Kapitel 41

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Gabriel hält sein Versprechen – ist einfach nur da. Gemeinsam setzen wir uns auf mein Bett, kuscheln ein wenig, bis sich nach etwa einer halben Stunde die Stimme meldet und ich ihn bitte zu gehen.

Mein Plan geht auf und ich finde schnell in den Schlaf – tanke Kraft.

Die Nervosität steht mir buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Die Augen etwas zu weit aufgerissen, schaue ich meinem eigenen Spiegelbild entgegen.

Wenigstens sehe ich nicht verschlafen aus. Ich wasche mein Gesicht mit eiskaltem Wasser, in der Hoffnung wenigstens meinen Ausdruck regulieren zu können, aber erfolglos.

Draußen höre ich schon Nelli und Gabriel rumwuseln, die mir wohl noch etwas Schlaf gönnen wollen, während sie alles vorbereiten.

Eigentlich kommt das ganze hier einem Hotel gleich, wie im Urlaub. Ich muss nichts machen, weder kochen, noch spülen, oder sauber machen. All das machen Nelli und Gabriel für mich. Meine einzige Aufgabe ist es die Stimme zu kontrollieren und zu verhindern, dass sie das Spiel umkehrt. Ich soll also einfach nur niemandem wehtun, niemanden umbringen.

Es klingt so absurd, doch es ist die Realität, in der wir in der Hütte nun bereits seit mehreren Wochen leben. Und das ohne große Fortschritte zu machen. Die Möglichkeit besteht, dass es nie mehr anders sein wird. Zumindest solange, wie Nelli und Gabriel durchhalten.

Man merkt ihnen bereits die Verzweiflung an. Ich meine wir fahren zu einer Hexe, mehr Verzweiflung geht wohl nicht.

Das Gefühl der Ernüchterung, das wir auf dem Heimweg, ohne nennenswerte Ergebnisse, verspüren werden, liegt bereits in der Luft – ich kann es fühlen. Aber Nelli und Gabriel weigern sich nachzugeben, somit bin ich überstimmt worden.

Es ist noch etwas Zeit, bis zur geplanten Abfahrt, also gehe ich an den See. Noch einmal tauchen – ausruhen – bevor ich Stunden im Auto eingesperrt bin.

Es ist seltsam das Wasser, nach unserer letzten Begegnung, die beinah tödlich geendet hätte, um mich zu spüren, doch den Effekt der Stille erlebe ich nach wie vor. Ich lasse mich komplett von ihr umhüllen. Dann gehe ich zurück.

Angekommen packe die letzten Sachen zusammen, bevor mich Nelli zum Auto bringt und mich dort festbindet.

Gabriel lenkt den Wagen aus dem Wald zur nächsten Hauptstraße. Laut Nelli ist es der gleiche Weg, den wir gekommen sind, doch ich erkenne ihn nicht wieder. Alles weg – ich war so in Trance, dass die Erinnerungen verschwommen oder ganz verloren sind.

Wieder fällt mir auf wie abwesend ich gerade Anfangs durch die Stimme war, durch die ganzen Übungen bin ich jetzt deutlich präsenter – wieder mehr bei mir. Egal wie klein, oder kaum merklich die Fortschritte der Übungen sich also bemerkbar machen, sind sie doch da. Es gibt Besserungen, auch wenn sie noch so klein sein mögen.

Nelli versucht ihre übliche Taktik um mich abzulenken. Zu Beginn klappt das auch, doch je länger wir fahren, desto unerträglicher wird es. Allein der Gedanke, dass ich nicht einfach in einen anderen Raum ausweichen kann, lässt die Stimme stärker als sonst wirken. Und so breitet sie sich immer mehr aus, erobert Stück für Stück die Kontrolle über meinen Körper.

Schweiß läuft mir über die Stirn. Nelli schnallt mich ab und ich rette mich mit letzter Kraft aus dem Auto. Die frische Luft tut gut, klärt meinen Verstand. Die letzte halbe Stunde war der reinste Kampf. Ich habe ihn verloren.

"Geht es wieder?" Nelli streicht mir beruhigend über den Rücken. "Du warst ja völlig abwesend."

"Ja. Ich weiß auch nicht. Die Stimme war zum Schluss so laut, dass ich mich nicht einmal mehr selbst verstanden habe. Es war, als käme kein Ton über meine Lippen. Nelli es war schrecklich." Tränen rollen mir die Wange hinab.

Schützend legt sie ihre Hand um mich, ich lasse es geschehen. Kraftlos sinke ich in ihren Armen zusammen. "Ich schaffe das nicht. Wir müssen noch so viele Stunden fahren. Das packe ich nicht."

"Es muss sein." Als würde seine Anwesenheit einen Schalter umlegen, verspanne ich mich, allein beim Klang seiner Stimme.

"Ich bin so geschwächt, dass ich dir jetzt am liebsten an die Kehle springen würde. Ich halte keine weitere Minute in diesem Auto aus." Unsere Blicke treffen sich. Er weiß es – sieht wie schwach ich bin und ich hasse es, dass er mich so sieht.

Beschämt sehe ich zur Seite. So viel Training und trotzdem bin ich der Stimme noch so unterlegen. Erbärmlich. Ich rapple mich langsam auf und gehe zurück zum Auto. Ich werde die beiden sowieso nicht von ihrem Plan abbekommen. Wir werden zu dieser Hexe fahren, komme was wolle.

Es wird nicht besser. Mein Kopf dröhnt, teilweise habe ich das Gefühl mich jeden Moment zu übergeben und ich bin so verdammt Müde. Die Stimme hält mich wach - ein schlafendes Opfer kann man nicht so gut quälen.

Ich versuche länger durchzuhalten, als bei der ersten Etappe, damit wir auch mal länger als eine halbe Stunde fahren können. Doch vergebens. Immer wieder stürze ich mich aus dem Auto an die frische Luft. Wie eine ertrinkende schnappe ich panisch nach Luft. Immer wieder versuche ich dem Chaos in meinem Kopf Heer zu werden – es ist aussichtslos.

Bei der dritten Pause, schaffe ich es kaum mehr ins Auto zurück. Wie ein kleines Kind, sitze ich verheult auf dem Boden und weiß nicht weiter.

"Hier trink was. Dann müssen wir weiter. Tut mir leid." Nelli hält mir eine Flasche Wasser entgegen. Dankbar nehme ich sie an – trinke sie leer.

Sie hilft mir mich wieder vollständig aufzurichten. Langsam gehen wir zurück zum Auto – zurück in die Hölle.

Die Stimme ist Laut, betäubt mich. Doch hält sie mich nicht vom Schlafen ab, wie zuvor. Meine Lider werden immer schwerer, gleichzeitig habe ich Probleme meinen Kopf gerade zu halten. Also lehne ich mich ans Fenster, kurz darauf sinke ich in den Schlaf.

Als ich aufwache ist die Stimme weg. Ich genieße die Stille, die sich irgendwie surreal anfühlt und sehe auf die Uhr. Ich habe länger geschlafen als gedacht – wir müssten bald da sein, aber ein Blick aus dem Fenster lässt anderes vermuten. Wir sind von nichts als Feldern umgeben – keine Häuser weit und breit. Seltsam.

"Wie lange fahren wir noch?"

"Oh, du bist wach." Nelli sieht besorgt nach hinten.
"Wie geht es dir?"

Ich zucke mit den Schultern. "Weiß nicht. Besser, denke ich."

Zufrieden sieht sie wieder auf die Straße. "Wir sind in fünfzehn Minuten da. Du hast es gleich geschafft." Erleichtert atme ich aus. Wir haben es tatsächlich geschafft.

Wir halten vor einem kleinen Häuschen am Rande eines Waldes. Verlasse steht es zwischen den ersten Bäumen. Laut Gabriel ist das nächste Dorf etwa einen Kilometer entfernt.

Selbstbewusst geht Nelli auf die unförmige Holztür zu. Gabriel und ich folgen ihr.

Das Haus könnte einem Märchen entsprungen sein. Es passt zum Hexenimage. Ich bin sicher, es ist kein Zufall. Das ist Marketing. Es erzeugt das Richtige Gefühl – hat etwas Magisches. Gleichzeitig verstärkt es meine Vorahnung, für umsonst den weiten Weg auf uns genommen zu haben.

Es dauert eine Weile, bis uns die Tür geöffnet wird. Es erscheint ein altes Gesicht, dass durch den Türspalt herauslunzt.

"Ja bitte?"

GeflüsterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt