Vincent schloss die Türe hinter sich.
Es hatte noch nicht mal der Abend begonnen und er war bereits zu Hause. Heute klappte irgendwie nichts so, wie es sollte. Die Aufnahmen waren zwar gut gelungen, aber irgendwas fehlte. Das hatte nicht nur er bemerkt. Auch Max, besser bekannt als Kontra K, entging es nicht. Er hakte selbstverständlich nach und Vincent erzählte ihm teils, was ihn momentan alles so beschäftigte.
Sein Freund kam zu dem Entschluss, dass einiges anscheinend fehlte.
Vertrauen. Damit meinte er jedoch zusätzlich nicht die Treue im Allgemeinen, sondern vielmehr auch die Zukunftserwartung, dass der Partner für einen da war, wenn man ihn benötigte. Ergo, Verlässlichkeit. Auf irgendeine Weise war es in der Beziehung nicht gegeben.
Vincent fiel direkt Dag und Beckys Satz ein, dass Jessica und er nicht miteinander leben würden.
Kommunikation fehlte ebenso. Sie redeten. Aber eher aneinander vorbei.
Beistand war das Nächste, was Max aufgefallen war. Vincent versuchte alles, um seine Freundin zu unterstützen. Selbst, wenn es diese dämliche Sache mit der falschen Pressemeldung war. Doch was tat sie eigentlich? Er wollte ihm da nichts schlechtreden, aber er bemerkte, das ihm wohl tief im Innern dieser Umstand fehlte.
Frieden war ebenso ein Stichwort, welches gefallen war. Eine Beziehung sollte ein sicherer Hafen sein. So hatte Max sich zumindest geäußert. Erst Recht neben so einem stressigen Job war der Ankerplatz unverzichtbar.
~ Es ist wichtig, dass deine Partnerin dir diesen Frieden schenkt und ihn ausstrahlt. Dass sie dich beruhigen und auf den Boden der Tatsachen zurückholen kann. Fehlt in eurer Beziehung der Frieden, wird das Zusammenleben auf Dauer zum Stressfaktor. Und genau das strahlst du zurzeit aus, mein Freund. ~
Irgendwie waren diese Worte hängengeblieben, die er zu ihm gesagt hatte.
Er hatte keinen Hafen. Er hatte eine Freundin. Eine Beziehung. Aber keinen Hafen.
Dag hatte einen. Rebecca war seine Anlegestelle. Seine Sicherheit.
Max hatte ebenso nochmal darauf hingewiesen, dass sein Frieden seine Familie sei. Man benötigte nämlich keine Ruhe beziehungsweise Stille, um ein friedliches Leben führen zu können. Der Geräuschpegel seiner Kinder war für ihn mehr wert als jeder Jubelchor auf einem Konzert.
Sein zu Hause war hingegen still. Zumindest jetzt wo er angekommen war. Ansonsten hatte er schon oft laute Musik im Hintergrund laufen, oder Freunde waren anwesend. Nur war das in der gegenwärtigen Zeit ... eine andere Art von Stille.
Aber vielleicht war es auch das.
Sein Hafen musste ja keine Person sein. Es war sein Heim. Seine vertraute chillige Umgebung. Da, wo er einfach nur Vincent war. Dort, wo er seine Ruhe hatte. Wo er abschalten konnte. Wo ihn nichts und niemand stören konnte.
Seine Türklingel erklang.
Wer war das denn jetzt? Er war doch gerade erst eingetreten. Vincent ging zurück und öffnete die Türe.
Toll.
Die böse Hexe des Westens blickte ihn an.
»Was kann ich für Sie tun?« , fragte er überfreundlich.
»Was fällt Ihnen eigentlich ein?« , schoss es direkt aus seiner neuen Nachbarin heraus.
Perplex blinzelte er in ihr Gesicht. Wovon sprach sie? »Worum geht's?«
»Mein Sohn weint sich die Augen aus.«
»Und was habe ich damit zu tun?«
»Was Sie genau getan haben, weiß ich nicht. Deswegen bin ich hier?«
»Ich habe rein gar nichts getan. Ich bin gerade erst nach Hause gekommen, und ...«
»Gestern.«
»Was, gestern?«
»Es muss gestern etwas vorgefallen sein. Sie hätten ihn traurig gemacht, hat er gesagt.« Sie bekam hektische Flecken, als sie mit ihren Händen gestikulierte. »Haben Sie ihn angebrüllt, weil er mal wieder auf ihrem ach so schönen Grundstück zu sehen war? Oder was war der Grund?«
Vincent runzelte die Stirn. »Ihr Sohn war gestern hier, das stimmt. Er hat mich gefragt, ob wir eine Runde Basketball spielen könnten, was ich auch hier auf meiner Einfahrt kurz gewilligt habe. Und mehr war nicht.«
»Na ja irgendwas muss ja gewesen sein. Er heult schließlich nicht ohne Grund.«
»Es war rein gar nichts, Frau ...?!« Er machte eine Pause.
»Steinach.«
Toll, seinem Namen auch noch so ähnlich.
»Frau Steinach.« , fügte er seinem Satz zusätzlich bei.
»Ich möchte Sie bitten einfach meinen Sohn in Ruhe zu lassen. Er ist ein freundlicher Junge, und hat es nicht verdient, dass ...«
»Stopp.« , unterbrach er sie. »Ihr Sohn lauert mir auf. Ich klingel' bestimmt nicht bei Ihnen und frag', ob er zum Spielen rauskommt.«
Sie sah ihn ein wenig verdutzt an, als müsste sie nachdenken, was sie noch sagen wollte. Vincent fiel dadurch auf, dass ihre Augenfarbe tatsächlich nicht eins zu eins der von Nicolas glich. Ihre waren, wie er bereits mitbekommen hatte ... mit bernsteinfarbenen Sprenkler versehen, jedoch links mehr als rechts. Zudem konnte er am Rand ein wenig ... dunkelblau erkennen.
Doch ... möglicherweise hatte ihr Sohn das ja auch, nur hatte Vincent ihm nie so tief in die Augen geblickt, wie es bei seiner Nachbarin gerade der Fall war.
Sie bemerkte anscheinend das er ihre Äuglein ein wenig zu viel inspizierte, weshalb sie nervös blinzelte und dann kurz in eine andere Richtung wegsah. »Halten Sie sich einfach fern.« , sprach sie nach längerem Warten. »Und wenn Sie ein Problem haben, wenden Sie sich an mich und lassen ihren Frust oder was auch immer bitte nicht an meinem Sohn raus.« Sie drehte sich um und ging.
»Ich habe ihren Sohn nicht angeschnauzt.« , rief er ihr hinterher und knallte die Türe zu.
Ja, totaler Frieden.
Sein Hafen wurde von einer feindlichen Vehemenz gestört.
Möglicherweise war ja all das der Grund seiner ... Verdrossenheit und Grübelei. Und wahrscheinlich projizierte er all seine Missstimmung in seine intakte Beziehung. Es hatte sich wahrlich nicht so viel geändert zwischen ihm und Jessica. Außer ihre Fake-Beziehung und ... der Einzug der neuen Nachbarn.
Das war sein Störfaktor.
Das konnte nur sein Faktor des Missfallens sein.
Vincent musste lediglich das von seinem Hafen fernhalten. Dann würde auch alles wieder gut werden.
Stacheldraht wäre vermutlich der falsche Ansatz, aber ... Ignorieren wäre gut. Schließlich waren es nur Nachbarn. Es musste keinerlei Kontakt bestehen. Er hatte keine andere Wahl, als einfach nicht verfügbar zu sein.
Sein Hafen benötigte Schutz, dann würde sich auch mit Jessica alles wieder zum Guten wenden.
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Du fühlst dich lonely, doch du bist nicht allein
FanfictionVincent ist im Grunde zufrieden mit seinem Job, seinem Haus und seiner Model-Freundin Jessica. Doch alles ändert sich schlagartig, als die alleinerziehende Doreen samt ihrem Sohnemann Nicolas ins Haus nebenan einzieht. Irgendetwas an ihr bringt Vin...