Kapitel 46

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Erschöpft betrat Yelir sein Zimmer. Dieser Abend war zwar wundervoll gewesen, doch auch sehr anstrengend. Warum hatte er die Zeit nicht mit seiner neuen Frau verbringen können? Nein, er musste mit den Adligen sprechen. Deshalb hatte er sich von Zunae getrennt, die auch mit ihrer Familie ein wenig Zeit verbringen wollte.

Es wurde erwartet, doch gefallen tat es ihm nicht.

Vermutlich hätte es ihn mehr frustriert, wenn sie sich nicht nach der Feier in seinem Zimmer verabredet hätten.

Die Hochzeitsnacht, die er schon so lange herbeigesehnt hatte, war endlich gekommen. Es war nicht so, dass er nicht mit ihr körperlich hätte werden können, wenn er das gewollt hatte, doch so war es viel intimer.

Yelir spürte Vorfreude in sich aufsteigen. Vielleicht hatte er sich auch selbst zurückgehalten, damit diese Nacht noch bedeutungsvolle wurder. Sie würden ihre Ehe offiziell vollziehen.

Ein Brauch aus einer alten Zeit. Yelir war nur froh, dass niemand mehr zusah und die Braut such keine Jungfrau sein musste. Trotzdem wurde noch immer erwartet, dass die Königin möglichst schnell ein Kind empfing.

Darum ging es Yelir aber nicht. Er wollte den sanften Körper unter ihren Händen spüren. Ihre leisen Geräusche, die sie machte, wenn ihr etwas gefiel, hören.

Allein die Erinnerung sorgte dafür, dass in seiner Hose etwas zu drücken begann.

Er konnte es kaum erwarten. Wo also war sie?

Yelir hatte beobachtet, wie sie ihre Familie verabschiedet hatte. Da er sich von Misha bereits verabschiedet hatte, war er zuerst zurückgekehrt. Allerdings glaubte er nicht, dass sie noch so lang mit ihrer Familie sprach. Sie war zu Ilan gegangen. Ein Zeichen, dass sie sich von ihm hatte zurückbringen lassen wollen.

Frustriert und ungeduldig fuhr sich Yelir durch die Haare. Dafür, dass sie ihn warten ließ, würde er sie heute ein wenig ärgern. Das könnte sicherlich lustig werden.

Das Lächeln auf seinen Lippen wurde raubtierhaft und voller Vorfreude, doch als er sich seinem Bett zuwandte und dort einen Brief bemerkte, wurde das Lächeln schnell zu einem Stirnrunzeln.

Ein ganz seltsames Gefühl packte ihn. Yelir wurde eiskalt, als er nach dem Umschlag griff.

Er konnte sich nicht vorstellen, dass Zunae diesen Brief hiergelassen hatte. Das war nicht ihre Art.

Als er ihn hochhob, bemerkte er die Leichtigkeit. Kein teures Papier. Kein teurer Umschlag.

Was hatte das zu bedeuten?

Yelir drehte den Umschlag, doch er konnte weder einen Absender lesen, noch herausfinden, ob er wirklich für ihn war.

Langsam ließ er einen seiner Fingernägel wachsen und nutzte diesen wie einen Brieföffner. Da er auch keine Magie spüren konnte, glaubte er zumindest nicht an eine Falle. Nicht direkt zumindest.

Sein Herz schlug aufgeregt, als er das einfache Notizpapier hervorzog. Es war das, was Zunae gern nutzte, wenn sie sich Stichpunkte machte. Billig und leicht zu beschaffen, weshalb es auch leicht kaputt ging. Nichts, worauf man Notizen machte, die man gedachte, lange aufzuheben.

War der Brief doch von ihr?

Nein, entschied er, als er die ersten, eher gekrakelten Tuschestriche erkannte.

Ihm wurde eiskalt, denn er kannte diese Schrift.

Wenn du deine Frau wiedersehen willst, dann komm beim ersten Morgenstrahl in den geschlossenen Innenhof.

Das war alles, was dort stand. Keine Unterschrift und keine weiteren Bedingungen.

Yelir ballte die Hand zur Faust und zerdrückte diesen Brief.

Wie konnte es sein, dass jemand seine Frau entführt hatte?

Es klang unmöglich, denn er glaubte nicht, dass Zunae das zulassen würde. Was also war da los? War sie vielleicht doch dabei, ihn zu verraten?

Yelir versuchte, ruhig zu atmen, doch er konnte die Angst, die in ihm aufstieg, nicht ganz kontrollieren.

Er trat an das Fenster und blickte in die Nacht hinein. Es war erst kurz nach Mitternacht, weshalb es noch einige Stunden waren, bis zum Zeitpunkt des Treffens.

Würde es Zunae gutgehen? Konnte er etwas tun, ohne ihr Leben zu gefährden?

Seine Gedanken schweiften, als er plötzlich an die Katze dachte, die Zunae mitgebracht hatte. Wo war sie? Vielleicht konnte sie Zunae finden, ohne, dass es jemand bemerkte.

In ihm rasten die Gedanken, während er sich überlegte, wen er davon erzählen konnte.

Nach der Feier waren alle sicherlich müde. Zunae Geschwister waren nach Hause gefahren und seine Brüder ... Wären zu auffällig.

Er fühlte sich hilflos, denn immer, wenn er glaubte, eine Idee zu haben, was er tun konnte, stellte er sich vor, wie das Zunaes Sicherheit beeinflussen könnte.

Obwohl er am liebsten sofort losrennen wollte, wusste er doch, dass er nichts anderes tun konnte, als zu warten.

War es Absicht, um ihn zu zermürben?

Frustriert ließ sich Yelir auf seinem Bett nieder, schloss die Augen und überlegte. Wer könnte es sein, der Zunae entführt hatte?

Es musste jemand sein, der ein Problem mit seiner Stellung hatte und vielleicht seinen Posten wollte. Zudem musste Zunae ihm vertrauen. Wie sonst wäre diese Sache so komplett unbemerkt abgelaufen?

Yelir fiel nur eine einzige Person ein. Zunae mochte ihn und er könnte sie dazu überreden, kurz mit ihm zu kommen, ohne Pobleme zu verursachen. Außerdem war er scharf auf seinen Platz.

Arcas.

Er hatte sich noch nie gut mit seinem Halbbruder verstanden. Ganz anders als mit Degoni und Misha. Mit diesen war er aufgewachsen wie mit Brüdern, auch wenn sie unterschiedliche Mütter hatten. Bei Arcas hatte das jedoch nie funktioniert. Charlet, die Lieblingsfrau seines Vaters, hatte schon immer damit gerechnet, dass Arcas einmal der Herrscher werden würde. Nur hatte sie seine Stärke unterstützt.

Damals, beim Kampf gegen Arcas, hatte Yelir nie das Gefühl gehabt, dass der Wunsch nach Macht und Status von Arcas ausging. Er wirkte eher so, als wäre er lediglich darauf bedacht, seine Mutter zufrieden zu machen.

Konnte das für so eine hinterhältige Tat reichen? Wollte er damit eine Revanche? Aber warum dann Zunae entführen? Er konnte einfach danach fragen.

Das hier machte für beide Seiten alles nur noch schwieriger.

Yelir verstand es einfach nicht, weshalb er auch nicht wusste, was er tun sollte, wenn es sich wirklich um Arcas handelte.

Darüber, wer noch in Frage kam, wollte er lieber nicht zu lange nachdenken. Jeder andere seiner Brüder würde ihm das Herz herausreißen.

Das Blut der Drachen (Band 1+2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt