Das Wasser im Holzfass war kalt und still. In ihm spiegelte sich dunkel der wolkenlose Abendhimmel. Ein Vogel krächzte in der Ferne und sein Schrei hallte einsam und traurig über den Acker.
Das Wasser im Fass begann sich zu kräuseln. Kleine, durch Erschütterungen ausgelöste Wellen liefen zum Rand des Fasses und von dort wieder zurück in die Mitte. Mit der Ruhe war es vorbei. In das Stampfen schwerer Stiefel mischten sich unterdrückte Klagelaute.
Plötzlich spiegelte sich im Wasser das schmutzige Gesicht eines Jungen von vielleicht zwölf oder dreizehn Jahren. Er hatte zotteliges, schwarzes Haar. Seine Augen waren weit aufgerissen und der Mund war zum Schrei geöffnet.
»Nicht!«, rief er, dann durchbrach sein Gesicht klatschend die Wasseroberfläche. Blasen stiegen auf. Links und rechts spritzte Wasser über den Rand, als der Junge mit ruckartigen Bewegungen versuchte freizukommen. Doch eine Hand hielt ihn an den Haaren, drückte ihn hinunter und ließ ihn nicht los.
Die Hand gehörte einem Mann. Der Mann war groß und breit und auch sein Gesicht war schmutzig. Sein Haar war schwarz. Er hatte dicke Augenbrauen und einen ungepflegten Bart. Die Augen hatte er zusammengekniffen und seine Lippen aufeinander gepresst.
Er war stark, denn während die Bewegungen des Jungen immer heftiger wurden und er alles versuchte, um sich aus dem Griff des Mannes zu befreien, blieb dieser fast unbewegt, außer wenn er den Kopf des Jungen noch tiefer ins Wasser drückte.
Ruckartig riss der Mann den Kopf des Jungen nach oben. Der Junge spuckte Wasser, hustete und schnappte nach Luft. Erfolglos versuchte er, den Griff des Mannes um seine Haare zu lösen.
Grob drehte der Mann den Jungen zu sich um. In seinem Blick lagen Zorn und Hass.
»Wo ist er?«, brüllte er den Jungen an, während er ihn hin und her schüttelte. Der Junge holte Luft, um eine Antwort zu geben, doch bevor er dazu kam, drückte der Mann den Kopf des Jungen erneut unter Wasser.
Als er ihn abermals nach oben zog, spuckte der Junge mehr Wasser als zuvor. Der Mann zerrte ihn auf die Beine. Als er jetzt sprach, war seine Stimme fast ruhig und er betonte jedes Wort.
»Wo ist mein Wein?«
»Ich weiß es nicht!«, krächzte der Junge. Immer noch versuchte er sich aus dem Griff des Mannes zu befreien.
»Ach, nein?« Der Mann presste die Hand, mit der er immer noch die Haare des Jungen festhielt, so stark zusammen, dass seine Köchel hervortraten. Er zog den Jungen auf die Zehenspitzen.
»Mehr fällt dir nicht dazu ein? Du hast ihn ganz sicher nicht selbst getrunken? Dann bist du wohl noch genauso durstig wie ich.«
Er lockerte seinen Griff und ließ den Jungen wieder zurück auf die Füße. Der Junge gab einen erschöpften Seufzer von sich und löste den Griff um den Arm des Mannes.
Darauf schien dieser nur gewartet zu haben. Erneut riss er den Jungen zurück zum Fass und drückte ihn in das Wasser, riss ihn wieder heraus, drückte ihn wieder hinein.
»Dir wird schon noch einfallen, wo mein Wein hingekommen ist!«, brüllte der Mann.
»Hier, hier! Er ist hier!«
Das war die Stimme eines Mädchens. Ruckartig drehte der Mann den Kopf. Ein letztes Mal stieß er den Jungen ins Wasser, dann ließ er ihn los. Der Junge verlor das Gleichgewicht. Verzweifelt versuchte er, sich am Fass festzuhalten.
Als der Mann das sah, lachte er und versetzte dem Fass einen kräftigen Tritt. Es neigte sich gefährlich zur Seite. Ein zweites Mal trat der Mann gegen das Fass. Einen Moment verweilte es träge in der Schwebe, dann kippte es. Der Junge schrie, als das Fass beinahe auf ihn stürzte, zusammen mit ihm auf den Boden aufschlug und sich Wasser über ihn ergoss. Wimmernd blieb er liegen.
DU LIEST GERADE
Der Untergang Ijarias I - Die Schatten erheben sich
FantastikEntdecke den Untergang Ijarias - Ein episches Abenteuer voller Mut, Magie und Freundschaft! Ein dunkler Schatten zieht auf über Ijaria, der prachtvollen Hauptstadt des Freien Reiches, und das Schicksal von drei jungen Helden steht auf dem Spiel. Eln...