Kapitel 40

3 1 19
                                    

Nervös wippe ich mit dem rechten Bein. "Isa." Beruhigend legt mir Gabriel seine Hand auf den Oberschenkel.

Egal wie sehr ich Nelli angebettelt hatte, bestand sie darauf, dass Gabriel mir die Ergebnisse, ihrer Internetrecherche mitteilt.

Nur aufgrund ihrer Sturheit sitzen wir jetzt hier zusammen in der Küche und ich bin kurz davor zu platzen. Gabriel und Nelli dagegen scheinen es zu genießen, mich auf die Folter zu spannen, sodass ich bisher nur unwichtige Details, wie auf dem Laptop haben wir nachgesehen oder das haben wir in die Suchleiste eingegeben erfahren habe.

"Bitte kommt zum Punkt", zische ich.

"Ist ja gut. Sag es ihr." Nelli grinst.

"Wir haben eine ... naja eine Hexe gefunden, die wohl Flüche aufheben kann."

Fassungslos starre ich die beiden an. "Das ist jetzt ein Witz ... oder?"

Die Hoffnung auf eine Auflösung bleibt unerfüllt. Sie scheinen es tatsächlich ernst zu meinen, dabei habe ich so sehr gehofft, dass sie wirklich eine Möglichkeit für eine Lösung gefunden haben.

"Das könnt ihr nicht ernst meinen. Eine Hexe? Und die macht was? Schaut in ihre Glaskugel und sagt ich soll drei Mal im Kreis hüpfen, während sie einen lächerlichen Spruch aufsagt und dann ist die Stimme besiegt? Wirklich? Ist das nicht ein bisschen simpel gedacht?"

Nelli erstirbt das Lächeln. Und auch Gabriel sieht längst nicht mehr so überzeugt aus, wie eben noch.

"Ich weiß, es klingt nicht gerade sehr überzeugend, aber sollten wir nicht alles Mögliche probieren? Das Schlimmste, was passieren kann ist, dass wir ohne neue Erkenntnisse zurückfahren müssen."

"Und ein Haufen Geld in den Sand setzten. Die Hexe wird sich bestimmt gut bezahlen lassen."

"Geld ist kein Problem Isa. Nelli und ich würden jeden Preis bezahlen, wenn auch nur die geringste Möglichkeit besteht, dass wir dich damit endlich befreien können." Nelli nickt zustimmend. "Also lass es uns probieren. Wir gehen allem nach, was helfen kann. Wir fahren morgen."

Damit ist die Sache für Gabriel erledigt. Er verlässt die Küche, sodass ich keine Zeit mehr für Protest habe.

"Habe ein wenig mehr Vertrauen. Wenn wir nicht dran glauben, wer denn dann? Gib der Sache eine Chance." Ich nicke, versuche jedoch meine Erwartungen klein zu halten, um der weiteren Enttäuschung vorzubeugen.

Ich ziehe mich kurz darauf in mein Zimmer zurück.

Der Traum, als ich Ohnmächtig war, schwirrt noch immer in meinem Kopf herum. Du stehst deutlich näher am Licht. Was hat das zu bedeuten? Wieso war hinter mir diese riesige Lichtmauer?

Hat sich Ludwig wirklich nur auf sie bezogen oder hat das Licht eine tiefere Bedeutung? Außerdem war ich ihm nicht fremd, anders als Luciana, die mich nicht erkannt hat, obwohl sie mir auch schon einmal im Traum begegnet ist. Das Bild von ihrer Hand auf seiner Schulter lässt sich mir immer noch die Härchen aufstellen. Sie sieht zwar unglaublich schön aus – ja beinah engelsgleich – doch rief sie in mir eher das Gefühl hervor, sie sei vom Teufel höchst persönlich gesandt.

Die Tür wird aufgerissen. "Luci ... Oh mein Gott Nelli, du hast mich zu Tode erschreckt!" Ich fasse mir an die Brust und versuche meinen Herzschlag zu regulieren, während Nelli sich zu mir aufs Bett setzt.

"Wer ist Luci?" Sie scheint mein halber Herzinfarkt mehr zu amüsieren, als dass ich ihr leid tu.

"Luciana."

Empört verschränkt sie die Arme. "Wieso rufst du ihren Namen, wenn ich in dein Zimmer komme? Muss ich beleidigt sein?"

Ich schüttle den Kopf, für Scherze bin ich noch zu adrenalingeladen. "Ich habe gerade an sie gedacht. Besser gesagt an meinen letzten Traum."

"Wieso weiß ich davon nichts?" Sie zieht die Augenbraue in die Höhe.

"Da war so viel anderes, dass mir erstmal interessanter erschien. Eure Hexe ..." Ich schnaube. Noch immer bin ich nicht wirklich von der Idee überzeugt. "Und danach brauchte ich eine Ruhige Minute für mich, um das ganze selbst mal zu verarbeiten."

"Na gut, genehmigt. Ich bin ganz Ohr."

Ich versetze mich zurück in den Moment, als ich in den Traum gerutscht bin. "Meine letzte reale Erinnerung ist, dass ich deine Stimme gehört habe." Ihre Augen werden groß. "Nur deswegen bin ich wieder aufgetaucht. Irgendwie habe ich es ans Ufer geschafft. Dann war es ein schneller Übergang ich weiß auch nicht, aber auf einmal war ich nicht mehr da – hier bei uns, sondern an einem Ort, der diesem zwar ähnlich erschien, aber dennoch ganz fremd war." Ich schließe die Augen, um das Bild genauer beschreiben zu können.

"Da war eine massive Lichtwand hinter mir. Der See war weg, der Wald dagegen unverändert aber eher hintergründig. Vor mir stand Ludwig. Luciana kam erst später dazu."

Als ich fertig bin und Nelli jedes Detail genaustens erläutert habe, erlebe ich meine Freundin das erste Mal sprachlos.

"Hast du es schon aufgeschrieben?"

"Nein, dazu bin ich ebenfalls noch nicht gekommen."

"Mach das nachher mal noch. Wir nehmen das morgen alles mit. Die Aufzeichnungen, das Tagebuch - vielleicht bringt es was." Ich nicke. "Ruh dich heute Abend ordentlich aus, geh früh schlafen, die Energie brauchst du morgen."

"Ich habe große Angst vor der Fahrt. Das wird unglaublich anstrengend." Besorgt sieht Nelli mich an. "Du schaffst das. Wir machen Pausen."

Das Training hat mich weitergebracht, der Stimme etwas an Lautstärke genommen, trotzdem wird sie mir über die längere Zeit eingesperrt mit Gabriel und Nelli die Nerven rauben. Allein der Gedanke daran bereitet mir Kopfschmerzen.

Ich befolge Nellis Rat und gehe nach dem Abendbrot direkt auf mein Zimmer, schreibe den Traum nieder und mache mich bettfertig. Nur das Einschlafen will mir nicht gelingen.

Zu viele schreckliche Szenarien quälen mich. Mal bringe ich Gabriel um, mal Nell, dann beide. Oder aber ich ermorde die Hexe. Dann erledige ich Passanten, auf die wir in der Pause treffen.

In allen morde ich, in allen bin ich am Ende allein. Ich wälze mich hin und her, aber zur Ruhe komme ich nicht. Also setze ich mich und greife nach meinem Handy.

Ich schreibe Gabriel ganz instinktiv. Erst, als die Nachricht schon gesendet ist kommen die kritischen Gedanken zum Vorschein.

Nur wenige Minuten später kommt er durch die Tür. Noch bevor einer von uns etwas sagen kann, lasse ich mir die Hände fesseln, wieder ohne wirklich darüber nachzudenken, es ist einfach zur Gewohnheit geworden. Und wieder einmal frage ich mich, ob es jemals aufhören wird.

Ob er irgendwann in mein Zimmer kommen kann, ohne dass wir Angst davor haben müssen, dass ich ihn verletzen könnte. Im gleichen Atemzug kommt jedoch die Frage auf, wo ich überhaupt hinsoll, wenn die Stimme besiegt ist. Ich habe weder Pflegeeltern noch leibliche Eltern, oder andere Familie.

"Was geht dir durch den Kopf?" Seine Stimme wirkt wie ein Pflaster – sie beruhigt mich.

"Du kannst nicht hier schlafen, ich brauche die Kraft für morgen." Meine Worte klingen forscher, als ich es beabsichtigt hatte. Wieder stoße ich ihm vor den Kopf und hasse mich dafür.

"Das ist okay", sagt er ruhig. "Aber du warst es, die wollte, dass ich herkomme. Was ist los? Ich kann bleiben solange du willst – für dich da sein." Er kommt einen Schritt auf mich zu.

"Ich wollte ... ich wollte nur, dass du da bist. Nur kurz, um meinen Kopf frei zu bekommen. Nur kurz bis die Stimme langsam hervorkommt. Dann musst du gehen."

Er nickt, kommt noch näher. "Ich bleibe solange wie du mich hier haben willst."

GeflüsterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt