"Es ist sicherer, wenn ich dich jetzt noch nicht losmache." Ich nicke. "Ja, das glaube ich leider auch."
Nelli sieht mich mitfühlend an. Sie steigt aus und geht einmal um den Wagen herum zu meiner Tür - öffnet sie. Sie befreit mich vom Gurt, greift nach meinen Fesseln und hilft mir beim Aussteigen. Gemeinsam gehen wir zur Hütte. Sie kramt einen Schlüssel aus der Hosentasche.
Die Tür schwingt auf und eröffnet die Sicht auf einen spärlich eingerichteten Flur. Ganz anders, als ich mir ein Ferienhaus vorgestellt habe, aber mir gefällt es. Ich folge Nelli den Flur entlang in ein Schlafzimmer.
"Hier wirst du schlafen. Es ist nicht das Nobelste, aber es eignet sich am besten. Warum erkläre ich dir später."
Ich betrachte den Raum, abgesehen von einem Bett, dass mich an mein altes Zimmer, vor den Malcoms erinnert, befinden sich noch eine kleine Kommode, ein Tisch mit Stuhl und ein Spiegel in dem Raum. Vollkommen ausreichend - vor allem, wenn man bedenkt, warum wir hier sind.
"Danke." Nelli winkt ab und zieht mich mit in den nächsten Raum. "Hier ist die Küche, gegenüber ist ein Badezimmer."
Wir verlassen die Küche wieder bevor ich mich genauer umsehen kann.
"Da hinten ist mein Zimmer. Sie zeigt auf eine Tür, am Ende des Ganges. Und hier ist das Wohnzimmer."
Anders als die anderen Räume, wirkt der Raum beinahe überfüllt. Statt eines Fernsehers reiht sich ein Bücherregal an das nächste, jedes davon bis oben hin zugepackt. In der Mitte steht eine große Couch, die von mehreren Sitzsäcken umringt wird. Es sieht so Idyllisch aus, dass ich mich am liebsten, zusammen mit einem Buch, in einen der Sitzsäcke werfen würde, um dort auf Ewig zu verweilen.
"Ich mag den Raum auch", kommentiert Nelli kühl. "Aber es gibt einen Raum, den ich mehr mag und der aktuell auch eine größere Bedeutung hat."
Sie zeigt auf eine Tür, die hinter einem der Regale hervorlugt, welche mir bislang gar nicht aufgefallen ist. Viel zu abgelenkt war ich durch die vielen Bücher und ihre bunten Einbände. So viele Geschichten, so viel Wissen vereint in einem Raum.
Wir durchqueren das Wohnzimmer. Nelli öffnet die Tür. Wir landen in einem kleineren Raum, indem sich nur eine Treppe befindet. Der einzige Weg den es gibt führt nach unten. Ein Keller. Mir wird mulmig zu mute. Nelli die meine Anspannung zu spüren scheint hält inne.
"Keine Sorge, da unten sind dann nur wir zwei. Ich werde dir dort unten helfen." Ich nicke und folge ihr vorsichtig die Treppen hinunter.
Wir landen in einem hell beleuchteten Raum. Auf der einen Seite hängen zwei Boxsäcke von der Decke hinab. Auf der anderen steht, neben einem Laufband und einem Regal mit Hanteln, eine Musikanlage.
"Unser Trainingsraum." Nelli zeigt stolz mit der Hand in den Raum. "Der Boden ist sogar gepolstert. Also ist hier der perfekte Ort, um dich zu trainieren. Ich habe in der Zeit, als du bewusstlos warst schon einige Ideen gesammelt. Glaub mir, das wird hart."
Ich nicke nur. Ich habe Angst davor. Angst, dass etwas schief geht, dass ich Nelli doch verletzte. Aber auch Angst vor den Schmerzen, zumindest ein wenig.
Nelli prahlt noch etwas vor sich hin, über die besonderen Geräte, welche sich wohl von den Handelsüblichen unterscheiden würden und vieles mehr. Auch hier bin ich ihr für die Ablenkung unendlich dankbar.
Etwas später setzten wir uns gemeinsam in die Küche. Meine Fesseln drücken an meine Handgelenke und ich sehne den Moment herbei, in dem ich sie abnehmen darf. Gleichwohl entlasten sie mich, da mir der Widerstand, mit gefesselten Händen, deutlich einfacher fällt. Zumindest bei Nelli.
"Okay, also es gibt von meiner Seite ein paar Regelvorschläge, wenn man es so nennen will, zu meiner, aber auch deiner Sicherheit." Sie wartet auf meine Reaktion, weshalb ich schnell zustimme, damit sie fortfahren kann.
"Ich würde die Küche gerne Abschließen, wegen den Messern und anderen potentiellen Waffen. Außerdem würde ich dich gerne einschließen in der Nacht." Sie beißt sich auf die Lippen. Es ist offensichtlich, dass es ihr schwer fällt so etwas von mir zu verlangen.
"Das finde ich gut." Erwidere ich wahrheitsgemäß. Der Gedanke, dass ich Nelli was tun könnte zerreißt mich. Ich will, dass diese Mission gut geht. Ihr darf nichts passieren.
"Ansonsten ähm ... ach ja, die Fesseln immer, außer beim Training, Essen und im verschlossenen Zimmer. Da ist übrigens auch ein Bad, also keine Sorge. Und du hast ja dein Telefon, du kannst mich immer erreichen, wenn was sein sollte. Versprochen." Ich nicke. "Halte ich alles für vernünftig. Hoffen wir es geht gut."
"Na klar." Nelli lächelt voller Zuversicht. "Und Larissa, du musst unbedingt das Tagebuch lesen, vielleicht werden wir dadurch etwas schlauer. Schaden kann es nicht - hoffentlich."
"Ja, ich werde heute Abend direkt anfangen. Du hast keine Vorstellung, wie sehr es mir unter den Nägeln brennt, dieses Buch endlich durchzublättern."
Nachdem alle Regel festgelegt sind und wir etwas gegessen haben, verlassen wir die Küche und Nelli schließt sie hinter uns ab.
Sie bringt mich auf mein Zimmer und bindet mich dort ans Bett, solange sie meine Sachen aus dem Auto holt, einschließlich dem Tagebuch. Danach macht sie mich los und verlässt schnell das Zimmer. Erst als ich höre, wie sich der Schlüssel im Schloss dreht, kann ich mich entspannen.
Der Gedanke, dass Nelli vor mir in Sicherheit ist beruhigt mich ungemein. Denn auch wenn mir der Widerstand gegen die Stimme in Nellis Gegenwart leichter fällt, bleibt es ein Kampf, der an meinen Nerven zerrt.
Als Erstes halte ich nach der Badtür Ausschau, die mir vorhin bei der Führung gar nicht aufgefallen war.
Sie ist versteckt in der hintersten Ecke, des Zimmers. Ich mache mich kurz frisch und wechsle in meine Schlafklamotten. Dann lege ich mich gemeinsam mit dem Buch ins Bett.
Jetzt nach all den Ereignissen halte ich das Tagebuch in meinen Händen und habe nun endlich auch die Möglichkeit es zu lesen. Ich streiche über den Einbund Tagebuch von Ludwig Winkler.
Vorsichtig, um die alten Seiten nicht zu zerreißen, blättre ich bis zur ersten Schrift. Auch sie ist schnörkelig und nur schwer lesbar für mich.
Ich beginne zu lesen und halte inne. Das ist kein Tagebuch. Zumindest keins, wie ich es kenne. Es ist mehr wie eine Geschichte geschrieben mit auktorialem Erzähler. Ich finde kein Liebes Tagebuch und auch kein Ich.
Verwirrt sehe ich erneut auf den Einband. Nein, ich habe richtig gelesen, es soll ein Tagebuch sein.
Ich schüttle den Kopf. Seltsam.
Trotzdem beschließe ich wenigstens einen kurzen Ausschnitt zu lesen. Also blättre ich wieder zum Text und beginne erneut. Irgendeine Bedeutung muss dieses Buch ja haben, wenn von ihm eine so enorm starke Anziehungskraft ausgeht.
Ludwig ließ sich, wie jeden Morgen, Zeit beim Frühstück. Wieso auch nicht, schließlich genoss er nur, dass durchaus exzellente Essen seiner Frau. Er liebte ihr selbstgemachtes Brot, dass sie ihm außerdem noch für die Arbeit geschmiert hatte und schon in der Metallbox im Flur auf ihn wartete.
Nachdem er dann nun doch einmal fertig war, erhob er sich und ging zur Haustür, um sich dort von seiner Familie zu verabschieden. Nur seine kleinste bekam noch am Esstisch einen Kuss auf die Stirn.
Der große folgt ihm, eben wie seine Frau, bis zur Tür.
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Geflüster
Paranormal!Nur noch bis Ende 2024 auf Wattpad! Die Stimme sagt: geh und sie geht steh und sie steht töte und sie tötet und obwohl sie alles versucht, um ihr zu entkommen, scheint jegliche Hoffnung verloren. _ Nachdem Larissas Eltern bei einem Verkehrsunfall u...