Kapitel 22

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"Veilchen, du hast mich umgebracht."

Was? Aber?

Ich verstehe nichts mehr. "Du Schlampe hast mich ermordet. Dafür wirst du in der Hölle brennen!"

Er schreit so unglaublich laut. Ich halte mir die Ohren zu, will ihm nicht länger zuhören. Doch immer noch dröhnt mein Kopf von seinen Schreien. Es ist als hätte ich sie nicht gedämmt, dabei müssten sie leiser sein, durch meine Hände, die auf meinen Ohren liegen.

Wie?

"Du hast mich getötet. Ich habe alles für dich getan, für dich und deinen Bruder. Und so hast du es mir gedankt."

Maria. Ich sehe hinüber zu ihrer Leiche. Sie ist tot. Ihr toter Körper liegt direkt vor mir. Leblos. Keine Bewegung zu vernehmen. Wie kann das sein? Woher kommt ihre Stimme? Halluziniere ich?

"Du bist ein schlechter Mensch Larissa. Du hast mir den Mann genommen, bevor du auch mein Leben beendet hast. Wie konntest du nur?"

Ich krieche zu Marias Leiche hinüber. "Maria, es tut mir so leid. Du musst mir glauben, ich wollte das nicht. Du warst für uns da. Ich bin dir so dankbar. Glaub mir, es tut mir in der Seele weh." Ich schluchze und greife nach ihrer Hand, versuche Leben in ihr zu finden. Aber sie ist kalt. Eiskalt. So kalt wie der Tod.

"Es tut mir leid", sage ich leise.

"Ich dachte du liebst mich!"

Nein. "Luis, mein Zwerg, das tu ich. Ich liebe dich so sehr. Ich wollte das nicht."

Ich lasse Marias Hand los, krauche zu ihm und nehme seine. Auch sie: kalt. Wie kann das sein? Woher kommt seine Stimme?

"Du ..." Es klingelt. Sofort ist seine Stimme weg. Mit ihr dieses Gefühl, als wäre da noch jemand. Es ist seltsam. Wieder klingelt es. Angst macht sich in mir breit. Was, wenn es die Polizei ist? Was wird dann mit mir passieren? Ich will nicht von Luis weg. Ich möchte bei ihm bleiben. Noch ein Klingeln, gefolgt von Klopfen. Ich rapple mich auf und gehe langsam, bedacht darauf keine Geräusche beim Laufen zu machen, in den Flur, der Haustür entgegen.

"Larissa? Frau Malcom? Hallo, ist da jemand?" Erneut ertönt die Klingel.

Es ist meine beste Freundin, die vor der Tür steht. Natürlich kommt sie her. Ich war nicht in der Schule.

Öffne die Tür! Die bekannte Energie durchströmt meinen Körper. Sie kommt mit der Stimme zusammen, wie die letzten Male. Ich merke, wie ich mich in Bewegung setze, nach der Türklinke greife - die Tür öffne.

Nellis Augen weiten sich, als sie mich sieht. "Larissa, was ist denn mit dir passiert? Bist du krank? Du siehst schrecklich aus!"

Ohne auf meine Erlaubnis zu warten geht sie an mir vorbei in den Hausflur. Ich lasse die Tür ins Schloss fallen. "Warst du deshalb heute nicht in der Schule, weil du krank bist? Hättest du mir das nicht schreiben können? Ich habe mir schreckliche Sorgen gemacht. Gabriel übrigens auch. Er wollte auch schon vorbeikommen, aber ich habe ihn überredet erst mich nachsehen zu lassen. Also gern geschehen, so wie du aussiehst ist es besser so."

Ich gehe mit ihr zu Boden, als ich mich auf sie werfe. Bring sie um! Der Befehl der Stimme ist klar und deutlich, wie immer. Mein Körper gehorcht ihr, wie auch die letzten Male. Ich habe keine Chance gegen die dröhnende Stimme.

Ich setzte mich schnell auf sie. Meine Hände gleiten an ihren Hals, drücken so fest es mein Körper kann und ein wenig mehr, dank der Energie, welche mich durchströmt.

Dieses Gefühl der Stärke, als ob mir nichts passieren könnte, mir kein Gegner gewachsen wäre ist berauschend. Ein Gefühl der Allmächtigkeit. Ich bin mir nicht sicher, aber es muss von der Stimme ausgehen, denn die Energie kommt und geht mit ihr. Wohlwissend, dass ich Nelli besiegen werde, schweifen meine Gedanken ab.

Ich werde das Tagebuch lesen. Wenn die Stimme mich wieder verlässt, dann werde ich es lesen. Die Neugier, was drin geschrieben steht, lässt mich eh nicht los. Warum sie also nicht befriedigen. Nelli stöhnt unter mir. Holt mich zurück nach vorne – zurück in die Realität.

Als wäre ich vorher nicht ganz bei mir gewesen, beginne ich erst jetzt wieder scharf zu sehen, höre das wahre Ausmaß der Stimmen, wie laut sie wirklich schreien.

Ich bin so überrumpelt, dass meine Hände für wenige Sekunden ihren Griff lockern.

Trotzdem reicht Nellie die kurze Zeitspanne, um sich zu befreien. Sie überrumpelt, mit ihrer plötzlichen und starken Gegenwehr, nicht nur mich, sondern auch die Stimme. Schneller als sie reagieren kann hat Nellie die überhand gewonnen und sitzt nun auf mir. Ihre Hände halten meine wie Handschellen von jeglicher Bewegung ab. Ich bin unter ihr gefangen. Ich und die Stimme.

Bewundernd sehe ich meine Freundin an. Sie ist stärker als die Stimme. Sie ist die Hoffnung. Ihr Blick dagegen zeigt eine Mischung aus Verwunderung und Wut.

"Alter. Larissa was sollte das? Was ist falsch mit dir? So krank kannst du nicht sein, um das zu rechtfertigen? Ehrlich, wenn das ein Scherz sein sollte, dann war er etwas zu realistisch durchgeführt als das es lustig sein könnte. Wenn ich dich jetzt loslasse kannst du dich dann bitte zusammenreißen."

Schnell schüttle ich den Kopf, ehe die Stimme mir zuvorkommen kann. "Nein, lass mich nicht los. Ich bin gefährlich. Irgendetwas stimmt nicht mit mir", schiebe ich schnell hinterher. Sie sieht mich verwirrt an.

"Wie? Du bist doch nicht gefährlich!" Sie lacht. Als sie jedoch merkt, wie ernst es mit ist, erlischt ihr Lachen.

"Was ist passiert?"

Ich brauche eine Weile, ehe ich weiterspreche. Sollte ich ihr wirklich alles erzählen?

Nein. Erzähle nichts. Bring sie um! Die Stimme ist dagegen, doch sie ist der Feind. Ich müsste genau das Gegenteil von ihrem Wunsch tun. Aber was wird dann aus mir?

"Da ist diese Stimme, die mir ... naja sie flüstert mir Anweisungen zu. Schreckliche Dinge, die ich nie tun möchte, doch es ist als würde sie dann die Kontrolle über meinen Körper erlangen. Er tut dann nicht mehr das was ich will, sondern folgt dem Ruf der Stimme."

Mit jedem Wort fällt es mir leichter zu reden. Ich weiß nicht wie, aber ich bin auf einmal lauter, als die Stimme, die immer noch nach Nellis Tod schreit. Ich komme gegen sie an. Es ist als gäbe mir Nelli Kraft. Als würde die Hoffnung nur so aus ihr herausquirlen.

"Nelli ich habe ich habe Raik ermordet." Ihre Augen weiten sich.

"Larissa ..."

Ich schüttle entschieden den Kopf. "Nein, hör mir zu. Ich würde es mir ja selbst nicht glaube, hätte ich es nicht erlebt. Aber es ist wahr. Ich habe Raik getötet. Ebenso wie Maria und ..." Ich muss innehalten, kann nicht weitersprechen. Will nicht aussprechen, was leider Realität ist.

"Luis", ergänzt Nelli meinen Satz. "Das kann nicht wahr sein du würdest nicht."

"Ich wollte nicht, doch es ist passiert. Du hast mich doch eben erlebt, ich die Stimme wollte und will auch dich töten. Ich weiß nicht warum, aber du bist die Erste, bei der ich halbwegs dagegen ankomme."

"Du warst vorhin wie in Trance." Nelli sieht nachdenklich ins Leere. "Als wärst du nicht da ... du würdest nicht ... niemals hättest du ..."

Sie hält inne. Dann sieht sie mir direkt in die Augen. "Ich glaube dir. Es klingt absurd, aber ich vertraue und ich glaube dir. Und egal, was es ist, oder woher diese verdammte Stimme kommt, ich werde dir helfen sie zu besiegen, das verspreche ich."

GeflüsterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt