Kapitel 07

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Ich werde am nächsten Tag von Nellis Hand geweckt, die mir ins Gesicht fliegt.

Gestern Abend hatte ich sie mit zu mir genommen, da ich mir sicher war, dass Maria nichts dagegen haben wird. Und so ist. Maria ist unten dabei Katerfrühstück für meine Freundin vorzubereiten, die noch immer in meinem Zimmer schnarcht.

Vorhin hatte ich es nicht übers Herz gebracht sie zu wecken und habe mich in die Küche verkrümelt.

"So, hier, das könnt ihr essen", Maria deutet auf zwei Teller auf der Küchentheke. "Luis und ich gehen jetzt Kastanien sammeln. Wenn ihr was braucht ruft an, ja? Raik ist unterwegs also seid ihr erstmal alleine."

Ich nicke. "Danke."

Kurz nachdem Maria sich verabschiedet hat, kommt Nelli in die Küche. Ihre Mascara, die großzügig unter ihrem Auge verteilt wurde, ist ein starker Kontrast zu ihrer sonst eher blassen Erscheidung.

"Ich brauche Wasser", krächzt sie. Ich fülle ihr schnell ein Glas, dass sie im nu austrinkt. "Oh mein Gott, mir ist so schlecht. Ich trinke nie wieder."

Ich lache und ernte dafür einen bösen Blick.

"Es ist überhaupt nicht witzig! Wie schlimm war ich?" Sie verzieht das Gesicht - erwartet das Schlimmste.

"Es ging." Sie atmet hörbar aus. "Du hast eigentlich die ganze Zeit mit Tobi geflirtet. Ich habe dich dann irgendwann allein rumtorkeln gesehen, als ich mit Gabriel getanzt habe. Dann habe ..."

"Du hast WAS?"

Ich zucke mit den Schultern. "Mit Gabriel getanzt." Beim Gedanken an gestern muss ich grinsen.

"Du und der Liebste, ihr habt getanzt." Sie schüttelt den Kopf. "Und ich habe es nicht gesehen, so ein Mist."

"War ja nur kurz."

"Na und. Ihr habt getanzt, zusammen. Du hast mit ihm getanzt. Du und der Liebste."

"Ja, wie gesagt."

"Die anderen werden ausrasten. Also spätestens jetzt ist undercover und unbemerkt vorbei." In ihrer Rage hat Nelli ihren Kater glatt vergessen. Sie greift nach dem Frühstücksteller. Während sie sich über das Rührei hermacht, quatscht sie weiter. "Ich nehme an, dass er dich gefragt hat?"

Ich nicke.

"Er hat sowas von definitiv Interesse an dir Mäuschen. Hammer, wirklich." Sie lacht.

"Meinst du. Ich weiß nicht."

"Rede keinen Unsinn. Es ist offensichtlich. Die Frage ist jetzt: Was machst du daraus?

"Wie meinst du das?"

"Möchtest du mur ihm ausgehen oder nicht?"

Ich sehe sie überrascht an. "Darüber habe ich noch nicht nachgedacht." Ich nehme mir nun auch meinen Teller.

"Dann solltest du heute darüber nachdenken, denn morgen, das verspreche ich dir, wird es das Thema in der Schule sein."

Kurze Zeit später verabschiedet sich Nelli. Ich bleibe allein zurück, allein mit einem Haufen Gedanken, die dringend sortiert werden müssen. Gefühle, die geordnet gehören. Dabei drängt sich mir immer wieder die gleiche Frage auf. Was will ich? Eine Antwort finde ich jedoch nicht.

Luis und Maria kehren am späten Nachmittag zurück, mit Säckchen voller Kastanien. Sie wollen Herbstdeko basteln und ich schließe mich ihnen an.

Mit einer etwas dickeren Nadel stechen wir Löcher in die Kastanien und verbinden sie nur Zahnstochern zu kleinen Kastanienmännchen. Anders als bei Maria, sehen meine nicht so akkurat aus und so beschließe ich nach den ersten schiefen Männchen, lieber Luis dabei zu beobachten, als selbst welche anzufertigen.

Vorsichtig steckt er die Kastanien auf Holzspieße, streckt dabei leicht die Zunge raus, wie er es immer tut, wenn er sich konzentriert.

Er und Maria hatten die letzte Woche viel zusammen gebastelt, sodass mittlerweile das gesamte Haus mit Luis Basteleien geschmückt ist.

Am nächsten Tag warte ich mal wieder auf Nelli, die es selbst früh vor der Schule nicht allzu genau nimmt mit der Pünktlichkeit.

Auf die letzte Sekunde erreichen wir dann jedoch noch den Raum und der Unterricht beginnt.

Nach den ersten beiden Stunden trennen sich unsere Wege und ich stehe allein Mathematik bei Herrn Giebel durch, wo ich Tobi wiedersehe.

Anders als die letzten Mathestunden, nehme ich ihn nun genauer unter die Lupe - beobachte, wie es sonst Nelli tut, in der Hoffnung mehr über ihn zu erfahren. Mehr über seine Einstellung, vielleicht auch meiner Freundin gegenüber zu erkennen.

Zum Stundenende bin ich jedoch nicht schnell genug und verliere ihn auf dem Weg zur Cafeteria aus den Augen. Ich drehe mich einmal um die eigene Achse, um ihn doch noch zu erwischen, aber erfolglos. Also setze ich meinen Weg ohne Stalker Projekt fort.

"Eyy ..." Eine fremde Hand hält mir den Mund zu, verhindert jeden Hilfeschrei. Ich werde nach hinten gerissen, herumgewirbelt und schließlich gegen die Wand in einer dunklen Ecke gepresst. Erst dann wird mein Mund freigegeben. Gleichzeitig erkenne ich meinen Entführer.

"Gabriel?" Ungläubig blinzle ich ein paar Mal, um mich an die spärliche Beleuchtung zu gewöhnen.

"Hi." Er grinst entschuldigend. "Ich wollte mit dir reden."

"Ach und das ging nicht anders? Dafür musstest du uns in diese Ecke quetschen." Erst jetzt, wo ich mich vom Schrecken erholt habe, bemerke ich wie nah er mir ist. Wir atmen die gleiche Luft.

Ich presse mich ein wenig mehr an die kühlende Wand, versucht seinem Geruch zu entkommen, der mich um den Verstand bringt.

"Tut mir leid, aber ich wollte einen ruhigeren Ort als die Cafeteria." Er kratzt sich am Hinterkopf. "Ähm - also wegen vorgestern."

Mir wird heiß, bei dem Gedanken an die Party, den Tanz, der unglaublichen Nähe zu ihm. Einen Schritt in seine Richtung und ich wäre ihm genauso nah, wie vor wenigen Tagen.

"Ja?", versuche ich möglichst gelassen zu fragen.

"Also wegen dem Tanz. Ich will einfach, dass du weißt, das ich es schön fand. Und ..." Er grinst und wippt auf den Füßen hin und her. "Und ich würde das gerne wiederholen. Also nochmal Zeit mit dir verbringen."

Ich starre ihn einfach nur an. Nelli hatte mich vor so etwas gewarnt, doch darauf vorbereitet war ich trotzdem nicht.

"Ich würde dich gerne besser kennenlernen Isa." Schiebt er hinterher, als ich nichts erwidere.

Nervös knete ich meine Finger und überlege, stelle mir die gleiche Frage wie gestern, während mich seine eisblauen Augen mustern, zu ergründen versuchen.

"Okay."

Er atmet hörbar aus. "Ich hatte gedacht, wir könnten diesen Samstag picknicken, es soll die letzte warme Nacht dieses Jahr werden. Ein paar Schritte außerhalb des Viertels gibt es einen kleinen Berg, der sich dafür eignen würde. Was hälst du davon?"

Picknicken unterm Sternenhimmel, also wenn das nicht romantisch ist. Nelli wird ausflippen, wenn ich ihr das erzähle, ebenso Maria. Beim Gedanken daran muss ich grinsen, stoppe mich jedoch direkt wieder, als ich mich erinnere, dass ich ja noch vor ihm stehe und er eine Antwort erwartet. Mein Grinsen muss ihm jedoch reichen, denn bevor ich einen Ton rausbekomme, kommt er mir zuvor.

"Sehr schön. Ich hole dich gegen sechs ab. Du musst nichts mitbringen, darum kümmere ich mich."

Ich schüttle den Kopf. "Quatsch wir können uns die Arbeit doch teilen", werfe ich ein, doch er ist entschieden dagegen. "Ich lade dich ein, also bringe ich alles mit. Ganz einfach."

Als ich nichts mehr dagegen hervorbringe nickt er zufrieden. "Ich freu mich auf Samstag. Bis dann, Isa." Er schenkt mir einen letzten intensiven Blick, bevor er so schnell verschwindet, wie er aufgetaucht ist.

Allein in der Ecke zurückgelassen, bringe ich meine unterdessen viel zu schnell gewordene Atmung unter Kontrolle und mache mich dann auf den Weg zu Nelli und der dank Gabriel verkürzten Mittagspause.

GeflüsterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt