Kapitel 02

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Ich werde von einem nervtötendem Piepsen und leisem Getuschel geweckt.

Geblendet von grellem Licht muss ich einige Male blinzeln, bis ich mich daran gewöhnt habe.

Orientierungslos Blicke ich mich um, in der Hoffnung etwas Bekanntes zu sehen. Ich erkenne zwei Schwestern, die am Nachbarbett arbeiten. Die ältere Dame bekommt von der einen eine Trübe Flüssigkeit in die Venen injiziert, während die andere den Blutdruck misst.

An der Wand vor meinem Bett steht ein Tisch, auf dem ein Blumenstrauß findet. Davor drei blaue Stühle. Eigentlich ganz hübsch.

Ich bin im Krankenhaus. Ich schließe die Augen und versuche mich zu erinnern, was passiert ist - warum ich hier bin.

Ich sehe das Geschehene wie einen Film vor meinem inneren Auge ablaufen. Mein Bruder. Blut. Meine Eltern. Bewusstlos. Schreckliche Schmerzen. Panisch versuche ich mich aufzusetzen, woran ich kläglich scheitere. Kaum sitze ich, sehe ich wieder diese verdammten schwarzen Punkte und Falle zurück aufs Kissen.

Erneut werde ich von Stimmen geweckt, die leise diskutieren. Dieses Mal stehen die Schwestern an meinem Bett.

"Hallo, können Sie mich hören? Könne Sie mir Ihren Namen nennen?" Die sommersprossige, etwas klein geratene Pflegerin lächelt mich vorsichtig an, als könnte ich jeden Moment zerbrechen. 

"Wo ist Luis? Wo sind meine Eltern?", krächze ich ihr die einzigen Fragen, die mich gerade interessieren, entgegen.

Die Schwestern ignorieren meine Fragen und widmen sich der jungen Ärztin, die in dem Moment den Raum betritt. Sie tuscheln kurz zu dritt. Schließlich nickte die Ärztin den Schwestern zu und diese verlassen den Raum.

Sie kommt an mein Bett und tippt etwas an den Geräten neben mir herum. Was sie genau macht, verstehe ich nicht.

"So ich würde mir als erstes gerne Ihren Kopf ansehen. Wissen Sie denn noch was passiert ist?" Ohne auf eine Antwort zu warten nimmt sie meinen Kopf und dreht ihn sich in die gewünschte Richtung. Sie löst den Verband, wahrscheinlich um sich die Wunde genauer anzusehen. Erst jetzt fällt mir meine Kopfverletzung wieder ein und der Schmerz überfällt mich mit einer solchen Wucht, dass sich jeder Muskel anspannt. Hörbar ziehe ich die Luft ein.

"Sie bekommen gleich nochmal Schmerzmittel verabreicht." Sie rückt den Verband wieder zurecht und desinfiziert sich die Hände. Dann widmet sie sich wieder mir. "Haben sie irgendwelche Fragen?"

"Wo ist mein Bruder? Und wo sind meine Eltern?" Ihr Blick wird düster und ich befürchte das Schlimmste. Wieder ist da dieser Gesichtsausdruck, der fürchtet ich könnte gleich zerbrechen. "Ihrem Bruder geht es gut. Wenn sie möchten, kann er sie nachher besuchen. Ihre Eltern -", sie hält kurz inne, "Ihre Eltern haben es leider nicht geschafft. Es tut mir leid."  Sie erzählt noch irgendwas von wegen Jugendamt und irgendwelche aufbauenden Floskeln, doch ich höre ihr nicht weiter zu.

Es rauscht in meinen Ohren. Meine Sicht verschwimmt - schon wieder - dieses Mal wegen den Tränen, die ich nicht zurückhalten kann, nicht zurückhalten will.

Meine Mama, meine Papa - weg, für immer. Ich sacke in mich zusammen, will mich verkriechen. Am liebsten auch von dieser Erde verschwinden.

Alles um mich herum scheint ein Ticken dunkler geworden zu sein. Die Blumen, die eben noch leuchteten, erscheinen nun blass. Die Dame neben mir wirkt älter als zuvor. Zumal ich sie mit ihrem mitleidigen Blick am liebsten aus dem Zimmer verbannen würde.

Versucht ihrem Blick auszuweichen, wende ich mich von ihr ab und drehe mich zur Wand, ziehe die Decke über mich, verstecke mich vor der Realität. Will nicht glauben, was mir eben gesagt wurde. Es darf nicht stimmen. Sie müssen noch leben. Wie sollen Luis und ich sonst weitermachen?

GeflüsterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt