Ludwig II

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Nach einem letzten Blick auf meinen Schreibtisch, um sicherzustellen, dass er aufgeräumt ist und ich alle wichtigen Dokumente verschlossen habe, lasse ich die Tür ins Schloss fallen und schließe ab.

Ein kurzer Druck gegen die Tür, ein Klinken, um mich davon zu überzeugen, dass die Tür auch wirklich verschlossen ist, dann laufe ich die Manufaktur ab.

Da ich wie jeden Tag der letzte bin, der die Arbeit verlässt, verriegele ich auch das Tor. Dann mache ich mich endlich auf den Weg nach Hause. Ein kurzer Blick auf den Stand der Sonne lässt vermuten, dass ich den Sonnenuntergang während des letzten Stücks meines Weges beobachten kann.

Bei Erreichen des Marktplatzes wundere ich mich, dass heute anders als gewöhnlich kaum noch Menschen unterwegs sind.

Ein Grund, weshalb sie mir sofort auffällt, sie und ihre langen pechschwarzen Locken.

Es ist die junge Frau von neulich - es ist etwa drei Tage her als ich sie das letzte Mal gesehen habe. Ich hatte ihr geholfen und ein paar Rüpel verscheucht.

Nach weiteren Schritten den Marktberg hinab, bemerke ich, dass auch sie mich erkannt hat. Und schon findet sie ihren Weg zu mir.

"Mein Retter, wie schön sie erneut zu treffen", sagt sie und schenkt mir ein breites Lächeln.

Über ihre doch noch jugendliche Art muss ich schmunzeln. "Held? Wohl kaum, doch auch mir sagt es zu sie wieder zu sehen. Das letzte Mal sind sie so plötzlich in der Menge verschwunden, dass man hätte glauben können sie würden vor mir flüchten."

Sie grinst. "Nun denn, mein Held sind sie alle Mal. Wie ich neulich schon sagte, sind sie der erste, der nicht weggesehen hat. Dafür stehe ich in ihrer Schuld!" Sie nickt und schiebt vorsichtig hinterher: "Ob sie mir wohl ihren Namen verraten würden?"

"Ludwig. Ludwig Winkler, um genau zu sein", antworte ich. "Und sie?"

"Luciana."

Ich nicke. "Es war schön sie wieder zu sehen, doch es ist an der Zeit meinen Weg nach Hause fortzusetzen. Dort warten schon Frau und Kinder", erkläre ich.

"Die werden ihnen doch wohl nicht böse werden können." Herausfordernd sieht sie mich an. "Aber ich möchte sie nicht aufhalten."

Ich verabschiede mich und gehe weiter.

Obwohl Luciana höchstens Mitte Zwanzig sein kann, weiß sie wohl sich auszudrücken, denn ihre Worte schwirren mir weiterhin durch den Kopf.

Natürlich schmeichelt mir die Bezeichnung als Retter oder Held. Dennoch weiß ich, dass sie etwas übertreibt oder wirklich keine guten Erfahrungen in ihrem jungen Leben gemacht haben muss.

Abgesehen davon warf mir das erneute Treffen nun mehr Fragen auf, als ich vorher schon hatte. Insgeheim hoffte ich also auf ein Wiedersehen.

Wie erwartet habe ich einen wundervollen Ausblick als ich den Feldweg entlanggehe, doch durch das unerwartete Treffen mit Luciana, begleitet mich das schöne Bild etwas länger.

Feuerrot brennt die Sonne in ihren letzten Minuten, bevor sie der Mond ablöst. Je dunkler es wird, desto mehr beeile ich mich, um noch vor der vollständigen Dunkelheit nach Hause zu finden. Immer schneller gehe ich, wie auf der Flucht vor dem Dunklen, das mich immer mehr einholt.

Dann erblicke ich das Licht meines Hauses und die Freude meine Kinder und meine Frau nach dem langen Arbeitstag in die Arme zu schließen steigt.

Mir kommt ein herrlicher Duft nach frischem Brot und Suppe entgegen als ich mein Heim betrete. Elisabeth muss gut gekocht haben und ich werde bestimmt schon zum Abendbrot erwartet.

Meine Vermutung bestätigt sich. Meine Frau, die mich gehört haben muss, kommt mir entgegen, begrüßt mich überschwänglich und nimmt mir meine Jacke ab.

"Ich habe dein Lieblingsessen vorbereitet", klärt sie mich auf und beginnt weiter von ihrem Tag zu erzählen. "Du glaubst es gewiss nicht, doch Elise hat mir heute das erste Mal beim Zubereiten des Essens geholfen. Sie hat sich wirklich gut angestellt", berichtet sie mir und wedeln dabei wild mit ihren Armen umher, um mir die Ausmaße des Erfolgs zu demonstrieren.

Elise ist gerade drei Jahre alt geworden und fast täglich kann mir Beth von neuen Fortschritten, die sie gemacht hat, erzählen. Es ist aufregend zu beobachten, wie meine Tochter größer wird, auch wenn ich das meiste nur über meine Frau erfahren kann, da ich die meiste Zeit nicht daheim bin.

Am Esstisch warten bereits Karl und Elise brav auf mein Eintreffen. Ich begrüße beide mit einem Kuss auf die Stirn, dann setze ich mich und begutachte die Speisen, die Beth zubereitet hat. Abwechselnd erzählen mir Karl und Elise - soweit sie es kann - von ihrem Tag.

"Warum bist du heute so spät gekommen?", schaltet sich Beth ein.

"Oh, das ist eine lustige Geschichte." Ich sehe zu ihr rüber. "Ich habe dir doch letztens von dem Fräulein erzählt, dass von den Knaben belästigt wurde."

"Du meinst die Frau, der du geholfen hast?"

"Genau." Ich nicke. "Heute auf dem Markt bin ich ihr erneut begegnet und sie hat sich noch einmal für meine Hilfe bedankt", erkläre ich. "Wir haben kurz geredet und uns vorgestellt, sie heißt Luciana."

"Achso. Nett, dass sie sich noch einmal bei dir bedankt hat. Es war durchaus nobel, dass du ihr geholfen hast." Stolz grinst sie mich an und gibt mir einen Kuss auf die Wange.

Nach dem Essen, bringt Elisabeth Karl und Elise zu Bett. Auch wir beide gehen wenig später zu Bette.

Es ist ein langer Tag gewesen. Außerdem muss ich morgen in der Früh wieder auf dem Weg in die Stadt sein.

Also schließe ich Beth in meine Arme, sodass wir bald darauf umschlungen in den Schlaf fallen.

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