Ludwig VIII

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Ich erreiche mein Haus und stürze zur Tür herein. Es ist Erleichterung, die mich überkommt als ich in meinen vier Wänden bin - ein Gefühl von Sicherheit.

"Wer ist da?", Elisabeth, die mich gehört haben muss, kommt um die Ecke.

"Ludwig, was machst du denn schon hier?", fragt meine Frau verwundert. Normalerweise würde ich erst in etwa sechs Stunden nach Hause kommen - aber nicht heute. Am liebsten wäre ich Beth direkt in die Arme gefallen, doch dazu kommt es nicht. Kurz nachdem sich Beth von der Überraschung erholt hat, sieht sie das Blut, das an meine Kleidung gespritzt ist, als ich den Fremden totschlug.

"Was hat sie getan?", ist das Einzige, was sie sagt, als wüsste sie, dass Luciana die Ursache des Übels ist. Sie kommt ein paar Schritte auf mich zu. Ich weiß, dass sie genau sieht, wie schlecht es mir geht - wie verzweifelt ich bin. Dann höre ich sie - die Stimme.

Die Stimme, die den Tod fordert, den Tod meiner Frau.

Niemals, denke ich, doch meine Hand greift nach ihrem Hals. Ich schiebe sie unsanft in Richtung Wand, nur um sie dann dagegen zu drücken - zu würgen.

Die Angst in ihren Augen zerreißt mir das Herz. Ich liebe sie, ich will ihr nicht weh tun, aber ich komme nicht gegen die Stimmen an.

Bring sie um! Jede Faser meines Körpers gehorcht diesem Ruf. Lass los - mit ganzer Kraft denke ich an diesen Wunsch, versuche die Kontrolle zurückzuerlangen, doch erfolglos. Meine Frau ringt weiterhin nach Luft.

"Es tut mir so leid!", sage ich und meine es auch so. Es ist wie ein schlimmer Traum, aus dem ich nicht erwachen kann. Ein Albtraum meiner Liebsten etwas anzutun - aber meine Hand versperrt ihr weiterhin die Atemwege.

Ich merke, wie ihr langsam endgültig die Luft ausgeht und versuche mich mit aller Kraft auf meine Hand - auf das Loslassen - zu konzentrieren. Jedoch erfolglos. Ich werde sie umbringen. Ich werde der Mörder meiner eigenen Frau.

Elisabeth ändert ihre Haltung - sie gibt auf sich zu wehren, sie akzeptiert ihren Tod. Ich will nicht, dass sie aufgibt. Will nicht, dass sie stirbt.

Ihre Hand legt sie an meine Wange und streicht mir die Tränen weg - ich habe gar nicht gemerkt, dass ich weine.

Beth versucht mir ein lächeln zu schenken, ihr gelingt es nicht ganz, durch meinen Würgegriff, doch ich sehe es auch in ihren Augen: Sie vergibt mir.

Den Moment, in dem das Licht aus den Augen von Beth verschwindet, kann ich nicht beschreiben. Mit ihr stirbt ein Teil von mir. Ich will es nicht glauben - kann es nicht. Wie kann ich mit dem Wissen weiterleben, meine Liebe getötet zu haben?

Sie sinkt in meinen Armen zusammen und ich, endlich befreit von der schreienden Stimme, halte sie fest und lasse mich mit ihr zu Boden fallen. Ich drücke ihren Leichnam fest an mich und weine um sie - verfluche mich selbst. Es ist meine Schuld. Ich war nicht stark genug gegen die Stimme anzukommen, sie zu besiegen, ihr Leben zu retten.

Wieso kann ich meinen Körper nicht mehr kontrollieren, wenn die Stimme kommt? So war es bei dem Fremden, so war es jetzt bei meiner Frau. Keinen der beiden wollte ich wehtun, niemanden wollte ich töten und doch sind beide tot - gestorben durch meine Hand. Wieso gehorchte mein Körper mir nicht, so wie er es jetzt tut?

Es ist, als wäre nichts gewesen, als hätte die Stimme nicht so laut geschrien, dass es fast unerträglich war. Ich habe zwar leichte Kopfschmerzen, aber die könnten auch vom unaufhörlichen Weinen kommen, von den Tränen, die ich nicht zurückhalten möchte. Ich will um sie trauern - ihren Tod beschreien.

Vorsichtig schließe ich Elisabeths Augen, dann höre ich die Tür aufgehen, die zum Garten führt. Die Kinder. Sie müssen im Garten gespielt haben. Mein Blick fällt zurück auf Beth. Sie dürfen ihre Mutter nicht so sehen. Ihre Mutter dürfte gar nicht hier liegen - tot sein. Wie erkläre ich ihnen, dass sie nicht mehr am Leben ist? Wie soll ich weiterleben, wie sollen wir weiterleben ohne sie?

Doch bevor ich handeln kann, stehen sie vor mir. Der kleine Karl, an der Hand die noch kleinere Elise. Der ungläubige Blick als sie uns sehen - mich und Beths Leiche.

GeflüsterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt