Ludwig XII

8 1 11
                                    

Ich werde von der Sonne geweckt. Es ist ein wunderschöner sommerlicher Morgen. Genießen kann ich ihn aber nicht. Eigentlich nichts mehr, seit die Stimme meinen Kopf gelegentlich übernimmt.

Als gestern die Tür knarzte war ich mir so sicher, dass ich nun festgenommen werde. Aber so kam es nicht.

Die Heibels haben nicht einmal die Leichen gesehen. Dabei liegen diese offen im Haus herum, nicht zu übersehen. Die Tatsache, dass die Leichen, die ich hinterlasse, anscheinend nicht entdeckt werden - warum auch immer - lässt mich vermuten, dass ich wahrscheinlich nicht erwischt werden kann. Aus einem mir nicht ersichtlichen Grund, sieht niemand, was ich getan habe. Ich komme einfach damit durch.

Aber ich will nicht damit durchkommen. Ich muss mich stellen. Wenn Sie mir nicht glauben, da sie keine Leichen finden, werden sie mich wenigstens wegsperren, weil sie denken ich wäre ein Verrückter. Dann sind die Leute vor mir sicher. Nicht so wie jetzt.

Meine Gedanken werden wieder durch das Knarzen der Tür unterbrochen - nicht schon wieder.

"Bleib weg", rufe ich Richtung Haus.

"Du bist im Garten?", stellt der Besuch überrascht fest. "Ich dachte du seist krank. Warum kommst du nicht zur Arbeit Ludwig?" Jetzt erkenne ich die Stimme. Es ist Albert, meine Vertretung in der Fabrik.

Und tatsächlich kommt der schmal gewachsene junge Mann durch die Tür in den Garten marschiert. Er ist einige Jahre jünger als ich und hat seine Stelle nur durch gute Kontakte bekommen. Eigentlich ist er noch zu jung für eine solche Verantwortung, aber er macht seine Sache gut.

"Da bist du ja. Du siehst wahrlich nicht gut aus. Wieso liegst du nicht im Bett? Dann kann dir deine Frau eine Suppe machen. Wo ist sie überhaupt?", brabbelt Albert.

Er scheint so abgelenkt von seinen Gedanken, dass er das Blut gar nicht sieht, das immer noch an Kleidung und Händen klebt. Die Leiche hat er wohl auch nicht gesehen.

Töte ihn! Da ist sie wieder. Übernimmt die Kontrolle.

Ich überwinde die letzten Meter, die zwischen mir und Albert liegen. Er sieht mich zwar verwundert an, bleib jedoch stehen. Er ahnt nichts Böses - warum auch. Von der Stimme weiß er nichts.

Von meiner Faust getroffen taumelt er zur Seite. Ehe er sich fangen kann, trifft ihn der nächste Schlag. Ein weiterer und er liegt am Boden. Ich setze mich auf ihn. Meine Hände finden seine Kehle, wie schon die meiner Frau. Sie ist tot, wie zu viele andere auch.

Meine Hände umschließen seinen Hals, nehmen ihm die Luft. Seinen Kopf hebe ich immer wieder an, schlage ihn dann auf den Boden. Immer und immer wieder. So lange, bis auch er tot ist und sein Blut den Boden tränkt.

Sobald die Stimme mich wieder verlassen hat, gehe ich von ihm runter und entferne mich von der Leiche.

Ich kann so nicht weiter machen. Ich werde mich stellen, beschließe ich.

Erst als die Nacht hereingebrochen ist mache ich mich auf den Weg in die Stadt. Ich will möglichst wenigen Menschen begegnen, keinen mehr umbringen. Am Tag ist die Stadt einfach zu voll.

Ich gehe den Feldweg entlang. Er hat seinen Glanz verloren, sieht düsterer aus, als ich ihn in Erinnerung habe.

Mit der Stimme hat mich auch wieder die Kraft verlassen und so schleppe ich mich mühsam vorwärts.

Das Gefängnis befindet sich am Rande der Stadt. Jedoch auf der entgegengesetzten Seite als ich komme. Zu so später Stunde war ich selten im Zentrum. Eigentlich habe ich mich immer bemüht vor der Dunkelheit zu Hause zu sein. Abends treiben sich gefährliche Gestalten herum - ich bin nun einer von ihnen. Mich muss man fürchten. Ich bin der Tod.

Mein Plan niemandem zu begegnen, geht nicht auf. Die ersten, die ich treffe sind zwei kleine Burschen, etwa in Karls Alter. Sie kommen vielleicht von einem Freund, oder sollten schnell etwas zum Nachbarn bringen. Was auch immer sie draußen gesucht haben, sie werden nie mehr nach Hause kommen. Ich stehe ihnen im Weg, die Stimme verlangt ihren Tod.

Versucht der eine noch zu flüchten, bin ich doch schneller, stärker. Von der Stimme mit Kraft versorgt - Energie geladen.

Es folgt ein Obdachloser auf der Suche nach einem Schlafplatz. Auch sein Blut nässt nun den kalten Steinboden der Straße.

Es ist schrecklich diesen Menschen ihr Leben zu nehmen und doch kann ich kaum Schmerz für ihren Tod empfinden. Er wird überschattet durch den Verlust meiner Familie. Ich bin der Mörder.

Als ich schon fast das Gefängnis erreicht habe, sehe ich auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Prostituierte. Sie ist das nächste Opfer. Die nächste Leiche.

Doch als ich gerade fertig bin und die Stimme gerade verschwinden will sehe ich eine Kollegin aus dem Nachbarhaus kommen. Auch ihr Leben endet durch meine Hand.

Sobald die Stimme wieder verschwunden ist, renne ich den letzten Weg zum Gefängnis. Der Wachmann am Eingang sieht mich entgeistert an. In der Dunkelheit muss ich wie ein Irrer aussehen. Meine Kleidung voll Blut. Sofort ist die Stimme wieder da und ich stürze mich auf den Wärter. Er ist der Erste, der gegen mich ankommt.

Ich werde zu Boden gerissen und er stößt sein Knie in meinen Rücken. Wehrlos am Boden nutze ich die Möglichkeit, um mich zu stellen. Den Albtraum zu beenden.

"Ich habe sie umgebracht. Alle", sage ich. Das scheint ihm zu reichen. In zwischen ist Verstärkung da und sie führen mich in eine Zelle.

Die Stimme ist immer noch da und lässt mich gegen die Tür schlagen. Ich dagegen nenne dem Wärter meine Opfer. Stelle mich meiner Schuld. Beende den Horror. Dann lassen Sie mich zurück. Allein mit der Stimme. Allein mit der Schuld. Nach meinen Taten und meinem Geständnis ist klar, dass ich die Todesstrafe erhalten werde. Und so setze ich mich auf den kalten Steinboden und warte. Warte auf mein Ende.

Warte auf Erlösung.

GeflüsterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt