ernst an. Er ist auf das was gerade passiert nicht vorbereitet. Er hatte das alles wirklich ganz anders geplant.

,,Das Richtige?! Willst du mich verarschen?! Das Richtige wäre gewesen mir die Wahrheit zu sagen und dich für mich zu entscheiden! Aber du hast dich für sie entschieden, wieder! Wieder für jemand anderen! Nicht ich hasse dich, sondern du mich!" er geht auf sie zu und bleibt dicht vor ihr stehen.

,,Sag nicht, ich würde dich hassen. Du weißt genau, dass das nicht stimmt." Dr Michels hat sein Tablet beiseite gelegt und schaut die beiden einfach nur an. Endlich reden sie über ihre Gefühle. Über das, was wirklich in ihnen ist.

,,Ach nein? Würdest du mich lieben, hättest du mir die Wahrheit gesagt. Würdest du mich lieben, hättest du darauf vertraut, dass wir gemeinsam eine Lösung für das Problem hätten finden können. Aber stattdessen machst du alles im Alleingang und erwartest, dass ich all das verstehe."

Sie geht auf und ab und dann wieder zu ihm. ,,Du hast mich kaputt gemacht, Ryan! Sieh mich an! Ich dachte mit dir ist alles gut und ich bin gerettet aber du hast mich kaputt gemacht! Wegen dir bin ich emotional so ein Wrack!" sie schubst ihn.

,,Gib mir nicht die Schuld für den scheiß, den Logan und das Internat mit dir gemacht haben, das ist nicht fair." er geht sich durch sein Haar. ,,Fuck Yam, das ist alles aus dem Ruder gelaufen! Ich hatte das alles nicht so geplant wie es jetzt gekommen ist."

,,Ich weiß. Du wolltest nicht, dass ich all das heraus finde. Du wolltest nicht, dass ich das mit Zoe heraus finde, dass ich das mit Yannik heraus finde und mit dieser Frau. Aber ich habe es heraus gefunden und als ich dich angefleht habe bei mir zu bleiben, sagtest du nein. Du bist gegen mich."

Tränen sammeln sich in ihren Augen. ,,Wieso bist du gegen mich?! Wieso hast du all diese Geheimnisse und wieso musst du mir so verdammt weh tun?!" sie schubst ihn, haut mit ihrer Faust gegen seine Brust. Sie weint. Erst als er sie fest in seine Arme nimmt, spürt er wie sie zittert. Ihr ganzer Körper bebt und ist verdammt angespannt.

Schluchzend hat sie ihren Kopf auf seiner Brust während er sie mit seinen starken Armen umhüllt und ganz fest hält. ,,Ich liebe dich, Ryan. Ich liebe dich so sehr, aber..." er nimmt ihr Gesicht in seine Hände und wischt mit seinem Daumen ihre Wangen trocken.

Sie sehen einander einfach nur an. Einen langen Moment ist es still und ihre Augen sprechen für sie. Das Dr Michels noch da ist und sie beobachtet hatten sie ganz vergessen. Dann küsst er Yamila. Ein langer, vielsagender Kuss. Dann ein Kuss auf ihre Stirn. Und dann verlässt er den Raum.

Yamila setzt sich wieder auf das Sofa. ,,Was genau ist gerade passiert?" fragt er etwas irritiert. ,,Das gerade war ein Abschied. Vielleicht ein Abschied für immer."

Love me touchlessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt