Ludwig I

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Ich streiche Karl kurz zum Abschied durch die Haare, bevor er in sein Zimmer verschwindet.

"Bis heute Abend, ich liebe dich", verabschiedet sich Elisabeth und gibt mir einen Kuss. Ich streiche ihr eine Haarsträhne hinter das Ohr, gebe ihr einen Kuss auf die Stirn, erst dann mache ich mich auf den Weg zur Arbeit.

Die Morgensonne schenkt mir - wie jeden Tag - einen wunderschönen Anblick. In voller Röte erscheint sie langsam hinter den Dächern der Stadt, welche ich bereits in der Ferne erkennen kann. Links und rechts von mir erstrecken sich die weiten Felder, die jetzt im Sommer in vollendeter Schönheit blühen und einem den Geist erhellen. Meinen täglichen Weg zur Manufaktur genieße ich mit ganzem Herzen. Besonders den, bevor ich die Stadt erreiche. Es ist so ruhig, dass ich ungestört die Natur beobachten und meinen Schritten lauschen kann. Ab und zu wird mir die Ehre zu Teil Feldhasen für einen Moment zu beobachten, wie sie unbeholfen über die Wiesen hüpfen und sich gegenseitig haschen.

Je näher ich der Stadt komme, desto schlechter wird die Luft und die gerade zu beobachtende Natur verschwindet, auch die Röte der Sonne hat sich verabschiedet.

Die Ruhe verlässt mich, sobald ich die Stadt betrete. Auf den Straßen blüht das Leben, viele sind auf dem Weg zur Arbeit, Händler beginnen ihre Stände aufzubauen, Kutscher Peitschen ihre Pferde, dessen Hufen auf dem Boden klappern.

Herausgerissen aus der Traumwelt, in der ich verweilt hatte, während ich den Feldweg entlang gegangen bin, beschleunige ich ebenfalls meine Schritte, um pünktlich zur Manufaktur zu kommen. Mit schnellen Schritten schlängele ich mich durch die Menschenmassen. Immer wieder muss ich Karren ausweichen oder Kutschen Platz machen. Mehr und mehr Menschen begegnen mir als ich mich dem Marktplatz nähere.

Als ich die Kirch Uhr sehe lege ich noch einen Schritt zu, da ich mal wieder spät dran bin.

Als Manufakturleiter ist es zwar nicht so schlimm, wenn ich mich einige Minuten verspäte, doch gern gesehen ist es nicht - zumal ich aufpassen muss, dass alle Vorgänge reibungslos vonstattengehen.

Plötzlich höre ich einen Hilferuf, der beinahe in der Menge untergegangen wäre.

Die Stimme muss einer Frau gehören, doch ich kann nicht erkennen, woher sie kommt. Ich drehe mich in alle Richtungen und versuche ihren Ursprung ausfindig zu machen, doch vergeblich.

Niemandem, abgesehen von mir, scheint die nach Hilfe schreiende Person aufgefallen zu sein. Alle bewegen sich starr in ihrem Alltag.

Doch ich kann sie nicht ignorieren und sehe mich weiter um. Und da, ein Lastwagen setzt sich in Bewegung - dahinter erblicke ich sie. Sogleich erkenne ich auch, den Grund ihres Hilfeschreies.

Eine Gruppe Knaben hat sich um das Fräulein versammelt und schubst sie im Kreis herum. Ohne eine weitere Sekunde zu verweilen, setze ich mich in Bewegung um die Knaben zurechtzuweisen.

"Lasst sie in Frieden!", sage ich bestimmt und errege damit sofort die Aufmerksamkeit der Gruppe. Sie müssen höchstens 16 Jahre alt sein und haben, wie es scheint, nur Unfug im Kopf.

"Schämt euch Bengel, diese junge Frau zu belästigen. Macht das ihr davon kommt", beendet ich meine Predigt und zeige mit dem Finger in die Ferne, um meiner Aussage mehr Kraft zu verleihen.

Überrascht von meinem Auftreten, was ich meinem fortgeschrittenen Alter zuschreibe, da ich fast doppelt so alt sein müsste wie die Knaben, beginnen sich die Rüpel zu entfernen.

Ich höre, wie die junge Frau neben mir erleichtert aufatmet und sehe zu ihr. Erst jetzt habe ich Zeit ihre Schönheit zu bemerken.

Ihre Porzellanhaut steht im Kontrast zu ihren wilden schwarzen Haaren, die sie versucht hat in einem Zopf zusammenzufassen, dabei erreichen ihre Locken locker ihre Hüften. Und dann sind da noch ihre grauen Augen, die unergründbar scheinen.

"Ich muss mich bei Ihnen bedanken!", sagt sie und holt mich damit zurück in den Trubel der realen Welt. Ich winke ab und möchte mich gerade verabschieden, da hält sie mich am Arm fest.

"Sie sind der Erste, der es nicht ignoriert hat. Ich bin Ihnen unendlich dankbar!", sagt sie und sieht mir, wie als Beweis für ihre Aufrichtigkeit, fest in die Augen. Dann lässt sie mich los, dreht sich um und geht. Ich sehe ihr nach, doch in der Menschenmenge geht sie schneller unter als ich das gerade erlebte einordnen kann.

Als mir wieder einfällt, wieso ich eigentlich in der Stadt bin, setze ich meinen ursprünglichen Weg zur Arbeit fort.

Das letzte Stück zur Manufaktur renne ich, da ich deutlich zu spät bin und das schlechte Gewissen mich bereits plagt.

Zu meinem Glück lief bis zu meiner Ankunft alles nach Vorschrift, sodass ich keine Konsequenzen für mein zu spät kommen zu erwarten habe. Nach einem kurzen Rundgang begebe ich mich in mein Büro, sehe nach, was zu tun ist und beginne schließlich meinen Arbeitsalltag.

GeflüsterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt