Kapitel 9

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Zunae spürte die Aufregung mit jeder Minute mehr in sich aufsteigen.

Als Yelir gesagt hatte, dass sie einen Ausflug in die Stadt machten, hatte sie irgendwie damit gerechnet, dass er sie verstecken würde. Vielleicht in einer geschlossenen Kutsche, doch jetzt, wo sie vor den eleganten Pferden stand, welche herausgeputzt waren, wurde ihr klar, dass er gar nicht daran dachte. Vielleicht führte er sie sogar vor, wie eine Trophäe.

»Wenn du nicht reiten kannst, dann komm zu mir«, merkte Yelir an, der neben einem wunderschönen, schwarzen Hengst stand. Für sie hatte man ein etwas kleineres, weißes Pferd herausgesucht. Ein Symbol, wie Zunae annahm.

»Ich kann reiten, keine Sorge«, beschwichtigte sie ihn, auch wenn sie noch nicht genau wusste, wie sie das mit dem Kleid machen sollte. Normalerweise trug sie dabei Reitkleider, doch das wäre unpassend gewesen, selbst, wenn sie es gewusst hätte.

Einen Moment musterte Zunae das Tier, bevor sie einen Fuß in die Steigbügel stellte und sich nach oben schwang. Sie war froh darüber, ein weites Kleid angezogen zu haben, das ihren Beinen genug Freiheiten gab, denn sie wollte nur ungern im Frauensitz reiten. Das war sehr unbequem und unsicher.

Yelir musterte sie eingängig, sagte jedoch nichts, als er sich ebenfalls elegant auf sein Tier schwang. Er saß fest und erhaben da, was Zunaes Blick schnell fesselte. Die Männer, die hier lebten, waren so anders als die bei ihr zuhause. Viel dominanter, was ihr irgendwie ein Kribbeln bescherte. Die Tatsache, einen ebenbürtigen Gegner zu haben, ließ ihre Hände vor Aufregung schwitzen.

Trotzdem packte sie die Zügel und lenkte das Pferd Richtung Yelir. Sie wollte nicht zeigen, dass sie nervös war.

Yelir setzte sein Tier in Bewegung und schritt voraus.

Zunae bemerkte sofort, dass sie wohl allein unterwegs waren. Weder ein Stallbursche noch ein Wachmann kam mit ihnen mit.

Es war nicht so, dass Zunae sich deshalb unwohler fühlte, doch sie fragte sich, warum das so war. War das hier vielleicht normal?

»Unter meiner Herrschaft gibt es viele Clans und viele verschiedene Oberhäupter«, erklärte Yelir plötzlich, als sie durch das große Haupttor des Komplexes schritten. Zunae hatte festgestellt, dass es sehr darauf ausgelegt war, Schutz zu bieten. Nur wenige Teile waren prunkvoll und elegant. Der Rest wirkte eher wie eine Festung. Etwas, was Zunae durchaus passend fand.

»Das heißt, sie sind deine Verwalter?«, fragte Zunae, da das Prinzip an sich nicht neu für sie war, auch wenn sie es von zuhause nicht kannte.

Yelir nickte angespannt. »Die meisten von ihnen herrschen über eine Stadt oder handvoll Dörfer«, erzählte er weiter, wobei Zunae deutlich hörte, dass ihm die Lage so nicht ganz gefiel. Etwas war da, was ihm Sorgen zu bereiten schien.

»Sie sind nicht begeistert, dass sie unter dir stehen?«, fragte Zunae neugierig, um herauszufinden, was der Grund seiner Sorge war.

Yelir schnaubte leise. »Hier herrscht der Stärkere«, bemerkte und wandte den Blick ab. »Was sie wirklich stört, bist du.«

Zunae runzelte die Stirn. »Wieso?«, wollte sie wissen. Sollten sich die Clans nicht über Frieden freuen.

»Jeder von ihnen will eine Frau mit mir verheiraten, damit sie an Einfluss gewinnen. Durch dieses Bündnis und die Heirat, wirst du aber über den anderen Frauen stehen, was sie nicht erfreut.«

Zunae versuchte seine Worte zu verstehen und spürte einen gewissen Schmerz in sich aufkommen. Er klang, als würde er eine Heirat mit anderen Frauen durchaus in Betracht ziehen.

Zunaes Mund wurde trocken. »Ist es hier normal, mehrere Ehefrauen zu haben?«, fragte sie, wobei sie versuchte, fest zu klingen, doch sie konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme leiser war als sonst. Damit hatte sie wirklich nicht gerechnet.

Yelir blickte überrascht auf und blickte sie stirnrunzelnd an. »Hier ist es normal, dass ein Herrscher mehrere Frauen und sogar Nebenfrauen hat«, stimmte er zu, wobei er sie weiterhin intensiv musterte.

»Oh«, machte Zunae, der das gar nicht gefiel. Aber sie würde sich damit arrangieren müssen. Immerhin war das hier Tradition.

»Der Herrscher ist der Stärkste unserer Art. Die Frauen sollen sicherstellen, dass seine Gene auch wirklich weitergegeben werden.«

Das klang schon irgendwie logisch, musste Zunae aber nicht gefallen.

»Wie war das bei deinen Eltern?«, fragte sie vorsichtig.

Yelir winkte ab. »Mein Vater hatte ebenfalls einen Harem, doch meine Mutter war immer seine Favoritin, die er schließlich heiratete.«

Zunae spürte Ärger in sich aufsteigen. »Ein Harem?«, fragte sie und lenkte ihr Pferd so, dass sie Yelir im Weg stand.

Ihre Augen fixierten ihn und ließen ihn nicht los. »Wann wolltest du mir erzählen, dass dieser existiert?«, fragte sie, denn bisher hatte sie darüber nichts erfahren.

Yelir hob eine Augenbraue. »Als Adlige bist du nicht Teil dieses Harems. Warum interessiert er dich? Du stehst eh in einer ganz anderen Position als meine Erstfrau.«

Zunae krallte ihre Finger in die Zügel. »Ich kenne mich mit eurer Kultur und Tradition nicht aus. Es wäre schön, über derartige Dinge informiert zu werden. Immerhin muss ich damit leben und würde mich gern auf eventuelle Probleme vorbereiten.«

Yelir verdrehte die Augen. »Als meine Erstfrau wäre es zwar deine Aufgabe, dich um den Harem zu kümmern, aber du kommst aus einer ganz anderen Welt. Niemand hier wird sich daran stören, wenn ich diese Aufgabe an meine Zweitfrau weitergebe«, winkte er ab, als würde das alle Sorgen seitens Zunae zerstreuen. Das machte es jedoch überhaupt nicht besser.

Zunaes Blick wurde intensiv. »Ich bin vielleicht nicht von hier und alles, was eure Traditionen betrifft, werde ich nicht mögen, aber das ändert nichts daran, dass ich deine Erstfrau werde«, sagte sie ernst, womit sie einräumte, dass sie sich nicht gegen weitere Frauen sperren würde, auch wenn es ihr nicht gefiel. »Ich werde also auch alle Aufgaben erledigen, die damit einhergehen.« Sie würde nicht zurückstecken und sich herabsetzen lassen.

Yelir senkte die Lider, als sie die Frau musterte. »Du bist eine Kriegerin, wie Degoni mir erzählt hat. Sollte das wirklich der Fall sein, wird dein Talent an anderen Stellen gebraucht.« Mit diesen Worten lenkte er sein Pferd an ihr vorbei, als wäre für ihn damit die Unterhaltung beendet.

Zunae blickte ihm kurz hinterher, bevor sie such ihr Tier wieder in Bewegung setzte und langsam hinter ihm her schritt. Dabei gingen ihr seine Worte nicht aus dem Kopf.

Was meinte er damit, dass ihr Talent an anderen Stellen gebraucht wurde? Sie sollte doch Königin werden. War dann ihre Aufgabe nicht das Koordinieren der Palastangelegenheiten? So hatte man es ihr zumindest zu Anfang erzählt.

Sie verstand nicht, was in Yelirs Kopf vor dich ging.

Allerdings wollte sie es auch nicht ansprechen, denn sie näherten sich bereits einer kleinen Ansammlung an Häusern, die wohl zum Anwesen gehörten. Auch, wenn Zunae eher mit einer größeren Stadt gerechnet hätte. Was sie jedoch jetzt erblickte, wirkte eher wie ein kleines Dorf. Unpassend als Herrschaftssitz.

Trotzdem spürte Zunae die Aufregung in sich ansteigen. Ihr erster öffentlicher Auftritt bei den Leuten, über die sie bald herrschen würde.

Das Blut der Drachen (Band 1+2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt